Berlin – Es ist der erste formelle Schritt auf dem Weg zur vorgezogenen Neuwahl: Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat gestern unter Berufung auf Artikel 68 des Grundgesetzes bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) den Antrag auf die Vertrauensfrage gestellt. Das Parlament wird ihm dann am kommenden Montag in namentlicher Abstimmung das Vertrauen aussprechen oder eben nicht. Scholz´Ziel ist es, die Abstimmung zu verlieren.
Was auf den ersten Blick absurd klingt, ist Teil einer längst getroffenen Absprache mit der Opposition. Denn nach dem Rausschmiss von FDP-Finanzminister Christian Lindner ist Konsens, dass der Bundestag etwa sieben Monate früher neu gewählt wird – am 23. Februar. Derzeit führt Scholz eine von SPD und Grünen getragene Regierung ohne Mehrheit, die ohne die Opposition nichts mehr durchsetzen kann. Mit der Vertrauensfrage kann Scholz selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeiführen. Die Parteien sind auch längst schon im Wahlkampfmodus.
Am Montag wird Scholz im Bundestag seine Gründe für die Vertrauensfrage erläutern. Anschließend wird es eine 90-minütige Aussprache geben. Danach entscheidet der Bundestag voraussichtlich namentlich, was bedeutet, dass das Abstimmungsverhalten jedes Abgeordneten öffentlich wird.
Dass Scholz keine Mehrheit bekommt, ist ziemlich sicher, auch wenn es einen Unsicherheitsfaktor gibt. Dem Bundestag gehören 733 Abgeordnete an. Um das Vertrauen zu bekommen, müsste Scholz 367 Stimmen erhalten – die absolute Mehrheit aller Parlamentarier, auch „Kanzlermehrheit“ genannt. Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Die Grünen haben sich noch nicht entschieden, ob sie für Scholz stimmen oder sich enthalten. Das liegt an der AfD. Sollten SPD und Grüne geschlossen für Scholz stimmen, wären das nur 43 Stimmen weniger als die Kanzlermehrheit. Die AfD (76 Abgeordnete) könnte theoretisch Scholz zu einer Mehrheit verhelfen, da sie Scholz für das kleinere Übel hält als den Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Es ist also gut möglich, dass die Grünen auf Nummer sicher gehen und mit der SPD vereinbaren, dass sie sich enthalten.
Sollte Scholz mit Stimmen der AfD gewinnen, könnte er als Bundeskanzler weitermachen. Wahrscheinlicher ist aber, dass er dann zurücktritt und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlägt, den Bundestag aufzulösen, wozu der drei Wochen Zeit hat, also bis zum 6. Januar. Wenn Steinmeier sich dafür entscheidet, muss die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Theoretisch könnte Steinmeier die Auflösung auch verweigern, denn in Artikel 68 steht nur, dass der Bundespräsident den Bundestag auflösen kann – nicht, dass er ihn auflösen muss. Steinmeier hat aber bereits erklärt: „Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung.“
Der alte Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen. Das Parlament kann weiter Gesetze beschließen, auch seine Gremien wie Untersuchungsausschüsse bestehen bis zum Ende der Wahlperiode fort. Auch die Bundesregierung ist weiterhin im Amt – und zwar in vollem Umfang. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestages endet laut Artikel 69 Grundgesetz das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Der neue Bundestag tritt spätestens am 30. Tag nach seiner Wahl zusammen. Sollte bis dahin noch keine Koalition stehen, kann der Bundespräsident den Kanzler ersuchen, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen. Dazu ist dieser dann verpflichtet. Gleiches gilt für Ministerinnen und Minister.