Hinter dem Glas-Teleprompter: Scholz bei seiner kalkulierten Wutrede. © Foto: afp
München – Als Olaf Scholz am Mittwochabend um 21.18 Uhr ans Mikro tritt, drückt er sich in einer bemerkenswerten Klarheit aus: 15 Minuten lang rechnet er mit Christian Lindner ab, nennt ihn kleinkariert, egoistisch, verantwortungslos. Es ist eine Wutrede, doch sie wirkt nicht impulsiv, sondern perfekt vorbereitet: ohne Patzer oder Verhaspler, sondern rhetorisch bis ins letzte Detail ausformuliert.
Dabei hat der Kanzler erst eine Stunde zuvor seinen Finanzminister entlassen. Christian Lindner spricht später von einem „genau vorbereiteten Statement“, von einem „kalkulierten Bruch“. Tatsächlich hält Scholz seine Ansprache (die viele Nutzer in den Sozialen Medien als seine beste Rede jemals bezeichnen) weder spontan noch frei: Denn um ihn herum stehen zwei hochmoderne Teleprompter, wie man sie eigentlich nur aus dem US-Wahlkampf kennt.
Dass Scholz seine Rede abliest, fällt auf den ersten Blick kaum auf. Denn normalerweise läuft der Text bei einem Teleprompter auf einem Monitor direkt vor dem Kameraobjektiv: So kann der Redner die ganze Zeit in die Linse blicken. Scholz aber schaut abwechselnd zu den Journalisten links und rechts – wo auch zwei unauffällige kleine Glasscheiben aufgestellt sind, die ein wenig an Notenständer erinnern. Dabei handelt es sich um sogenannte Präsidenten-Teleprompter, bei denen spezielles Glas verwendet wird, das mit einer reflektierenden Beschichtung versehen ist. Während es für das Publikum so aussieht, als würde Scholz durch die transparenten Scheiben blicken, kann der Kanzler aus seiner Perspektive einen Text ablesen.
War dem Kanzler also schon den ganzen Tag über klar, dass er die Ampel platzen lassen wird? Nach Informationen von Table.Briefings hat Olaf Scholz tatsächlich schon vorab ein Manuskript für den Ampel-Bruch vorbereitet. Allerdings soll es noch ein weiteres Manuskript gegeben haben für den Fall, dass sich die Koalition doch noch einigen würde. Was der Kanzler in diesem Fall gesagt hätte, wird die Öffentlichkeit aber wohl nie erfahren.
KATHRIN BRAUN