Warum Dr. Google ein schlechter Arzt ist

von Redaktion

Jörg Schelling hat auch immer wieder Patienten in seiner Praxis, die sich von einer selbst gemachten Fehldiagnose nicht abbringen lassen. © Foto: Marcus Schlaf

Medizinische Expertise auf dem Sofa: Vor allem bei jungen Patienten sind Internetdiagnosen weit verbreitet. © Foto: Getty Images

München – In München ist aktuell wieder Erkältungszeit. Doch dabei steigt nicht nur der Taschentuchverbrauch, sondern auch die Handygeräte laufen heiß. Laut einer Bitkom-Umfrage aus dem Jahr 2020 recherchieren bereits mehr als die Hälfte der Deutschen ihre Symptome im Internet – Tendenz steigend. Vor allem bei jungen Menschen ist die Google-Suche weit verbreitet. Doch: Dr. Google ist kein verlässlicher Arzt – meist fühlt man sich nach einer Internetrecherche kränker als zuvor.

Prof. Jörg Schelling ist Allgemeinmediziner in Martinsried bei München. Das Problem mit Dr. Google kennt er gut. Jeder sechste Patient, schätzt er, spricht in seiner Praxis offen an, seine Symptome vorab gegoogelt zu haben. Doch das sind längst nicht alle, die sich im Netz informieren – da ist sich Schelling sicher. Viele würden versuchen, ihre Recherche zu verbergen: „Oft fürchten Patienten, den Arzt damit in die Enge zu treiben oder seine Kompetenz infrage zu stellen.“ Im Gespräch werde dann aber recht schnell deutlich, dass hier schon „eine Vorrecherche stattgefunden hat“ – etwa durch die Verwendung von Fachbegriffen oder spezifische Rückfragen.

Manchmal stößt auch Schelling an seine Grenzen – etwa, wenn sich ein Patient nicht von seiner falschen Internetdiagnose abbringen lassen will. Schelling nimmt das aber erstaunlich gelassen. Er sagt, man müsse sich als Arzt von der Vorstellung verabschieden, Leute belehren zu wollen: „Ich habe das Gefühl, dass dieser patriarchale Ansatz in der modernen Medizin zum Glück auf dem Rückzug ist.“ Besser sei es, Verständnis zu zeigen und zu versuchen, den Patienten zu beruhigen. Der Mediziner sieht seine Aufgabe daher im Einordnen der ergoogelten Diagnosen. „Ärzte brauchen nicht mehr eine reine Wissensdatenbank zu sein, sondern können sich auf ihre Rolle als Berater konzentrieren.“

Google bietet ein großes Spektrum an extremen Verläufen und spuckt willkürlich Diagnosen aus. Deshalb muss man sich immer bewusst sein: Es handelt sich um eine reine Selbstdiagnose ohne ärztliche Untersuchung – und Selbstdiagnosen fallen in der Regel schlimmer aus als die Realität. Bei unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit oder Abgeschlagenheit empfiehlt Schelling deshalb, lieber gleich zum Arzt zu gehen – hier sei die Korrelation zwischen Onlinesuche und -ergebnis besonders niedrig. „Bei klar definierten Problemen wie etwa einem Zeckenbiss kann Google aber durchaus hilfreiche Tipps geben“, sagt Schelling.

Um ein gewisses Grundgefühl für eine Krankheit zu bekommen, kann googeln also sinnvoll sein. Grundsätzlich, sagt der Allgemeinarzt, gebe es kaum ein Krankheitsbild, zu dem man im Internet nicht auch seriöse Informationen finden kann. Man müsse nur wissen, wo man sucht.

In Deutschland gibt es bislang noch kein einheitliches Informationsportal für Patienten. Generell gilt: Die Reihenfolge der Suchergebnisse auf Google sagt nichts über die Qualität und die Verlässlichkeit aus. Jörg Schelling empfiehlt, bei medizinischen Internetrecherchen das Wort „Leitlinien“ zu verwenden. „Dann ist die Chance, dass man auf die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin kommt, recht groß. Das ist auf jeden Fall eine seriöse Quelle.“

Ein Symptom kommt selten allein – für unsere Zeitung hat Allgemeinmediziner Jörg Schelling die fünf meistgegoogelten Wehwehchen fachlich eingeordnet. Er betont: Für eine Differenzierung von Krankheiten sind vor allem die weiteren Begleitsymptome wichtig.

Kopfschmerzen

Dr. Google sagt: Migräne, Hirnhautentzündung, Gehirntumor, Verspannungen

Generell sind Kopfschmerzen extrem häufig. Zur Einschätzung, so Schelling, sei vor allem wichtig, wo der Schmerz am Kopf lokalisiert ist und welche Begleitsymptome auftreten. Ziehen sich die Schmerzen etwa von der Halswirbelsäule zum Kopf, handelt es sich meist um harmlose Verspannungen. Bei Migräne tritt zusätzlich eine starke Lichtempfindlichkeit auf. Eine Hirnhautentzündung geht mit Fieber einher. Kommen neurologische Symptome wie plötzliche Geschmacksveränderungen hinzu, ist Vorsicht geboten – ein Arztbesuch ist dann unerlässlich.

Husten

Dr. Google sagt: Infektion, Asthma, Refluxkrankheit, Lungenkrebs

Die ganze Nacht gehustet? Dann ist ein viraler Infekt am wahrscheinlichsten. Geht der Husten jedoch mit einem Säuregeschmack im Mund einher, kann es sich auch um die sogenannte Refluxerkrankung (aufsteigende Magensäure) handeln – davon sind vor allem ältere Menschen betroffen. Asthma drückt sich neben Hustenreiz hingegen durch Atemnot bei Belastung aus. Für Lungenkrebs sei sowohl das Alter als auch der Zigarettenkonsum ausschlaggebend, sagt Schelling: Wenn ein gesunder Nichtraucher in jungen Jahren hustet, muss er sich in der Regel keine Sorgen machen.

Fieber

Dr. Google sagt: Infektion, Autoimmunerkrankung, Medikamentenreaktion, Krebs

Auch bei Fieber ist ein Infekt wahrscheinlich, denn das Immunsystem erhöht die Körpertemperatur, um Viren und Bakterien loszuwerden. Tritt es allerdings unmittelbar nach der Einnahme eines Medikaments auf, könnte eine Unverträglichkeit dahinterstecken. Autoimmunerkrankungen äußern sich im Gegensatz dazu eher am betroffenen Organ selbst – das ist beispielsweise bei den Gelenken von Rheumapatienten der Fall. Als Erstsymptom eines Tumors ist Fieber unwahrscheinlich. Kommen Symptome wie Nachtschweiß, Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit hinzu, sollte aber sicherheitshalber ein Arzt aufgesucht werden.

Schwindel

Dr. Google sagt: Durchblutungsstörung, Innenohr-Problem, Herz-Kreislauf-Erkrankung

Plötzlich dreht sich alles, das Bild verschwimmt – oft haben Patienten mit Schwindelbeschwerden aber einfach zu wenig gegessen oder getrunken. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei Schwindel ebenso denkbar, aber unwahrscheinlich, sofern es keine entsprechende Vorerkrankung am Herzen gibt. Probleme mit dem Innenohr werden meist von einem starken Hörverlust oder heftigem Tinnitus begleitet. Worauf das Schwindelgefühl zurückzuführen ist, kann Google nur schwer diagnostizieren – denn dafür ist eine Unterscheidung zwischen Dreh-, Schwank- und ungerichtetem Schwindel wichtig. Daher wird bei anhaltendem Schwindel ein Check-up beim Arzt empfohlen.

Übelkeit

Dr. Google sagt: Magen-Darm-Infektion, Unverträglichkeit, Schlaganfall, Schwangerschaft, Magenkrebs

Eine Magen-Darm-Infektion führt neben Übelkeit häufig zum Erbrechen und Fieber. Diese Symptome treten sehr plötzlich und intensiv auf. Unverträglichkeiten äußern sich hingegen eher mit Blähungen und Durchfall. Bei schwerstkranken Patienten ist Übelkeit auch als erstes Anzeichen für einen Schlaganfall denkbar – ohne zusätzliche neurologische Beschwerden ist das aber äußerst unwahrscheinlich. Ob eine Schwangerschaft vorliegt, kann durch einen Test schnell geklärt werden. Wenn Übelkeit länger anhält, sollte man laut Schelling ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen – eine Magenspiegelung kann Aufschluss über die Ursache geben.

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