Das historische Motiv von 1915 zeigt Mitarbeiterinnen der Telefonvermittlung der Deutschen Reichspost. © imago
Berlin 1977: Mitarbeiterinnen der Deutschen Bundespost an Fernsprechauskunftsplätzen. © Museumsstiftung Post
Die netten „Fräuleins vom Amt“: Ein undatiertes Bild aus Archivbeständen. © Deutsche Telekom
Pasewalk/München – Das Aus kam für die Mitarbeiter nicht überraschend. Seit Jahren wurde das Team des Call-Centers in Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern immer kleiner. Mitarbeiter gingen in den Ruhestand und wurden nicht ersetzt, andere wurden neuen Projekten zugeteilt. Am Ende waren von den einst 700 Kolleginnen und Kollegen, die den Anrufern mit Informationen zu Telefonnummern, Adressen und Öffnungszeiten zur Seite standen, nur mehr 50 übrig. Doch auch für sie ist jetzt Schluss. Am Sonntag hat die Telekom ihren Auskunftsservice unter der Rufnummer 11833 eingestellt. Auch die Auslandsauskunft und den Weckdienst gibt es ab sofort nicht mehr.
Die Telekom spricht vom „Ende eine Ära“. Fast 30 Jahre lang hat der Telekommunikationsanbieter die Auskunft, die ihren Ursprung wohl in den 1880er-Jahren hat (s. Artikel unten), betrieben. Genutzt wurde der Service aber immer weniger. „Letztlich können wir künftig den Dienst nicht mehr kostendeckend anbieten“, sagt Telekom-Sprecher Johannes Maisack. „Das ist der Punkt, an dem man bei aller verständlichen Nostalgie als Unternehmen betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen muss.“
1995 gab es noch 550 Millionen Anrufe
Früher gab es über ganz Deutschland verteilt 60 Standorte. Übrig blieb zuletzt nur das Call-Center in Pasewalk, betrieben von einem externen Dienstleister. Bereits im November wurde dort Abschied gefeiert. Es sei sehr emotional gewesen, berichten die, die dabei waren. Viele Mitarbeiter waren 15 Jahre und länger Teil des Auskunftsteams. Bei Bettina Krüger (Name geändert) waren es sogar fast 24 Jahre.
An die 350 Anrufe hat die 59-Jährige entgegengenommen, wenn sie für eine Acht-Stunden-Schicht eingeteilt war. „Es gab eigentlich nichts, zu dem ich nicht befragt wurde“, erzählt sie. Bei dem Gros der Anrufe sei es zwar um Telefonnummern und Adressen gegangen, aber daneben gab es auch Anfragen zu den Lottozahlen, zu Restaurants in der Nähe des Anrufers oder darüber, wie ein Fußballspiel ausgegangen ist.
Besonders in Erinnerung geblieben ist Krüger die Corona-Zeit. „Es gab viele Anfragen zu allen möglichen Themen, die mit Corona zu tun hatten“, sagt sie. „Als dann die Impfungen starteten, haben wir für unsere Kunden die Wege zu den Impfzentren herausgesucht oder die Öffnungszeiten recherchiert.“ Gerade in dieser Zeit seien alle Kunden sehr dankbar für die Antworten gewesen.
Thomas Zähringer hat bei der Telekom die Dienstleistung Auskunft betreut. „Die Kundenzufriedenheit war immer sehr hoch“, sagt er. „Hier haben wir regelmäßig Höchstwerte erreicht.“ Anders sah es bei der Zahl der Anrufer aus. 1995, als der Dienst noch intern von 6000 Telekom-Mitarbeitern erledigt wurde, erreichten den Service rund 550 Millionen Anfragen. „Ein sagenhafter Wert“, wie Zähringer auch heute noch findet, der danach aber nie wieder erreicht wurde. Die Nachfrage sank im Schnitt pro Jahr um 20 Prozent und lag zuletzt bei deutlich unter zwei Millionen Anrufen. „Das ist“, rechnet Zähringer vor, „über die Jahre gesehen ein Rückgang von insgesamt mehr als 99,6 Prozent.“
Gründe dafür gibt es mehrere. Da sind die Mitbewerber im Auskunftsgeschäft, die Ende der 1990er-Jahre auf den Markt drängten, darunter der weiterhin aktive Auskunftsservice der Telegate unter der Telefonnummer 11880. Zum Kult wurde die 11880-Werbung mit dem genial krummen Slogan von TV-Moderatorin Verona Pooth (damals noch Feldbusch): „Da werden Sie geholfen!“
Weitaus drastischer aber wirkte sich die Digitalisierung aus. 82 Prozent der Deutschen nutzen heute ein Smartphone, dazu kommen Tablets, PC und Notebooks. „Wer heute eine Adresse oder Telefonnummer sucht, nutzt das Internet“, sagt Telekom-Sprecher Johannes Maisack, der den Dienst als „aus der Zeit gefallen“ bezeichnet. „Menschen unter 30 werden das Angebot vermutlich nicht einmal mehr kennen.“
Tatsächlich war das Gros der Anrufer laut einer Telekom-Statistik von 2020 über 65 Jahre alt. Genau deshalb aber sorgt die Entscheidung, den Dienst abzuschaffen, auch für Kritik. Man lasse damit „vor allem arme, ältere Menschen und Menschen mit Behinderung zurück“, erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Viele Menschen könnten sich kein Smartphone leisten, hätten Schwierigkeiten im Umgang mit der Technik oder es mangele an barrierefreien Angeboten. Darum fordert der Sozialverband, weiterhin analoge Alternativen bereitzustellen.
Viele andere Anbieter noch am Markt
Maisack weist ganz offen darauf hin, dass es noch andere Dienstleister gibt, bei denen Anrufer am Telefon Auskunft bekommen. Die Bundesnetzagentur, die für Auskunftsdienste Rufnummern beginnend mit 118 vergibt, listete im November rund 70 Rufnummern für die Inlandsauskunft auf. Außerdem, so Maisack, gebe es nach wie vor das gedruckte Telefonbuch, das allemal günstiger sei, als bei der Auskunft anzurufen. Bei der Telekom lagen die Kosten zuletzt bei 1,99 Euro pro Minute. Anders als in der Schweiz oder den Niederlanden, die ihre gedruckten Telefonbücher bereits abgeschafft haben, soll es in Deutschland das Nummernverzeichnis auf Papier auch weiterhin geben (siehe Kasten).
Wie viel die Telekom mit der Auskunft einspart, gibt das Unternehmen nicht preis. Fest steht aber, was mit dem Geld passieren soll. „Die eingesparten Mittel werden wir in zukunftsfähige Infrastrukturen wie Glasfaser- und Mobilfunknetze sowie in digitale Services investieren“, sagt Maisack.
Für Bettina Krüger geht es nach fast einem Vierteljahrhundert Auskunftsdienst nun in den vorzeitigen Ruhestand: Ihre Kolleginnen und Kollegen kommen bei anderen Projekten unter. Eines hatte sich übrigens über all die Jahre nicht verändert. Es waren immer überwiegend Frauen, die für die Auskunft arbeiteten. „Schön war’s“, sagt Krüger zum Abschied. „Aber die netten Anrufer fehlen mir schon jetzt.“