Folterwerkzeug aus dem Saidnaya-Gefängnis. Ein Mann zeigt zwei Seile in Form von Schlingen. © Hussein Malla/dpa
Zwei Frauen, deren Angehörige inhaftiert waren, stehen in Tränen aufgelöst vor dem Saidnaya-Gefängnis. © Malla/dpa
Vom Assad-Regime zu Tode gefoltert: Helfer bergen die rund 40 Opfer, die aufgestapelt in der Leichenhalle gefunden wurden. © Anadolu/Getty Images
München/Damaskus – Die Bilder sind nur schwer auszuhalten. Ausgestochene Augen, fehlende Zähne, Blutergüsse, Wunden. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erahnen, was die Opfer vor ihrem Tod erleiden mussten. Eingewickelt in weiße Tücher oder Plastiksäcke liegen sie vor den Kämpfern der Rebellenmiliz. Aufgestapelt in der Leichenhalle der Klinik. Die Säcke sind mit Namen oder Zahlen markiert, manche Tote sind bekleidet, andere nackt. Und viele von ihnen sind offensichtlich noch nicht lange tot. Sogar die kampferprobten Milizen sind schockiert. Der Anblick sei grauenhaft gewesen, sagt einer der Nachrichtenagentur AFP. Wer die Opfer sind, ist noch unklar. Die etwa 40 Leichen wurden zur Identifizierung in ein anderes Krankenhaus nach Damaskus gebracht. Aber sie sind schon jetzt ein Symbol für die zehntausenden Menschen, die das Assad-Regime ermorden und verschwinden ließ.
Vermutlich stammen die Opfer aus dem berüchtigten Saidnaya-Gefängnis nördlich von Damaskus. Am Wochenende hatten die Rebellen alle Gefangenen befreit und den verwinkelten Komplex mit seinen unterirdischen Stockwerken nach geheimen Zellen durchsucht. Tausende Menschen strömten zum Gefängnis, in der Hoffnung, vermisste Angehörige lebend zu finden oder irgendetwas über ihr Schicksal zu erfahren. Eine von ihnen war die 65-jährige Aida Taha. Ihr Bruder wurde 2012 verhaftet. „Wie eine Verrückte“ sei sie hierhergelaufen, erzählt sie. Was aus ihrem Bruder wurde, erfährt sie auch heute nicht.
Das Saidnaya-Gefängnis war ein Ort der Entmenschlichung. Ein unterirdisches Labyrinth, das die Syrer „Schlachthaus“ nannten. Laut der Vereinigung der Häftlinge und Vermissten im Saidnaya-Gefängnis (ADMSP) wurde die Haftanstalt mit dem Beginn des Bürgerkriegs 2011 zu einem Todeslager. Um die 150 000 Menschen sollen hier inhaftiert gewesen sein, darunter viele Oppositionelle. Wer hier verschwand, tat das ohne Prozess.
Weil die Ebenen des Gefängnisses elektronisch verschlossen waren, bahnten sich die Befreier mit improvisierten Werkzeugen den Weg zu den Zellen. Mit Spürhunden durchkämmten Suchteams den Komplex. „Alle Eingänge, Ausgänge, Luftschächte, Abwasseranlagen, Wasserrohre, Kabelschächte und Überwachungskameras wurden überprüft“, sagte ein Sprecher des als „Weißhelme“ bekannten syrischen Zivilschutzes.
Videos in Sozialen Medien zeigen Gefangene, die barfuß in die Freiheit torkeln, viele schwach und ausgemergelt. Auch befreite Frauen und Kinder sind zu sehen. Auf X kursiert ein Video von Männern, die sich in den Armen liegen und erzählen, dass sie an diesem Morgen hätten hingerichtet werden sollen. Statt der Henker kamen die Rebellen.
Die Überlebenden werden nun Stück für Stück die ganze Geschichte des Gefängnisses erzählen. Nach Schätzungen der Weißhelme wurden hier jeden Tag zwischen 50 und 100 Menschen hingerichtet und verbrannt. Weißhelme-Leiter Raid al-Saleh sagte, sein Team hätte Leichen in Öfen entdeckt. Amnesty Internatonial berichtet von einem Raum mit 30 Schlingen, um Häftlinge zu erhängen. Überlebende und Aufseher erzählen von einer Menschenpresse, bekannt als „fliegender Teppich“. In der eisernen Presse sollen Gefangene zu Tode gequetscht worden sein. Ein von der US-amerikanischen Bildagentur Getty Images veröffentlichtes Foto vom 9. Dezember zeigt Befreier, die im Gefängnis vor einem Gerät stehen, das einer solchen Todespresse gleicht.
Rebellen erstellen Liste der Täter
Nach Angaben der Weißhelme wurde die Durchsuchung des Gefängnisses inzwischen beendet. Trotz der „umfangreichen Bemühungen“ habe man „keine versteckten oder verschlossenen Bereiche entdeckt“. Für viele Syrer dämpft das die Hoffnung, verschwundene Angehörige doch noch lebend zu finden. Die Suche nach Opfern geht dennoch weiter. Auch außerhalb des Gefängnisses gebe es Massengräber, so die Weißhelme. Zahllose Leichen müssten identifiziert werden.
Die Rebellenmiliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) will die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. An der Folter beteiligte Ex-Offiziere sollen namentlich in einer Liste benannt, gesucht und bestraft werden. „Wir werden jedem Belohnungen anbieten, der Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellt, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren“, teilte HTS-Anführer Ahmed al-Scharaa mit, der seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Dschulani abgelegt hat. „Wir werden Kriegsverbrecher verfolgen und Länder, in die sie geflohen sind, um deren Überstellung bitten“, heißt es in der Erklärung weiter.
Zu den Opfern des Assad-Regimes gibt es keine gesicherten Zahlen. Baschar al-Assad hatte die Vorwürfe stets als „haltlos“ zurückgewiesen. Menschenrechtler schätzen, dass zwischen 2011 und 2018 allein in Saidnaya rund 30 000 Menschen starben. Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) spricht seit 2011 von mindestens 15 000 Toten allein durch Folter. 98 Prozent der Fälle seien dem Assad-Regime zuzuschreiben, dutzende Fälle aber auch HTS oder anderen syrischen Milizen wie dem Islamischen Staat.