Nach dem Fall des Regimes sitzt ein Oppositionskämpfer in einem Büro im Präsidentenpalast in Damaskus. © Omar Sanadiki/dpa
Auch in Homs feierten Einwohner den Fall der Hauptstadt Damaskus an die Oppositionskräfte. © Ghaith Alsayed/dpa
Ein Oppositionskämpfer tritt in Damaskus auf den abgetrennten Kopf einer Statue des Ex-Präsidenten Hafis al-Assad. © Hussein Malla/dpa
München – Bis zuletzt hatte Baschar al-Assad wohl auf seine starken Verbündeten gehofft. Schließlich hatten sie ihn schon einmal an der Macht gehalten (siehe Artikel unten). Aber Russland ist im Ukraine-Krieg gebunden, die Hisbollah im Libanon von der israelischen Armee zerschossen, und auch der Iran scheint zu geschwächt, um sich in Syrien stark machen zu können. In den Morgenstunden am Sonntag kam deshalb das Ende. Assad setzte sich ab. Die russische Nachrichtenagenturen Tass und Ria Nowosti berichteten wenig später unter Berufung auf eine Kreml-Quelle, dass Assad und seine Familie nach Russland geflohen seien. Dort habe man ihnen „aufgrund humanitärer Erwägungen“ Asyl gewährt.
Dass das Regime am Ende ist, scheint unwiderruflich. Der Kreml schnitt am Sonntag die letzten Bande durch. Assad habe seinen Posten verlassen, teilte das russische Außenministerium mit. Assad habe eine friedliche Machtübernahme angeordnet, hieß es weiter. „Russland hat sich an diesen Verhandlungen nicht beteiligt. Zugleich appellieren wir nachdrücklich an alle beteiligten Parteien, auf Gewaltanwendung zu verzichten und alle Fragen der Staatsführung mit politischen Mitteln zu lösen.“ Russland könne Syrien nicht mehr unterstützen.
So klingt das, wenn man jeden Rückhalt verloren hat. Kurz wurde sogar spekuliert, Assad habe sich in einem Flugzeug befunden, das plötzlich vom Radar verschwand. Gerüchte über einen Abschuss der Maschine zirkulierten.
Die Rebellen unter Führung der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) verkündeten im syrischen Staatsfernsehen und über Soziale Medien ebenfalls den Sturz Assads. Nach der „Unterdrückung“ sei nun „der Beginn einer neuen Ära für Syrien gekommen“. In Damaskus feierten viele Einwohner mit den Rebellen, Feuerwerke wurden gezündet. Ein Video zeigt Rebellen, die den Präsidentenpalast und dessen Gärten erkunden. Die HTS verkündete, ihre Kämpfer hätten tausende Häftlinge des Regimes aus dem berüchtigten Sednaja-Gefängnis am Rande von Damaskus befreit. Es gibt aber auch Bilder vom Flughafen in Damaskus mit Menschen, die panisch und ohne jede Sicherheitskontrolle zu den Gates stürmen, um das Land zu verlassen.
Klar ist: Nach Assad herrscht jetzt ein Machtvakuum in einem Land, das in der Region enorme strategische Bedeutung hat. Das Bündnis der Rebellen wird derzeit von der HTS unter ihrem Anführer Abu Mohammed al-Dscholani angeführt. Ob al-Dscholani selbst nach der Macht greift oder freie Wahlen kommen, ist unklar.
Das große Problem: Das Bündnis der Rebellen ist heterogen. Neben der HTS gibt es die starken Kurdenmilizen aus dem Norden sowie Zellen der Terrormiliz Islamischer Staat. Nicht zu vergessen die Drusen-Milizen im Süden Syriens. Nach dem Sturz des gemeinsamen Feindes könnten unterschiedliche Interessen neue Rivalitäten entfachen. So sehen die Kurden die Nähe der HTS zur Türkei mit großer Sorge.
Al-Dscholani hatte sich zudem schon vor Längerem öffentlich vom Islamischen Staat losgesagt und einen moderateren Kurs eingeschlagen. Der HTS-Anführer setzt, zumindest vordergründig, auf Diplomatie und Versöhnung, spricht davon, keine Rache-Anschläge etwa gegen die USA zu planen. Wie der Mann, der seine Karriere als radikaler Islamist begann und dem auch Folter und Hinrichtungen vorgeworfen werden, tatsächlich agieren wird, ist eine unbeantwortete Frage.
Am Wochenende rief al-Dscholani jedenfalls zur Mäßigung auf. Er verbot den Rebellen, öffentliche Einrichtungen zu stürmen. Dennoch kam es offenbar zu Plünderungen der iranischen Botschaft in Damaskus. Maslum Abdi, Anführer der kurdischen „Demokratischen Kräfte Syriens“ (SDF) sprach von einem historischen Moment. Der Wandel biete eine Chance, ein neues, demokratisches und gerechtes Syrien aufzubauen. Syriens Regierungschef Mohammed al-Dschalali erklärte in einem Video: „Wir sind bereit, mit jeder Führung, die von den Menschen in Syrien bestimmt wird, zusammenzuarbeiten. Und eine reibungslose Machtübernahme sicherzustellen.“
Die neuen Machtverhältnisse stehen auch unter dem Druck vieler ausländischer Interessen. So verliert der Iran mit Baschar al-Assad einen strategischen Verbündeten. Syrien war für die Mullahs ein wichtiger Korridor zur libanesischen Hisbollah. Auch deshalb flossen Milliarden US-Dollar aus Teheran in Richtung Assad.
Einige Beobachter sehen sogar den großen Wendepunkt für die sogenannte „Achse des Widerstands“, die der Iran gegen Israel geschmiedet hatte. Nach der Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija sowie Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und nun der Flucht Assads wurden innerhalb weniger Monate drei Spitzenfiguren der „Achse“ ausgeschaltet. Ein Mitglied der iranischen Revolutionsgarden verglich die Ereignisse in Syrien mit dem Fall der Berliner Mauer, berichtet eine Iran-Reporterin der „New York Times“.
Interessen gibt es auch in Moskau und Ankara. Auch wenn Putin Assad nicht mehr an der Macht halten konnte, wird er versuchen, den Fuß in Syrien zu behalten. Russland hat wichtige Luft- und Marine-Stützpunkte an der Mittelmeerküste, die zentral für sein Engagement im Nahen Osten und auch in Afrika sind. Vorsichtshalber hatte Putin seine Flotte dort wegen der Rebellen-Offensive aufs offene Meer befohlen. Wie russische Nachrichtenagenturen berichteten, sollen die Islamisten Moskaus Stützpunkten Sicherheit zugesagt haben. Angeblich gibt es aber schon Debatten im russischen Parlament über einen möglichen Rückzug aus Syrien.
Unklar ist, ob und welche Absprachen die Türkei mit der HTS-Miliz hat. Präsident Erdogan würde gerne Flüchtlinge zurückführen. Und er will eine Ausweitung kurdischer Milizen an der Grenze zur Türkei verhindern.
Die USA haben noch rund 900 Soldaten zum Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien stationiert. Laut US-Präsident Joe Biden sollen sie vorerst dort bleiben. Sein Nachfolger Donald Trump schlägt andere Töne an. Die USA würden sich nicht in Syrien einmischen, sagte er. Es sei nicht ihr Kampf.