Der Triumph des Unberechenbaren

von Redaktion

Frust bei den Demokraten: Kamala Harris trat erst gestern vor ihre Anhänger. © Saul Loeb/AFP

Jubel bei den Republikanern: Trump-Fans feiern den Sieg ihres Idols im Ahern-Hotel in Las Vegas, © CAROLINE BREHMAN/Epa

Washington/München – Donald Trump wirkt weder überrascht noch euphorisch, als er vor seine Anhänger tritt. „Ich möchte Ihnen allen sehr danken“, sagt er gelassen. „Das ist großartig.“ Es ist halb drei am Morgen. Trump steht auf der Bühne eines Tagungszentrums in West Palm Beach in Florida, seiner Wahlheimat. Hinter ihm sein gesamter Clan. Der Sitz der Familie liegt ein paar Autominuten entfernt. Noch fehlen Trump wenige Wahlleute, aber der konservative Sender Fox News hat ihn bereits zum Sieger erklärt. „Ich werde für euch kämpfen, ich werde für eure Familien kämpfen“, ruft Trump in die Menge. „Und für eure Zukunft. Jeden Tag werde ich für euch kämpfen, mit jedem Atemzug in meinem Körper.“ Das Publikum skandiert „U-S-A, U-S-A“. Ihr Idol verspricht „wahrhaftig das goldene Zeitalter von Amerika“.

Der sonst so zornige Pöbler ist zurück im Weißen Haus. Und er ist es überraschend deutlich. Wochenlang hatten Demoskopen ein extrem enges Rennen vorausgesagt, doch am Wahltag streicht der Republikaner einen Swing State nach dem anderen ein: North Carolina, dann Georgia, Pennsylvania, Wisconsin, Michigan. Am Ende dürfte Trump alle sieben gewonnen haben – und die absolute Mehrheit der Stimmen, anders als noch bei seinem Sieg 2016. Damals fuhr Hillary Clinton knapp drei Millionen Stimmen mehr ein, wurde aber wegen des Wahlleute-Systems nicht Präsidentin.

Harris geht auf Tauchstation

Die Niederlage ist für die Demokraten niederschmetternd Kamala Harris selbst geht zunächst auf Tauchstation. Ihren Auftritt bei der Wahlparty in Washington sagt sie ab. Erst am Mittwochnachmittag tritt sie vor ihre Anhänger, ruft sie auf, „weiter zu kämpfen“, und räumt ihre Niederlage ein. Zuvor telefoniert sie bereits mit Trump und gratuliert, ebenso wie Joe Biden. Harris kommt auf 47 Prozent der Stimmen.

„Ihre Wahlkampagne ist gewaltig schiefgelaufen“, sagt Julian Müller-Kaler, Politikexperte am Stimson Center, einem unabhängigen Think Tank in Washington. „Kamala Harris hat zwar keine Fehler gemacht. Aber das allein reicht nicht, um die US-Wahl zu gewinnen.“ Die Demokraten hätten sich zu sehr darauf konzentriert, Trump als Gefahr für die Demokratie darzustellen. „Das hat nicht funktioniert. Man hätte stattdessen viel mehr auf die Kritiker des Systems zugehen müssen.“ Die Partei steckt nun in einer tiefen Krise. „Da wird es noch viele Schuldzuweisungen geben“, prophezeit er.

War es Joe Bidens zu späte Einsicht, dass er den Weg für Harris frei machen muss? Das demokratische Debakel hat wohl viele Gründe. Harris war als Vize-Präsidentin eher blass und konnte dann den Schatten des unbeliebten Biden nicht abschütteln. Und sie setzte offenbar auf die falschen Themen.

Trump hingegen gab sich – trotz seiner auch schon 78 Jahre – erfolgreich als Visionär. Er versprach niedrige Energiekosten, eine aufstrebende Wirtschaft, ein Amerika, das zuallererst auf sich schaut und nicht auf die Welt. Damit traf er offenbar die Sehnsüchte der Menschen. Dass er im Wahlkampf ständig beleidigte, log und pöbelte? Egal. Stattdessen verfestigte sich auf der Zielgeraden ein Trump-Kult, den Harris nicht brechen konnte.

Während Harris bei allen wichtigen Wählergruppen schlechter abschnitt als Joe Biden vor vier Jahren, punktete Trump unerwartet gut bei Schwarzen – und vor allem auch bei Latinos, die eigentlich eine Bastion der Demokraten sind. Jamie Florez, Sprecher der Latinos in der Trump-Kampagne, erklärte, was viele Menschen mit lateinamerikanischen Wurzeln hinter Trump brachte: „Wir möchten eine gesunde Wirtschaft und wir möchten gerne Essen auf dem Tisch haben, das passiert im Moment nicht. Man wünscht sich jemanden, der das Problem lösen kann und das ist Donald Trump.“ Die Entgleisungen gegenüber den Latinos seien zwar unschön gewesen, wichtiger sei aber, was für die Nation auf dem Spiel stehe. Einer ersten CNN-Analyse zufolge lag Trump bei den Latinos, der größten Minderheit in den USA, zwölf Prozentpunkte vor Harris.

Auch viele weiße Frauen identifizieren sich mit Trump. „Wir haben für Trump gestimmt, weil er für unsere konservativen Werte steht. Für die Familie, für den Schutz ungeborenen Lebens und vor allem für unsere Wirtschaft“, sagte eine Anhängerin vor dem Tagungszentrum, in dem Trump später seinen Sieg verkündete.

Was die USA und die Welt erwartet, wird sich ab dem 20. Januar zeigen, wenn der schwer berechenbare Republikaner seine zweite Amtszeit antritt. Entscheidend dafür ist auch der Ausgang der parallel abgehaltenen Kongresswahlen. Im Senat haben die Republikaner die Mehrheit zurückerobert. Sollte das Repräsentantenhaus republikanisch bleiben, könnte Trump weitgehend ungehindert durchregieren.

Ein Straftäter im Weißen Haus

Trumps Ankündigungen sind jedenfalls mächtig: die „größte Deportation der Geschichte“ von Migranten, ein drastischer Ausbau der Öl- und Erdgasförderung zulasten des Klimaschutzes, Außenhandelszölle zum Schutz der eigenen Wirtschaft, die Entlassung unliebsamer Beamter, die Begnadigung seiner Anhänger, die nach dem Sturm auf das Kapitol verurteilt wurden. Und er betonte immer wieder, den Ukraine-Krieg und den Nahost-Konflikt im Handumdrehen beenden zu können.

Mit Trump zieht erstmals in der US-Geschichte ein verurteilter Straftäter ins Weiße Haus ein. Für Trump ist die Wiederwahl der Jackpot. Im Sommer hatte der konservativ dominierte Supreme Court US-Präsidenten eine weitreichende Immunität gewährt. Die drei Strafverfahren, die noch gegen ihn laufen, dürften Trump nun nicht mehr stören. Zwei Fälle auf Bundesebene kann er einstellen, das dritte auf Eis legen lassen.

In seiner Siegerrede in Florida stellte Trump den Pöbler in sich erst einmal mal auf leise. „Es ist an der Zeit, die Spaltungen der vergangenen vier Jahre hinter uns zu lassen“, sagte er. „Wir müssen das versuchen. Und es wird geschehen.“ Wie, das sagte er nicht.

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