INTERVIEW

„Wir sind auf einem guten Weg“

von Redaktion

Nach dem Chaostag sieht Airport-Chef Jost Lammers einen Aufwärtstrend – Streitfall 3. Startbahn

Abgewatscht und nachgebessert: Flughafenchef Jost Lammers musste nach dem Chaostag sogar im Münchner Rathaus Rechenschaft ablegen. Beim Besuch in unserer Redaktion erklärt er gestenreich, welche Lehre er daraus gezogen hat und warum es künftig besser laufen soll.

Das soll sich auf keinen Fall wiederholen: In langen Schlangen standen am 3. Oktober Fluggäste vor dem Terminal 2. Das sorgte auch in den Sozialen Medien für mächtig Wirbel. © social media

Flughafenchef im Krisenmodus: Jost Lammers. © Fotos: Marcus Schlaf

München – Jost Lammers war gerade zwei Monate neuer Chef des Flughafens München, da brach 2020 die Corona-Pandemie über die Welt herein. Seitdem agiert der heute 57-Jährige fast permanent im Krisenmodus. Nach der langsamen Erholung der Luftfahrt waren die langen Warteschlangen im Oktober ein erneuter Tiefpunkt. Beim Redaktionsbesuch unserer Zeitung erklärt Lammers, wie er den Flughafen aus den Negativschlagzeilen bringen will.

Herr Lammers: Täuscht der Eindruck, oder ist der Flughafen nach dem Chaostag am 3. Oktober mit den kilometerlangen Schlangen vor den Sicherheitskontrollen im Terminal 2 wieder besser geworden?

Nein, der Eindruck täuscht gar nicht. Wir sehen das an Zeitmessungen an den Sicherheitskontrollen und bei der Abfertigung. Jeder Flug, der am Flughafen ankommt oder abfliegt, wird ja mit Zeitstempeln gemonitort. Wie pünktlich ist er? Wann ist zum Beispiel das erste Gepäckstück am Band, wann das letzte? Da sehen wir in der Tat jetzt die letzten Wochen schon erste Fortschritte. Gerade bei der Pünktlichkeit sind wir aktuell auf einem wirklich guten Weg.

An welchen Stellschrauben dreht der Flughafen, um den Service zu verbessern?

Ich sage vorweg: Die Defizite, die wir da in den letzten Monaten in den operativen Bereichen hatten, die ärgern mich maßlos. Das ist ja klar, es ist meine Verantwortung, da bin ich an vorderster Front unserer Führungsmannschaft. Wir haben einen anderen Anspruch. Um es klar zu sagen: Diese Defizite, das ist nicht München. Das sind nicht wir. Das ist nicht unser Flughafen, wie wir ihn kennen und lieben. Aber wir haben einen großen Ehrgeiz, das schnell abzustellen.

Mit welchen Maßnahmen wollen Sie wieder daran anknüpfen?

Die Mutter eigentlich aller Maßnahmen und die Rahmenbedingung für alles ist Personal. Ausreichendes, gut ausgebildetes und qualifiziertes, motiviertes Personal. In der Corona-Zeit mussten wir Personal abbauen, zum Beispiel durch Freiwilligenprogramme. So haben wir es im Übrigen auch geschafft, ohne einen einzigen Cent staatlicher Hilfen durch die schwerste Krise der Luftfahrt der letzten Jahrzehnte zu kommen. Aber seit 2022 stellen wir wieder ein. Im letzten Jahr waren es konzernweit 1500 neue Mitarbeiter. In diesem Jahr haben wir schon 1800 eingestellt, 600 davon allein bei AeroGround. In Zeiten, in denen neues Personal äußerst schwer zu bekommen ist, ist das schon eine beeindruckende Zahl, wie ich finde. In Summe sind wir im Konzern wieder bei etwas über 9000 Mitarbeitern. Zwei Drittel der neu eingestellten Mitarbeiter kommen aus dem Ausland. Da gibt es auch Hürden, etwa sprachliche Barrieren. Auch Sicherheitsüberprüfungen sind Pflicht. Grob gesagt: Von 100 Bewerbern können wir am Schluss zwölf übernehmen.

Besonders kritisch war die Gepäckabfertigung. Es gab Klagen über lange Wartezeiten. Wie ist es jetzt?

Auch da haben wir in den vergangenen Wochen viele Verbesserungen erreicht. Bei 89 Prozent der Flüge ist auch das letzte Gepäckstück spätestens 40 Minuten nach Ankunft der Maschine zur Abholung auf dem Förderband. Damit das alles noch schneller geht, haben wir auch einen gesonderten Personalpool eingerichtet, der gezielt einspringt, wenn es nötig wird.

Was machen diese Leute?

Diese Einheit geht anders vor als früher. Sobald die Hälfte der Gepäckstücke aus dem Flieger geladen ist, fahren schon die ersten Wagen damit zum Band. Früher hat man gewartet, bis das ganze Flugzeug entladen ist und ist dann erst losgefahren. Das sind kleine Veränderungen, die aber für den Kunden viel bringen.

Und die Sicherheitskontrollen?

Unser Ziel ist es, wie früher, dass man in 90 bis 95 Prozent der Vorgänge die Security in unter zehn Minuten durchläuft. Zuständig dafür ist die Sicherheitsgesellschaft SGM. Die Beschäftigten haben ein freundliches Auftreten, sind kompetent, das hat sich immer ausgezahlt. Und wir arbeiten auch an der Technik, um diesen Teil für unsere Kundinnen und Kunden weiter zu beschleunigen. Wir bauen die Kontrollstellen mit neuen Computertomografen um. Das erhöht den Passagierkomfort – umso ärgerlicher ist es, dass wir am 3. Oktober so eine Art Schiffbruch erlitten haben. Das lag natürlich auch an diesen Umbauarbeiten und den Kapazitätseinschränkungen. Aber wir haben jetzt Konzepte, die greifen, wenn es am Flughafen voller wird. Noch vor den Osterferien 2025 ist das abgeschlossen, und wir haben dann topmoderne Scanner.

Besonders unfreundlich hat sich ja die Lufthansa geäußert über den Münchner Flughafen, obwohl die Lufthansa selbst wohl nicht ganz unschuldig war an der Misere, oder sehen wir das falsch?

Die Meinungsverschiedenheiten, die es gab, sind ausgeräumt. Wir haben uns da zusammengerauft und untergehakt. Wir sind ja gemeinsam für einen reibungslosen Ablauf für die Passagiere verantwortlich.

Das bedeutet konkret?

Wir haben nachjustiert und ein gemeinsames Performance-Steigerungsprogramm aufgesetzt. Das läuft jetzt seit einigen Wochen. Der CEO der Lufthansa-Airlines, Jens Ritter, und ich monitoren dieses Programm sehr intensiv. Erst heute Früh hatten wir wieder unseren regelmäßigen Call mit den Führungskräften, in dem wir uns die Fortschritte genau vorstellen lassen. Wo steht ihr, wo die Bodenverkehrsdienstleister oder andere Dienstleister, wie steht es um Personalbeschaffung, Qualität und Ausbildung? Wir haben ja eine gemeinsame Verantwortung für das Terminal 2.

Die Lufthansa war unglücklich, dass die Abfertigungsfirma gewechselt hat. Statt dem bewährten Unternehmen Swissport Losch kam ein unerfahrener Neuling, Aviapartner.

Nach der von der EU vorgegebenen Richtlinie musste die Leistung neu ausgeschrieben werden. Das macht auch nicht der Flughafen, sondern die Regierung von Oberbayern – und die trifft am Ende auch die Entscheidung. So ein Wechsel ist immer eine zusätzliche Herausforderung für reibungslose Abläufe bei der Abfertigung. Im Augenblick hat der neue Dienstleister einen eher geringen Marktanteil.

Ein Ärgernis ist nach wie vor, dass viele Flugzeuge auf dem Vorfeld stehen und die Passagiere mit Bussen an- und abtransportiert werden.

Die Zahl der Fluggastbrücken ist natürlich nicht unbegrenzt. Dennoch werden 70 Prozent aller Flüge terminalnah mit Fluggastbrücke abgefertigt. Bei lediglich 30 Prozent der Flüge müssen die Passagiere mit dem Bus abgeholt werden – das ist vor allem bei kleineren Maschinen der Fall. Wenn wir im ersten Halbjahr 2026 den neuen Flugsteig am Terminal 1 in Betrieb nehmen, gibt es auch dort enorme Verbesserungen – etwa für die Passagiere von Fluglinien wie der Emirates, von Quatar-Airways, Turkish Airlines, American, Delta oder auch Vietnam Airlines.

Anderes Thema: Die Ticketsteuer schwäche die Luftfahrtbranche, heißt es. Teilen Sie die Kritik?

Absolut. Als die Luftverkehrssteuer 2011 eingeführt wurde, hieß es, die Einnahmen von heute zwei Milliarden Euro im Jahr sollten zurück in die Luftfahrt fließen, für grüne Transformation etwa. Dies ist nie passiert. Die Einnahmen verschwinden im Bundeshaushalt. Daher sollte diese Steuer unbedingt wieder abgeschafft werden. Länder wie Griechenland zum Beispiel oder Italien, Spanien, die fördern ihre nationale Luftfahrt und liegen auch alle bei der Erholung nach Corona bei Passagierzahlen von 115 bis 120 Prozent über dem Niveau von 2019. In München liegen wir mit 86 Prozent zwar national an der Spitze, aber im europäischen Vergleich hinken wir hinterher.

Hat Ihnen die Deutsche Bahn im innerdeutschen Verkehr Passagiere abgenommen?

Bei der Verbindung München–Berlin kann man das so sehen, ja. Früher gab es hier wesentlich mehr tägliche Flugverbindungen. Im innerdeutschen Verkehr haben wir gerade 64 Prozent der Passagiere, die wir 2019 noch hatten. Im innereuropäischen Verkehr sind es aber 91 Prozent, im Intercontinental-Verkehr sogar 95 Prozent.

Können sich die Familien keinen Urlaub mehr leisten?

Doch, glücklicherweise schon. Die Familie gönnt sich die Flugreise, aber macht sie einen oder zwei Tage kürzer. Es ist schon wichtig für die Menschen zu reisen, das sehen wir deutlich. Der berühmte Warmwasserurlaub nach Spanien, Italien oder Griechenland ist den Leuten schon wertvoll. Aber es gibt auch, stärker als früher, Privatreisende, die sind bereit, für Fliegen wirklich viel zu zahlen.

Bleibt es dabei, dass Ryanair München nicht anfliegt?

Voraussichtlich ja, denn für das Geschäftsmodell der Ultra-low-cost-Carrier sind unsere Start- und Landegebühren unattraktiv. Aber grundsätzlich gilt natürlich: Vielfalt ist uns wichtig. Wir haben in diesem Jahr 90 Airlines in München und 220 Ziele. Wir bieten mehr Flüge nach Amerika an als jemals zuvor. Lufthansa fliegt jetzt nach Sao Paulo in Brasilien und Bangalore in Indien.

Trotzdem: Hand aufs Herz, bei dieser Entwicklung der Flugzahlen benötigen Sie doch keine 3. Startbahn?

Wir werden die Planung jetzt in keiner Weise vorantreiben, es gilt ja völlig uneingeschränkt das Moratorium der Staatsregierung. Bei dem Feststellungsantrag ging es nur darum, den rechtlichen Status quo zu klären. Wir haben als GmbH ja eine Verantwortung für das Vermögen und die Werthaltigkeit des Unternehmens. Wir wissen alle nicht, wo der Luftverkehr in zehn oder in 20 Jahren steht und welche Anforderungen die Zukunft an den Flughafen und seine Infrastruktur stellen wird.

Alten Rekorden hinterher

Der Flughafen München war seit seiner Eröffnung 1992 lange Jahre auf stabilem Wachstumskurs. Im Jahr 2020 dann der Einbruch, die Zahl der Passagiere sank aufgrund weltweiter Flugverbote infolge der Corona-Pandemie auf einen Tiefpunkt. Im ganzen Jahr 2020 wurden nur noch 147 000 Flüge gezählt – im Jahr zuvor waren es noch dreimal so viele. Aus diesem Delta hat sich der Flughafen nur langsam herausgearbeitet. 2023 waren es 302 000 Flüge, immer noch weit weniger als in den Rekordjahren 2007/08 (jeweils 432 000 Flüge). In diesem Jahr werden es etwa 330 000 Flüge sein. Auch die Zahl der Passagiere hinkt früheren Werten hinterher. 2023 waren es 37 Millionen, in diesem Jahr voraussichtlich etwas mehr, aber immer noch weniger als im Rekordjahr 2019 (47,9 Millionen). Ein Drittel sind dabei Umsteiger, die das Drehkreuz München nur zum Weiterflug nutzen, ohne Aufenthalt hier in Bayern.

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