INTERVIEW

„Europa steht vor einem Schleudertrauma“

von Redaktion

US-Außenexperte Jörn Fleck glaubt, Trump könnte die EU spalten – „Müssen jetzt defensiv reagieren“

München – Es werden turbulente Zeiten für Europa. Bereits in seiner ersten Amtszeit drohte Trump mit einem Rückzug der USA aus der Nato. Macht er diesmal Ernst? Jörn Fleck ist Direktor des Europe Center an der Denkfabrik „Atlantic Council“ in Washington. Er sagt: Europa darf sich nicht von Trump verrückt machen lassen.

Herr Fleck, Olaf Scholz sagte etwas zurückhaltend, unter Trump werde nun „vieles anders“. Was heißt das?

Europa steht vor einem Schleudertrauma. Mit Joe Biden hatte Europa einen wahren Transatlantiker als Partner im Weißen Haus. Womöglich war er sogar der pro-europäischste US-Präsident überhaupt – jemand, der sich für die Sicherheit der Ukraine und ein sehr enges Verhältnis zu Deutschland eingesetzt hat. Das alles ist jetzt vorbei. Trump hat die EU sogar als Feind und Schmarotzer bezeichnet. Und er ist durchaus bereit, Europa zu spalten.

Mithilfe seines Freundes Orbán? Wird Ungarn jetzt unser Vermittler nach Washington?

Dafür ist Orbán in Europa zu isoliert. Er genießt kaum Vertrauen unter den anderen Regierungschefs. Trump wird vermutlich eher auf Giorgia Meloni oder Andrzej Duda zugehen.

Verlieren wir unseren Sicherheitsgaranten?

So weit würde ich nicht gehen. Aber es ist zu erwarten, dass die USA unter Trump ihre Aufmerksamkeit noch schneller und stärker auf den Indopazifik verlagern werden. Außerdem wird er wohl noch mehr Druck auf Europa und insbesondere auf Deutschland ausüben, mehr für die eigene Verteidigung auszugeben.

Liefert Trump die Ukraine an Putin aus?

Aus republikanischen Kreisen heißt es, Trump könnte die Ukraine zunächst sogar stärker als zuvor unterstützen, um erst seine Position gegenüber Putin zu stärken – und dann einen Deal für ein Ende des Krieges auszuhandeln. Ich halte es allerdings für wahrscheinlicher, dass Trump gleich auf eine schnelle Lösung drängt: Das würde sicher auch Gebietsverluste für die Ukraine bedeuten.

Ist Europa darauf vorbereitet?

Wir haben vor allem in Deutschland den Fehler gemacht, zu sehr auf Joe Biden und einen Sieg der Demokraten zu setzen. Die amerikanischen Wähler haben entschieden, Donald Trump hat ein starkes Mandat erhalten, die Demokratie hat funktioniert. Das müssen wir respektieren und uns konstruktiv damit auseinandersetzen. Auch wenn er viel von Europa fordern wird, vor allem in Verteidigungs- und Handelsfragen.

Der EU drohen jetzt hohe Zölle …

Wir dürfen uns nicht von Trumps lauter Rhetorik verrückt machen lassen – denn die zielt oft zunächst auf sein heimisches Publikum ab. Wichtig ist, dass Europa erst mal defensiv reagiert, sollte Trump tatsächlich Importzölle verhängen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Trump ein Verhandlungstyp ist: Seine Drohungen können auch als Eröffnungsangebot verstanden werden, und da sollte man einen Gegenvorschlag machen können – und bloß nicht mit Vergeltungszöllen reagieren.

Das klingt alles nicht sehr vertrauensvoll. Können wir uns noch auf diese Partnerschaft verlassen?

Ich glaube, dass Europa und Deutschland weiterhin eine besondere Beziehung zu den USA haben werden und beide Seiten diese immer wieder neu gestalten müssen. Sie besteht mit dem Land selbst und nicht mit einem bestimmten Präsidenten. Aber von dieser romantischen Vorstellung einer perfekten transatlantischen Beziehung sollten wir uns lösen – die war schon lange vor Trump infrage gestellt worden.

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