Anna lernt ein neues Leben

von Redaktion

Völlig unerwartet verliert die 40-Jährige ihren Mann und muss mit ihren Kindern ganz von vorne anfangen

Erinnerungen: Anna Monroy zeigt Bilder ihres Mannes Julian, der im Juli mit erst 34 Jahren an einem Aneurysma starb. © cm

Am Wochenende vor dem Unglück waren die Monroys noch auf dem Mittelalterfest in Gräfenberg, wo dieses Foto entstand.

Ein Bild aus glücklichen Tagen: Anna und Julian Monroy mit ihren Söhnen und mit Hund Melli. © Fotos (2): privat

Gräfenberg – Es ist der 16. Juli. Wie gewohnt trinken Anna und Julian Monroy aus Gräfenberg im Kreis Forchheim noch einen Kaffee zusammen, nachdem sie Luis (9) und Pablo (6) in die Schule gebracht haben. Wie gewohnt geben sie sich einen Kuss zum Abschied, als Julian mit Hund Melli zur Arbeit fahren will. Doch etwas ist anders an diesem Tag, erinnert sich die 40-Jährige. „Er kam noch einmal zurück und hat mich richtig fest gedrückt. Er hat gesagt: Ich lieb dich ganz doll, das weißt du, oder?“ Sie scherzen noch, dann geht er aus dem Haus. „Das war‘s“, sagt sie leise. Es sind Julian Monroys letzte Worte. Nur wenig später gerät sein Kleinbus auf die Gegenfahrbahn und kollidiert mit einem Betonmischer.

Nicht einmal fünf Monate ist es her, dass der jungen Familie von einer Sekunde zur nächsten der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ein unerkanntes Aneurysma im Kopf, das auf der Fahrt platzt, reißt den Familienvater aus dem Leben – mit 34 Jahren. Anna Monroy versucht seither, ihr Leben irgendwie weiterzuführen. „Das Schwerste war, meinen Kindern zu sagen, dass ihr Vater verstorben ist“, sagt die 40-Jährige mit Tränen in den Augen. Das Wort „tot“ mag sie nicht in den Mund nehmen. Ebenso wenig wie „Witwe“.

Nicolaidis-Stiftung hilft bei der Bewältigung

Der fröhliche Julian, immer zu einem Spaß aufgelegt, der so gerne Quatsch machte mit den Kindern, kommt nicht zurück? Der Mann, den sie in einer Diskothek kennenlernte, als er sie vor einem zudringlichen Mann beschützte. Der ihr erst Monate später gestand, dass er erst 21 Jahre alt war, während sie schon 27 war. Der ihren Traum von einer Familie mit ihr verwirklichte. Vor einem Jahr hatte das Paar ein Haus gekauft. Julian Monroy war selbstständiger Werbegrafiker. Ihr Leben hatte doch erst begonnen.

Richtig begriffen, dass ihr Papa nie mehr wiederkommt, haben Luis und Pablo nicht. Anna Monroy spricht viel mit ihren Söhnen. „Wir denken, dass der Julian irgendwo bei uns ist. Nicht verschwunden.“ Wie sich ihre Kinder fühlen, weiß Anna Monroy ganz genau. Sie war selbst erst zwölf Jahre alt, als ihr Vater an einem Hirntumor starb. „Ich bin fassungslos, dass das im Leben zweimal passieren kann.“ Ihre Mutter kommt noch am Abend jenes tragischen Tags im Juli aus dem Rheinland angereist. „Ich lebe dein Leben noch mal“, weint Anna in die Arme ihrer Mutter.

Während das Leben der kleinen Familie völlig aus der Bahn geworfen ist, steht Anna Monroy zugleich vor einem Riesenberg an behördlichen Aufgaben. Sie sucht sich Hilfe bei einer Trauerbegleiterin – und die macht sie aufmerksam auf die „Nicolaidis YoungWings Stiftung“ in München. Eine Einrichtung, die junge Menschen begleitet, die früh ihren Lebenspartner oder ihre Eltern verloren haben. „Ich habe schnell ein Zoom-Meeting bekommen“, sagt sie dankbar.

Bei ihrer Beraterin fühlt sie sich sofort aufgehoben: „Sie hat auch früh ihren Mann bei einem Betriebsunfall verloren.“ Bei der Stiftung bekommt sie Rat, was sie bezüglich der Halbwaisen- und Witwenrente in die Wege leiten muss. Welche Papiere erforderlich sind und wo sie die bekommt.

Wer glaubt, dass in solch tragischen Fällen die Behörden unbürokratisch und schnell helfen, der täuscht sich. Bis heute hat Anna Monroy noch keinen Cent von der Rentenversicherung erhalten. Sie lebt von 500 Euro Kindergeld. Eltern, Schwiegereltern und Geschwister stehen ihr zur Seite. Eine private Spendenaktion hilft fürs Erste über die Runden: 60 000 Euro sind zusammengekommen. Anfangs schämt sich Anna, heute ist sie dankbar. Denn die finanzielle Situation der Monroys ist dramatisch. „Von jetzt auf gleich stand ich da und wusste nicht, wie ich die Miete oder die Beerdigung bezahlen soll.“

Die Polizei will 400 Euro für die Lagerung der Leiche

Auch der Traum vom eigenen Haus ist mit Julian gestorben. Sie wollten es umbauen. Dann gab es Pfusch am Bau, Streit mit dem Bauunternehmer. „Das Haus steht jetzt ohne Fenster da, wie eine Ruine. Undich habe einen Kredit über 650 000 Euro am Hals.“ Das halb fertige Haus kann sie nicht verkaufen, erst muss der Rechtsstreit beendet sein. Die Lebensversicherung ihres Mannes über 250 000 Euro reicht längst nicht aus, um den Kredit zu decken. Anna war bei ihrem Mann mit einem 520-Euro-Job angestellt. Auch dieses monatliche Zubrot ist weg. Die gelernte Floristin verkauft nebenbei selbst gefertigten Schmuck. Julian war ihr größter Unterstützer, warb überall für ihre Ringe und Ketten. Zumindest weiß sie, dass sie die große Witwenrente bekommen wird wegen der kleinen Kinder. Ohne die Unterstützung der Stiftung hätte sie aber nicht gewusst, was sie alles machen muss.

Trotz aller Traurigkeit macht sich Anna Monroy Mut: „Ich bin bereit, mein Leben weiterzuleben.“ Sie ist von Natur aus ein lebensfroher Mensch. Auch beim Gespräch lacht sie, aber das Lachen geht oft nahtlos in große Traurigkeit über. Begleitet von Fassungslosigkeit über Reaktionen von Behörden. Etwa, dass sie eine Woche nach Julians Tod von der Polizei eine Rechnung erhält: Einlagerung der Leiche, 400 Euro. „Man ist mitten in seiner Trauer und kann es gar nicht fassen – dann kommt so ein Brief.“ Das kann sie bis heute nicht verstehen. Die Leasingfirma des Unglückswagens fordert sie auf, als Erbin den Vertrag zu übernehmen. Erschüttert ruft sie dort an: „Hören Sie mal! Das Auto ist Schrott, das ist ein Totalschaden! Mein Mann ist in diesem Auto ums Leben gekommen!“ Kaum einer, sagt sie, denke darüber nach, was man denen antue, die zurückbleiben.

Pablo und Luis stellen viele Fragen über Tod und Trauer. Anna versucht, es ihnen zu erklären: „Stellt euch Schubladen in euch drin vor. Wir packen jetzt die Lade mit der Trauer zu. Manchmal ist es nicht schön, wenn sie den ganzen Tag offen ist. Wir wollen glücklich sein und auch lachen. Manchmal, wenn man stark genug ist, machst du die Schublade einen Moment auf und lässt ein bisschen Trauer raus. Dann machst du sie wieder zu.“

So hat sie es sich als Kind vorgestellt, so gibt sie es jetzt an ihre Kinder weiter. Nach wie vor weiß sie nicht wirklich, wie es weitergehen soll. „Ich versuche selbst mein Bestes, um die Kinder aufzufangen.“ Anna Monroy fährt wieder auf Märkte, wo sie ihren Schmuck verkauft. Früh hat sie auch über Soziale Medien kommuniziert, was passiert ist, weil sie überzeugt ist: „Wenn ich das nicht in der Öffentlichkeit äußere, wird es für mich niemals real.“

Hinterbliebene wünschen sich mehr Unterstützung

Die 40-Jährige würde sich wünschen, besser aufgefangen zu werden. „Dass es da eine öffentliche Stelle gibt in der Stadt oder beim Bezirk, wo Menschen sind, die einem in der ersten Zeit, wo man gar nicht man selbst ist, beistehen. Ich habe bestimmt einen Monat gebraucht, um zu kapieren: Ich muss ja den Strom auf mich ummelden.“

Langsam sieht Anna Monroy Licht am Ende des Tunnels. In zwei bis drei Jahren hofft sie, das Hausdebakel gelöst zu haben. Hilfe bekommt sie von ihrem Rechtsanwalt und von ihrem Onkel, der Baugutachter ist. Ihre Trauerbegleiterin unterstützt sie, erklärt ihr, dass es ganz normal ist, dass sie sich zurzeit gar nicht richtig an ihren Mann erinnern kann. „Dein Körper schützt dich gerade vor deiner krassen Trauer. Die Erinnerung kommt, wenn du damit umgehen kannst“, hat sie ihr gesagt. Was sie tröstet, ist das Wissen, dass ihr Mann nichts gemerkt hat von seinem Tod.

Eine Freundin hat sie gefragt: „Wie kannst du überhaupt aufstehen?“ Ihre Antwort: „Das Leben ist schön.“ Sie ist es Julian schuldig, findet sie. Julian war ein fröhlicher und mutiger Mann. Anna will sich jetzt auch mehr trauen. Im Sommer war sie mit ihren Söhnen im Kletterwald. Und dort gab es eine Seilrutsche. „Früher hätte ich gesagt, das mache ich im Leben nicht.“ Dieses Mal schoss sie mit Luis mit 60 Kilometern pro Stunde an dem Seil über den Igelsbachsee. Julian wäre stolz auf sie gewesen.

Mehr Informationen

zur Arbeit der Stiftung findet man im Internet unter der Adresse: www.nicolaidis-youngwings.de

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