Mit der Schulterprothese in die Steilwand

von Redaktion

Am Manaslu in Nepal, dem achthöchsten Berg der Erde, bezwang Grün 2023 diese Eiswand.

Seine Liebe gehört den gewaltigsten Bergen auf Erden: Höhenbergsteiger Marc Grün – hier auf dem Kilimandscharo in Tansania/Afrika im Jahr 2020. © Fotos: Marc Grün

München/Ulm – Als aktiver Radballspieler errang Marc Grün in jungen Jahren den deutschen Meistertitel. Nach 20 Jahren Leistungssport tauschte der Ulmer Projektingenieur den Sattel gegen die Bergstiefel. „Mein Aufstieg begann vor mehr als fünfzehn Jahren, als ich zum ersten Mal einen Allgäuer Gipfel bezwang“, schreibt er auf seiner Homepage. Seitdem zog es ihn höher und höher hinauf – in Europa und dann in der ganzen Welt: Ladakh in Nordindien, die Anden in Südamerika, das Pamir-Gebirge in Kirgisistan und auf den achthöchsten Berg der Welt im Himalaya, den Manaslu (8163 m) in Nepal. Die Berge lehrten ihn: Kraft und Ausdauer allein reichen nicht aus. „Der Geist muss stark sein, um Qualen und Gefahren zu trotzen. Denn oft entscheiden der Respekt und die Demut vor dem Berg über Leben und Tod.“ Und manchmal muss man auch umkehren, um neue Wege einzuschlagen.

Ein Fahrradsturz verändert alles

Was das bedeutet, lehrte ihn ein Unfall: „2003 habe ich mir bei einem Fahrradsturz die linke Schulter ausgekugelt.“ In den folgenden zwei Jahren sprang der Oberarmkopf nahezu wöchentlich aus der Gelenkpfanne – Symptome einer chronischen Instabilität: „Ich musste mir nur den Pullover ungeschickt anziehen. Über hundert Mal habe ich mir die Schulter selbst eingerenkt. Extrem schmerzhaft war das jedes Mal.“ Nach zwei Jahren gab er auf: „Ich ließ mich operieren, die Bänder wurden frisch fixiert. Dann hatte ich erst mal Ruhe.“ Eine schöne Zeit begann mit Expeditionen in die ganze Welt.

Bis die Schmerzen in der linken Schulter anfingen. Erst nur bei Belastung, später auch im Ruhezustand. „Typische Anzeichen einer Omarthrose mit fortschreitendem Knorpelverschleiß, bei dem am Ende Knochen auf Knochen reibt und schmerzhafte Entzündungen auslöst“, erklärt sein Orthopäde, der Münchner Schulterspezialist Professor Dr. Gunther Sandmann. Im Sommer 2023 waren die Schmerzen so stark, dass Marc Grün es nicht mehr aushielt: „Das wurde auch zum Sicherheitsrisiko am Berg“, sagt er. So kam er zur Praxis Schulterzentrum Sporttraumatologie der renommierten Orthopäden Prof. Dr. Peter Habermeyer und Prof. Dr. Gunther Sandmann in München-Bogenhausen, die unter Spitzensportlern einen ausgezeichneten Ruf genießt. „Ich habe mich mit Prof. Sandmann auf Anhieb gut verstanden. Wir hatten eine ganze Reihe gemeinsamer Themen über den Sport. Das hat mich beruhigt. Denn mein Ziel war klar. Ich wollte wieder in die Berge.“ Im Fall des relativ jungen Höhenbergsteigers stand schnell fest, dass er eine neue Schulter benötigt: „Meine Arthrose war sehr weit fortgeschritten.“ Eine Schulterprothese: Für einen Extremsprotler ist das eine Katastrophe.

Beim Einsatz einer Schulterprothese gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Wahl der Methode hängt von vielen Faktoren ab, darunter auch vom Alter und der körperlichen Aktivität des Patienten. Oft empfiehlt Prof. Dr. Sandmann seinen Patienten vor der Operation eine spezielle Physiotherapie für den Muskelaufbau: „Fakt ist, dass sich Muskeln in Ruhestellung schneller ab- als wieder aufbauen. Das Training unterstützt nach der OP die schnellere Rekonvaleszenz.“ In Marc Grüns Fall war das nicht notwendig: „Der Patient war körperlich topfit und hatte die besten Voraussetzungen für den erfolgreichen Verlauf“, lobt sein Orthopäde.

Am 29. Februar war es so weit: Sandmann setzte Marc Grün in der Atos Starmed Klinik in Perlach eine anatomische Schulterprothese ein. In den ersten drei Wochen musste sich Grün zu Hause gedulden. Lymphdrainage und vorsichtige Übungen – mehr war nicht drin. Es folgte die ambulante Reha: „Vier Wochen lang jeden Tag Physio, Massage, Krafttraining. Es wurde Tag für Tag besser. Auch heute bin ich noch regelmäßig in der Physio“ – unterstützt von seiner Freundin Isabelle Frickinger (36), die selbst Physiotherapeutin ist.

Gute Fortschritte sind für Marc Grün wichtig – denn er hat wieder große Ziele: Am 28. November startet er zur nächsten internationalen Expedition für die Überschreitung des Aconcagua in Argentinien. „Als Höhenbergsteiger liegt die Hauptlast auf meinen Beinen, obwohl ich zuweilen schon mal Eis- oder Felswände mit einer Steigung von 80 Grad und mehr bewältigen muss.“ Dass solche Touren für seine neue Schulter ein Risiko sein können, ist ihm bewusst. Aber er hat in den letzten Wochen vor seiner Haustür hart trainiert: „Ich war im Allgäu und den dazugehörigen Hochalpen, im Tannheimer Tal, im Lechtal und in verschiedenen Ecken der Ostalpen.“

Auch mit unterschiedlichen Rucksack-Gewichten hat er schon trainiert. „Auf meiner Expedition starte ich mit 60 bis 70 Kilo Gepäck, die die Mulis bis zum Basislager tragen. Ab da geht es zu Fuß weiter. Auf den schwierigen Strecken werde ich immer noch 20 bis 25 Kilo auf den Schultern tragen. Da meckert die Schulter, das habe ich schon gemerkt. Aber da muss sie eben durch.“

Die Route führt über die Ost- und Nordseite zum Gipfel und über die Westseite wieder hinunter. Eine Überschreitung ist immer schwieriger als ein einfacher Aufstieg, den er vor Jahren schon einmal wegen Sturm und extremer Kälte kurz vor dem Gipfel abbrechen musste. Jede Expedition ist auch eine psychologische Herausforderung. „Man weiß nie, welchen Schwierigkeiten man sich stellen muss.“ 2023 brach auf seiner Manaslu-Expedition in Nepal sein Sherpa unterhalb des höchsten Punktes wegen eines defekten Sauerstoffgeräts zusammen – Lebensgefahr! 17 Stunden stiegen sie gemeinsam ab ins rettende Hochlager.

„Nach jeder Expedition bin ich ein neuer Mensch“, sagt Marc Grün. „Man studiert und lebt andere Kulturen und bekommt einen neuen Blick auf die Welt und die Dinge, die wirklich wichtig sind.“ 2025, das steht schon fest, geht es nach Pakistan. Von Professor Sandmann hat er grünes Licht bekommen – mit einer Einschränkung: „Ich darf nicht auf meine neue Schulter fallen.“

Kontakt zu Marc Grün

Der Extrem-Höhenbergsteiger hält Vorträge über seine Expeditionen. Man kann ihm auf Instagram folgen (marc_gruen_mountaineer) oder auf seiner Website www.marc-gruen.de; E-Mail: marc.s.gruen@gmail.com

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