INTERVIEW

„Man darf Deutschland nicht abschreiben“

von Redaktion

Börsenexperte Carsten Mumm über den Dax-Rekord und Aktien als Altersvorsorge

München – Trotz Krisen und Kriegen geht die Börsenparty weiter. Blenden Anleger dabei Risiken und Probleme aus? Wir haben darüber mit Carsten Mumm gesprochen, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel.

Herr Mumm, der Dax hat die 20 000 Punkte geknackt. Im Leitindex finden sich Autobauer, Industriekonzerne und Banken, aber kaum Zukunftsbranchen wie Technologie. Macht es überhaupt Sinn, in den Dax zu investieren?

Lassen Sie es mich so sagen: Es macht für Anleger jedenfalls Sinn, sich auch mal abseits des Dax umzusehen. In den USA findet man die großen Technologieriesen und Asien hat trotz der aktuellen Schwäche Chinas eine sehr dynamische, junge und technologieaffine Gesellschaft. Deshalb wird es dort in den nächsten Jahren die größten Wachstumsraten geben. Trotzdem sollte man Deutschland, die deutsche Industrie und auch den Dax nicht vorschnell abschreiben.

Im Moment sieht es für die deutsche Wirtschaft aber nicht gut aus, oder?

Es stimmt, den Dax haben vor allem ein paar große Konzerne nach oben gezogen: Siemens Energy, SAP, Munich Re und Rheinmetall etwa. Sie alle haben aber die klassischen deutschen Wirtschaftstugenden: Ihre Produkte sind hervorragend und die Firmen machen auf der ganzen Welt Geschäfte. Die Autowerte liegen dagegen völlig am Boden und auch Industriekonzerne wie Bayer oder BASF sind auf Jahressicht im Minus. Auch der M-Dax steht deutlich schlechter da als der Dax, hier sind die Unternehmen nicht so international wie im Dax. Das spiegelt die schlechte Wirtschaftslage in Deutschland wieder. Doch das kann auch eine Chance für Anleger sein.

Weshalb?

Weil es noch Aufholpotenzial gibt. Sinken die Zinsen und hellt sich die Wirtschaftslage auf, könnte das durchaus die sehr von der globalen Konjunktur abhängigen Industriewerte anschieben, die momentan im Minus sind – viele deutsche Aktien sind ja trotz Dax-Rekord weit weg von ihren Allzeithochs. Eine Ausnahme sind die Autobauer, die wohl noch länger mit der Transformation ihrer Branche zu schaffen haben.

Glauben Sie denn, dass sich die Lage bessert? Es gibt auch Risiken, Stichwort: Trump.

Ein Handelskrieg wäre tatsächlich ein Problem für Deutschland, ebenso eine weitere Eskalation im Nahen Osten. Sollte zum Beispiel die Ölproduktion im Iran beeinträchtigt werden, würde sich Öl verteuern. Das wäre nicht nur schlecht für die Wirtschaft, damit wäre auch Inflation wieder ein Thema. Die Hoffnungen auf weitere Zinssenkungen, welche die Börsen gerade stützen, würden sich zerschlagen. Doch auch hier gibt es positive Szenarien.

Welche denn?

Die Chance steigt, dass es im Ukraine-Krieg ein Ende der Kampfhandlungen gibt. Damit könnte der Blick Richtung Wiederaufbau gehen und es würde ein Faktor wegfallen, der die Börsen in Europa schon lange belastet.

An runden Marken fragen sich Anleger gerne, ob der Aktienkauf noch lohnt. Also: Lohnt er sich?

Wer keine Aktien besitzt, sollte nicht auf den nächsten Crash warten, sondern lieber zumindest teilweise sofort einsteigen – zum Beispiel mit einem monatlichen Fonds- oder ETF-Sparplan. Denn ein Tief abzupassen, ist reine Glückssache. Insgesamt muss man sagen: Aktien bleiben bei der Altersvorsorge Pflicht! Die Aktienmärkte steigen trotz zwischenzeitlicher Krisen und Crashs auf lange Sicht. Allein mit Zinspapieren bekommt man die nötige Rendite nicht.

Und was ist mit Kryptowährungen? Auch die gehen gerade ziemlich durch die Decke.

Ja, dafür sind die Abstürze dort auch sehr, sehr schmerzhaft. Krypto-Anlagen werden Aktien als Portfoliobaustein nicht ersetzen können. Ich rechne trotzdem damit, dass sie bei der Kapitalanlage künftig eine stärkere Rolle spielen. Man sollte aber nicht mehr als ein bis fünf Prozent investieren.

Artikel 2 von 4