INTERVIEW

„Soziale Medien können gute Freunde nicht ersetzen“

von Redaktion

Einsamkeit betrifft heutzutage auch viele junge Menschen, warnt der Psychologe Matthias Reinhard

München – Einsamkeit ist für viele Menschen in Deutschland ein großes Problem. Doch nicht nur ältere, auch jüngere Menschen sind davon betroffen, sagt der Psychologe Matthias Reinhard. Er ist Oberarzt an der LMU-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und forscht zu Einsamkeit. Reinhard sagt: Junge Menschen sind weniger an soziale Beziehungen gebunden.

Herr Reinhard, fühlen sich Menschen heute einsamer als vor 20 Jahren?

Das weiß man nicht, weil früher Einsamkeit nicht gut erfasst wurde, auch nicht von der Medizin. Es war ein vernachlässigtes Thema. Es gibt aber spannende Zahlen im Rahmen der Corona-Pandemie.

Und die wären?

Die Pandemie hat zu einem starken Anstieg von Einsamkeit beigetragen, auch bei jungen Erwachsenen. Früher standen vor allem ältere Menschen im Fokus der Forschung – wenn zum Beispiel der Partner wegstirbt und das soziale Umfeld kleiner wird. Während Corona haben aber junge Erwachsene die Älteren überholt hinsichtlich der Einsamkeit.

Warum?

Es scheint, dass junge Menschen weniger Verbundenheit und weniger Verpflichtungen gegenüber sozialen Beziehungen haben. Beim Übergang von der Schule ins Studium oder in die Ausbildung haben sie alle Möglichkeiten. Man versucht irgendwo Fuß zu fassen, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Das macht es einem viel schwerer, eine solide Basis mit einem engen sozialen Umfeld aufzubauen. In der Pandemie drückte sich die Einsamkeit der Jungen besonders aus.

Fühlt man sich weniger einsam, wenn man soziale Medien wie Instagram nutzt?

Soziale Medien sind ein zweischneidiges Schwert: Damit lassen sich zwar neue Kontakte knüpfen und man schafft eine Nähe, die früher nicht vorstellbar war. Auf der anderen Seite können Soziale Medien die Einsamkeit verstärken, weil man dort sieht, wie vermeintlich toll und voller Menschen das Leben anderer ist.

Und die Follower können den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, oder?

So ist es. Der persönliche und intensive Kontakt ist wichtig. Wir alle sollten ein paar wenige, dafür sehr gute Freunde haben. Die brauchen wir um uns herum, damit wir uns nicht einsam fühlen. Selbst tausende Follower auf Instagram können sie nicht ersetzen.

Wie wirkt sich Einsamkeit auf den Körper aus?

Studien zeigen, dass Einsamkeit einen Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt haben kann. Einsamkeit gilt als hoher Risikofaktor; manche sagen, dass Einsamkeit das neue Rauchen ist. Dazu kommen psychische Beschwerden wie Depressionen, Schlafstörungen oder Angsterkrankungen. Auch Suizidgedanken können mit Einsamkeit zusammenhängen. Betroffene fragen sich: Wer braucht mich eigentlich noch in dieser Welt?

Welche Risikofaktoren gibt es für Einsamkeit?

Das Singledasein ist ein Aspekt. Auch Arbeitslosigkeit oder ein niedriges Einkommen sind Faktoren. Denn wenn ich es mir nicht mal leisten kann, eine Tasse Kaffee oder Tee zu kaufen, dann kann ich auch nicht am gemeinsamen Leben mit Freunden teilhaben. Auch schlechte Gesundheit und körperliche Immobilität sind häufig Faktoren für Einsamkeit.

Und wie überwindet man Einsamkeit?

Der erste Schritt ist, sich einzugestehen, dass es einem nicht gut geht – und das muss man der Familie oder Freunden mitteilen. Das kann die Großmutter sein, die ihrem Enkel am Telefon sagt, dass sie sich einsam fühlt und besucht werden möchte. Ich kann auch in meinem sozialen Netz nach jemandem suchen, mit dem man die Beziehungsqualität vertiefen kann. Umgekehrt kann ich mich auch um andere Menschen kümmern und ein Ehrenamt übernehmen.

Es hilft also nichts, sich einfach nur mit vielen Menschen zu umgeben?

Nein, es geht darum, emotionale Nähe zu anderen aufzubauen.

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