Rückkehr in die Ungewissheit

von Redaktion

Voller Vorfreude Richtung Heimat: Ein Rückkehrer am Grenzübergang Masnaa zwischen dem Libanon und Syrien. © IMAGO

Warten auf syrische Rückkehrer: Ein bewaffneter Oppositionskämpfer sitzt auf einem Bürostuhl vor der Ankunftshalle des Flughafens in Aleppo. Die Rebellen haben syrische Flüchtlinge auf der ganzen Welt zurückgerufen. © Omar Albam/dpa

München – Sie haben gar nicht lange überlegen müssen: Gleich nach dem Sturz des Assad-Regimes kehren tausende Syrer heim. Im Netz kursieren Bilder von nicht enden wollenden Staus vor türkisch-syrischen Grenzübergängen. Auch an der libanesischen Grenze strömen Syrer in Massen in Richtung Heimat, vollbepackt mit Taschen und Koffern. Sie jubeln, lachen, knipsen Fotos. Es sind Bilder der Vorfreude – und der Erleichterung. Nach jahrelanger Flucht sind sie keine Vertriebenen mehr.

Die Euphorie schwappt auch nach Deutschland über. Während auf den Straßen tausende Syrer das Ende der Terrorherrschaft feiern, diskutiert die Politik bereits über ihre Rückkehr: Fast eine Million Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft leben hierzulande – mehr als zwei Drittel von ihnen sind Schutzsuchende. Unionsfraktionsvize Jens Spahn fordert, sie bei ihrer Heimkehr zu unterstützen: „Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurück will nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro.“ Außerdem solle Deutschland mit Österreich, der Türkei und Jordanien eine „Wiederaufbau- und Rückkehrkonferenz“ organisieren, sagt der CDU-Politiker – das sind die vier Länder, die die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen haben. Seine Co-Vize Andrea Lindholz (CSU) fordert zudem einen Aufnahmestopp – Deutschland habe seine humanitäre Verpflichtung gegenüber Syrern bereits „übererfüllt“, sagt sie.

Politiker von SPD und Grünen treten hingegen auf die Bremse: An der Spitze der Aufständischen stünden auch islamistische Gruppen, denen er nicht „über den Weg traue“, sagt etwa SPD-Außenpolitiker Michael Roth. Forderungen nach einem Aufnahmestopp seien populistischer Wahlkampf. Der Europa-Abgeordnete Erik Marquardt (Grüne) drückt sich noch schärfer aus: Wer gleich nach Assads Sturz über Abschiebungen statt Wiederaufbau redet, habe den „politischen Weitblick einer durchschnittlichen Seegurke“.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat inzwischen alle Asyl-Verfahren von Syrern gestoppt. Die Lage sei noch völlig unübersichtlich, jede Entscheidung stehe „auf tönernen Füßen“, heißt es gegenüber dem „Spiegel“. Ressortchefin Nancy Faeser (SPD) sagt, es sei „unseriös, in einer so volatilen Lage“ über Rückführungen zu spekulieren.

Der Migrationsexperte Friedrich Püttmann von der Denkfabrik European Stability Initiative kann die Entscheidung des Bamf nachvollziehen – allerdings wäre es seiner Meinung nach „voreilig, zu meinen, dass ab jetzt kein Asylgrund für Syrer mehr bestehen kann“. Man wisse überhaupt noch nicht, „in welche Richtung sich der Machtwechsel entwickelt und was das für syrische Bürger bedeuten wird“, sagt er gegenüber unserer Zeitung. Gleichzeitig sei es nicht falsch, über Anreize wie Spahns Handgeld-Vorschlag zu sprechen. „Natürlich gibt es viele Syrer, die nun zurückkehren wollen – und es ist keine schlechte Idee, ihnen das finanziell möglich zu machen.“

Es sei auch in Deutschlands Interesse, die Heimkehr der Syrer zu begleiten, sie nicht sich selbst zu überlassen. „Dazu gehört auch die Bekämpfung der Fluchtursachen“, sagt Püttmann. „Deutschland hat jetzt die Chance, an der Stabilisierung Syriens mitzuwirken und diese Aufgabe nicht allein Ländern wie der Türkei zu überlassen – denn Erdogan hat womöglich ganz andere Vorstellungen davon, wie Stabilität in Syrien erzeugt wird.“

Noch ist unklar, wie sicher es in Syrien sein wird. Die islamistische Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die den Putsch in die Wege geleitet hat, habe sich zwar in den vergangenen Monaten und Jahren darum bemüht, „sich von ihren dschihadistischen Ursprüngen zu distanzieren“, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Doch letztlich müsse man sie an ihren Taten messen. Eine Gefahr geht auch vom IS aus: US-Streitkräfte haben nach dem Umsturz mehr als 75 Stellungen der Dschihadistenmiliz angegriffen. Laut Befehlshaber Michael Kurilla gebe es die Befürchtung, dass die Terrororganisation versuchen könnte, sich neu zu formieren.

Der österreichische Sozialwissenschaftler und Migrationsforscher Gerald Knaus erwartet aber auch nach dem Machtwechsel keine neue Fluchtbewegung aus Syrien nach Europa. Es seien bereits seit einigen Jahren kaum noch Vertriebene aus Syrien in die Türkei geflohen, sagt er auf Anfrage unserer Zeitung. Dennoch sei ein neuer Migrationspakt mit Erdogan nun für Deutschland „das Allerwichtigste, was die nächste Regierung machen kann, um irreguläre Migration ohne Verletzung der Menschenrechte zu reduzieren“. Das werde schwierig, aber nicht schwieriger als 2016. Der Schlüssel sei „ein gutes Angebot aus Berlin“, betont der Experte.

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