Mit Helm und Schutzweste: Unser Reporter Klaus Rimpel hat den CSU-Landesgruppenchef auf seiner Reise begleitet.
Raketenalarm: Dobrindt (li.) im Rathaus-Schutzraum.
Ein Major zeigt Teile einer Rakete, die eine Schule traf.
Alexander Dobrindt lässt sich von israelischen Soldaten die Lage an der Grenze zum Libanon schildern.
Am höchsten Punkt von Kirjat Schmona hält ein israelischer Soldat Ausschau nach Hisbollah-Raketen. Von hier aus kann er den Abschuss sehr früh erkennen und Alarm geben. © Fotos: Klaus Rimpel
Kirjat Schmona/Tel Aviv – Der Raketenbeschuss durch die Terror-Armee Hisbollah begann am 8. Oktober 2023. Er hat Kirjat Schmona dramatisch verändert. Nur etwa 2000 meist ältere Menschen leben hier noch. Die Jüngeren tragen Uniform. Es sind Soldaten der israelischen Armee. Am Straßenrand tummeln sich zurückgelassene, abgemagerte Katzen.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wollte diesen Ort mit eigenen Augen sehen, so wie er ein Jahr zuvor den Kibbuz Be‘eri besucht hat, wenige Wochen nachdem dort die Hamas zugeschlagen hatte. „Wir reden in der deutschen Politik sehr viel über die Situation im Nahen Osten. Und wir treffen auch Entscheidungen, die für Israel, aber auch für uns Auswirkungen haben“, sagt Dobrindt. „Mir ist es deshalb wichtig, dass ich mich nicht nur durch Akten oder Medien über die Lage dort informiere, sondern mir einen persönlichen Eindruck von diesem Krieg machen kann.“
Die deutsche Botschaft war nicht glücklich über Dobrindts Reisewunsch: Der gegenseitige Raketenbeschuss hatte vor unserer Reise in den umkämpften Norden Israels massiv zugenommen. Später werden wir erfahren, dass die Hisbollah am Tag unseres Besuchs in Kirjat Schmona mehr Raketen auf Israel abgefeuert hat als je zuvor in diesem Krieg: Rund 350 Falaq-1- oder Burkan-Geschosse mit bis zu 500 Kilo Sprengkraft, die vom israelischen Iron Dome nicht vollständig abgefangen werden konnten und sogar in Vororten Tel Avivs einschlugen. Absurd-blutige Muskelspiele vor einem möglichen Waffenruhe-Abkommen.
Viele Geflüchtete wollen nie wieder zurückkehren
Gerade als Dobrindt und seine drei Begleiter im zum Krisenzentrum umfunktionierten Rathaus von Kirjat Schmona mit Schutzwesten und Helm ausgestattet werden, ertönt der erste Raketenalarm: Wegen der Nähe zur libanesischen Grenze bleiben nur zehn Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen. Im Freien heißt das: Vor eine Mauer werfen, mit überkreuzten Beinen flach auf den Boden legen.
Wir haben Glück, können in den Schutzraum des Rathauses eilen. Als der Alarm verhallt, fahren wir, begleitet vom einstigen Direktor des Gymnasiums Ariel Frisch, durch die menschenleere Stadt. Frisch ist heute für die Sicherheit von Kirjat Schmona verantwortlich, aber auch noch für seine Schüler, die nun seit einem Jahr in ganz Israel verstreut mit ihren Familien in Hotelzimmern oder Notunterkünften leben müssen. „Viele der 5860 Kinder und Jugendlichen von Kirjat Schmona leiden unter psychischen Problemen, flüchten sich in Alkohol oder Drogen“, sagt Frisch besorgt.
Aber trotz der belastenden Situation wollen laut einer Umfrage 45 Prozent der Bevölkerung auch dann nicht zurückkehren, wenn es eine Waffenruhe geben sollte. Zu groß ist die Angst, dass der tödliche Raketen-Terror wieder beginnt, zu stark ihre Sorge, dass in der Nähe zur libanesischen Grenze nie wieder ein normales Leben möglich sein wird. Besonders beängstigend für die Einwohner sind die kürzlich aufgedeckten Pläne, dass die Hisbollah nach Hamas-Vorbild aus Tunneln über die Stadt und andere grenznahe Ortschaften herfallen wollte, um massenhaft zu töten und Geiseln zu nehmen. Diese Gefahr sei einer der Hauptgründe für den israelischen Kampf im Libanon um eine Schutzzone, betont Major Liad Diamond, der uns begleitet: „Einen zweiten 7. Oktober darf es nicht geben!“
Der Major zeigt uns durch Hisbollah-Raketen völlig zerstörte Häuser, Krater in den Straßen, zerbombte Autos. Dobrindt sagt später, am meisten habe ihn der Kindergarten bewegt, der nach der Evakuierung zum Ziel einer Hisbollah-Rakete wurde. „Das soll den ehemaligen Bewohnern zeigen: Ihr braucht nicht mehr wiederkommen, hier sind eure Kinder nicht sicher. Da spürt man, mit welch erheblichem Ausmaß auch an psychologischer Grausamkeit die Hisbollah kämpft, um eben auch für die Zukunft ein friedliches Leben hier zu verhindern.“
Damit israelische Autos wie unser gepanzertes Fahrzeug nicht Ziel einer Kampfdrohne werden, stört das Militär in der Grenzregion durch „Jamming“ die Navigations-Systeme: Unser Navi tut so, als seien wir in Jordanien Richtung Amman unterwegs. Trotzdem bewegen wir uns mit dem mulmigen Gefühl, ein bewegliches Ziel für die Hisbollah zu sein. Aber die Gäste aus Deutschland setzen sich nur wenige Stunden dieser Gefahr aus – die Soldaten und die Zivilisten, die trotz der Evakuierung nicht gehen wollten, leben permanent mit dieser Bedrohung. „Die Medien in Deutschland schreiben immer vom Krieg im Libanon, vom Krieg in Gaza. Aber auch wir in Israel leben seit einem Jahr im Krieg, unter der Bedrohung von Raketen und Anschlägen“, sagt der aus Berlin nach Israel ausgewanderte Armee-Sprecher Arye Sharuz Shalicar. Der Major hat uns in seine Privatwohnung in einem Vorort von Tel Aviv eingeladen. Und als wolle die Hisbollah seine Worte unterstreichen, ertönt wieder Raketenalarm.
Der Schutzraum in der Hochhaus-Wohnung der Shalicars ist das Kinderzimmer seiner siebenjährigen Tochter. Zwischen Rosa-Einhorn-Postern und Spielzeug hören wir heftige Explosionen, das Zimmer vibriert. Selbst ein Soldat wie Arye kann nicht sicher sagen, ob das der Lärm abgefangener Raketen oder doch ein Einschlag ist, wie es ihn wenige Stunden zuvor hier gab. Ein Haus wurde getroffen, es gab Verletzte, aber keine Toten.
Der zwölfjährige Sohn des Majors sitzt auf dem Bett seiner Schwester, daddelt auf seinem Handy, als sei es ganz normal, dass in der Nachbarschaft Raketen explodieren. Als seine Mutter nach einigen Minuten den Schutzraum verlassen will, sagt er: „Mama, wir dürfen erst nach zehn Minuten raus!“
Werden diese Kinder je in einem normalen, friedlichen Israel leben können? An einem Militärposten unterhalten wir uns darüber mit drei Soldaten – Reservisten, die nach ihrem Dienst im Libanon erst einmal wieder ins Zivilleben zurückkehren dürfen. Auf die Frage, ob sie noch irgendeine Hoffnung auf Frieden mit den arabischen Nachbarn sehen, antwortet einer der sichtlich abgekämpften Männer: „Unsere frühere Premierministerin Golda Meir hat dazu gesagt: Erst, wenn sie ihre Kinder mehr lieben als sie unsere hassen, dann wird Frieden sein.“