Warum die Bayern das Christkind anschießen

von Redaktion

Dialekt-Experte Karl Simon erklärt Begriffe und Bräuche rund um die Advents- und Weihnachtszeit

Christkindl-Anschießen: Weihnachtsschützen des Berchtesgadener Landes begrüßen das Christkind und vertreiben zugleich Wintergeister. © Picture Alliance

Ein Fatschnkindl in der weihnachtlichen Wallfahrtskirche Hohenpeißenberg. © GRONAU

Ein Paradeisl. © H. Gebhardt

Ein Oaschpfeifenrössl. © HerrZog

Butzkiah nennt man in Bayern die Zapfen der Nadelbäume. © pa

Graigodern heißt die Zither in Bayern auch. © Christian Endt/pa

München – Kleine Kühe, raue Gesellen und die Mettensau – all das hat in Bayern mit der Advents- und Weihnachtszeit zu tun. Perchten ziehen umher, zum besinnlichen Lied packt der Musikant den Graigodern aus. Dialekt-Experte Karl Simon aus Schäftlarn, Kolumnist unserer Zeitung („Wo kimmts her?“) und Mitglied im Förderverein Bairische Sprache und Dialekte, erklärt, was man in diesen Tagen wissen sollte.

■ Anklöpfeln

Das Anklöpfeln ist ein heidnischer Brauch aus dem Mittelalter. Hirten und Tagelöhner zogen an den drei Donnerstagen vor Weihnachten („Klöpfelnächte“) von Hof zu Hof und sangen Lieder für eine gute Ernte und Gesundheit. Von den Bäuerinnen bekamen die „Klöpfler“ dafür Essbares.

Entwickelt hat sich der Brauch aus dem Glauben, dass zu bestimmten Zeiten die Seelen der Toten zurückkehren. Darum stellten die Menschen an den drei Donnerstagen vor Weihnachten Seelennäpfe vor ihre Häuser, gefüllt mit Bohnenbrei und Schmalznudel – Wegzehrung für die Seelen. Wenn sich Arme bedienten, hatte auch keiner was dagegen.

Mit der Gegenreformation wurde das Anklöpfeln christianisiert und mit der Herbergssuche von Maria und Josef in Verbindung gebracht. Auswüchse gab’s trotzdem: Mittenwalder Burschen organisierten Anfang des 20. Jahrhunderts große Betteltouren bis nach Bad Tölz, bei denen es auch zu Raufereien kam. Heute halten vor allem Schulkinder diesen Heischebrauch (Erbitten von Gaben) in einigen oberbayerischen Gemeinden lebendig. Gesungen wird dabei gerne das Adventslied: „Wer klopfet an?“

■ Butzkiah

sammelte man früher im winterlichen Wald als Brennmaterial. Gemeint sind die Zapfen von Nadelbäumen. Butz bedeutet etwas Kleines, weshalb das Baby auch Butzerl heißt. Kiah sind Kühe. Wörtlich genommen sind Butzkiah also kleine Kühe. Erklären lässt sich das so: Mangels Spielzeug mussten sich die Kinder mit dem behelfen, was sie fanden. Wenn sie Bauernhof gespielt haben, stellten die größeren Fichtenzapfen die Kühe dar. Die „Reigerl“ von den Föhren gaben die Rösser, die kleineren Lärchenzapfen die Goaßn und deren süße Kitze. Tannenzapfen sind streng genommen übrigens keine Butzkiah, weil sie nicht vom Baum fallen und somit nicht aufgeklaubt werden können.

■ Christbaumloben

„Mei, ist des aber à scheena Baam.“ So geht es los, das Christbaumloben, eine Tradition, die seit dem 19. Jahrhundert im Allgäu, Teilen Frankens und der Oberpfalz als Christbaumschauen gepflegt wird. Freunde, Bekannte und Nachbarn besuchen einander und rühmen die Pracht der geschmückten Bäume. Damals wie heute dient der Brauch dem Zusammenhalt. Außerdem gibt’s gegen das ehrliche Lob vom Hausherrn einen Schnaps.

■ Christkindl-Anschießen

Man könnte meinen, dass das Christkind in Bayern ständig in Deckung gehen müsste. Gut, dass dem nicht so ist. Mit dem Christkindl-Anschießen ist der Brauch gemeint, in der Woche vor Weihnachten mit Böllerschüssen und Kirchenglocken das Christkind lautstark zu begrüßen. Zugrunde liegt der heidnische Brauch, um die Wintersonnwende möglichst viel Lärm zu machen, um die Wintergeister zu vertreiben. Verbote gegen die Lärmerei erwiesen sich als fruchtlos, deshalb gab man dem Brauch einen christlichen Sinn.

■ Daxn und Daxbirl

Daxn sagt man in Oberbayern für Tannennadeln oder Tannen- und Fichtenzweige, die man zum Beispiel für einen Adventskranz braucht. Und Daxbirl ist die Menge an Tannenzweigen, die man aus dem Wald heimtragen kann. „Birl“ ist die Verkleinerung von „bur“, was wiederum Bürde bedeutet. Bei den Daxn wird vermutet, dass dieses Wort das Relikt einer Ursprache ist, die es einmal im Alpenraum gab.

■ „Es wird schon glei…

…dumpa, es werd scho glei Nacht“ ist eines der schönsten Weihnachtslieder im bairischen Dialekt. Geschrieben hat’s allerdings kein Einheimischer, sondern der oberösterreichische Geistliche Anton Reidinger. Im bairischen „dumpa“ steckt das lateinische adumbro, was so viel wie beschatten oder dunkel bedeutet, bzw. das lateinische tumba, was Grab bedeutet – in dem es ja auch dunkel ist.

■ Fatschnkindl

sieht man in Kirchen und Klöstern, manchmal auch im privaten Herrgottswinkel: ein meist aus Wachs gefertigtes Jesus-Kind, umwickelt mit kunstvollen langen Bändern, den Fatschn. Das lateinische „Fascia“ ist das Band oder die Windel. Im Mittelalter war es üblich, Novizinnen ein Fatschnkindl zu schenken, das der persönlichen Frömmigkeit dienen sollte. Daher auch der Beiname „Trösterlein“. Später wurden die gewickelten Jesusfiguren an Heiligabend auch zu Hause aufgestellt.

■ Frauentragen

Vor allem in Bayern, aber auch in Salzburg und Tirol entstand wohl ab dem 17. Jahrhundert als Symbol für die Herbergssuche von Maria und Josef der Brauch, im Advent eine Marienfigur von Haus zu Haus zu tragen. Jede Familie beherbergt die Muttergottes für eine Nacht. In der Christnacht kommt die Figur in die Kirche.

■ Gawendn

entstehen, wenn es stürmt und schneit. Dann türmt der Wind an den Straßenrändern hohe Schneeverwehungen auf – Gawendn eben. Das Wort „Wendn“ bedeutet Änderung oder Hinderung, und das betonte „Ga“ könnte zu Gau gehören und auf die Ausdehnung hinweisen. Gawendn waren früher nicht allzu beliebt, denn sie machten es unmöglich, das Holz aus dem Wald zu bringen.

■ Graigodern

In der Adventsmusik darf der Graigodern nicht fehlen. Wörtlich genommen handelt es sich um ein „Krallgatter“. Gemeint ist damit eine Zither, manchmal auch eine Gitarre. Das Wort rührt daher, dass die parallel gespannten Saiten an ein Gatter erinnern und der Musikant die Saiten mit den Krallen, also den Fingern, anschlägt. Die Zither gibt’s in Bayern erst seit rund 200 Jahren und galt anfangs als „Bauern- und Lumpeninstrument“. Herzog Max machte sie Ende des 19. Jahrhunderts salonfähig. Auch Tochter Sisi, später Kaiserin von Österreich, erlernte das Zither-Spiel.

■ Im Woid is so staad

Alle Weg san verwaht. Alle Weg san verschniebn. Is koa Steigerl mehr bliebn. Das Versepos „Heilige Nacht“ von Ludwig Thoma berührt heute noch genauso wie anno 1917, als die Weihnachtsgeschichte veröffentlicht wurde. Mehrere Gesänge gliedern das bekannteste Werk des bayerischen Dichters und dazu gehört auch das Zwischenspiel um den stillen Wald. Dieses hat sich in unterschiedlichen Fassungen als besinnliches Adventslied schon längst selbstständig gemacht.

■ Jessmariandjosef

passt ja gut in die Weihnachtszeit, ist allerdings ein altes österreichisches Stoßgebet: „Jesus, Maria und Josef!“ Ursprünglich ein Gebet zur Heiligen Familie, das zum Seufzer, ja zum Stöhner geworden ist. Auch öfters zu einem „Jessas Maria!“ verkürzt, was aber den Josef nicht weiter stört. „Jessas, Maria und Josef, etzad kriagt de scho wieder a Kind!“

■ Kletzenbrot

Das Früchtebrot in den Supermarktregalen mit Feigen, Nüssen und Rosinen hat mit dem ursprünglichen Kletzenbrot nichts zu tun. Das bestand aus dem, was die Bauern damals hatten: Roggenmehl und Kletzen, also gedörrte Birnen. Mit dem Backen des Kletzenbrots begonnen wurde traditionell am 30. November. Es war auch ein beliebtes Geschenk. An den Weihnachtsfeiertagen bekamen die Kinder, Knechte und Mägde etwas davon. Weil das Kletzenbrot auch als Fruchtbarkeitssymbol gilt, bekam auch das Vieh im Stall etwas ab.

■ Lebzelten

Weihnachten ohne Lebzelten, eigentlich undenkbar. Heute sagen die meisten Lebkuchen zu dem süßen Gebäck. Woher das „Leb“ kommt, ist umstritten, vielleicht vom lateinischen „libum“, dem Fladen, oder vom mittelhochdeutschen „leip“, dem Laib Brot. „Zeltn“ ist ein flacher Kuchen. Schon die alten Ägypter kannten honiggesüßte Kuchen, der Lebkuchen in seiner heutigen Form wurde aber in Belgien erfunden. Im Mittelalter wurden Lebzelten in Klöstern auch als Medizin gegen Magenbeschwerden gereicht.

■ Losnächte

Der Advent ist eine magische Zeit, in der sich an ganz bestimmten Tagen, den Lostagen, die Zukunft offenbart. Lostage waren beispielsweise der Andreastag (30.11.), der Barbaratag (4.12.) und der Thomastag (21.12). An diesen Tagen galt es, bestimmte Orakel-Bräuche durchzuführen. Beim Bettstatt-Treten legten Mädchen die Namenszettel all ihrer Bewerber auf das Bett und sprangen so lange darauf herum, bis nur noch ein Zettel übrig war. Ein deutlicher Hinweis auf den besten Bewerber! Auch das Schuhwerfen war beliebt. Mädchen warfen einen Pantoffel über ihre rechte Schulter. Aus der Richtung, in die die Schuhspitze zeigte, würde der Bräutigam kommen, hieß es. Lostag kommt vom althochdeutschen „lozen“ – „wahrsagen“ und „in die Zukunft schauen“.

■ Mettn

nennt der Bayer kurz und bündig die Christmette. Das Wort leitet sich her von der Matutin, dem nächtlichen Teil des kirchlichen Stundengebets. Früher gab es Metten auch in der Karwoche, die sogenannten Rumpelmetten. Da durften die Kirchgänger mit Stöcken und Steinen auf die Bänke hauen. Der Lärm galt dem Verräter Judas, dem man so zeigte, was man von ihm hält – nämlich nichts. Geblieben ist der Ausdruck „à Mettn machà“ für Krach veranstalten.

■ Mettensau

Die Adventszeit war mal eine Fastenzeit, deren Ende nach dem Besuch der Christmette mit Mettensau oder Mettenwurst gebührend gefeiert wurde. Die Mettensau, in der bäuerlichen Tradition auch Weihnachter genannt, ist ein Schwein, das besonders nahrhaft gemästet und am 21. Dezember geschlachtet wurde. Zum Festessen gab es nicht nur Schweinsbraten, sondern auch Mettenwürste (meist Blut- und Leberwürste). Die Armen kamen zu den Bauern zum „Wurstbitten“. Geblieben ist von all dem die Tradition, die viele Familien in Bayern in Ehren halten: An Heilig Abend gibt’s Würstl mit Kartoffelsalat.

■ Oaschpfeifenrössl

Der Name ist Programm: Im Hintern dieses Pferds steckt eine Pfeife. Dieses Ross ist eines der bekanntesten Motive der „Berchtesgadener War“, und diese wiederum ist ein ganz besonderer Christbaumschmuck. Ursprünglich handelte es sich bei diesen Waren um einfache, aus Holz geschnitzte Haushaltsgegenstände, Puppenmöbel und Kinderspielzeug, die die Berchtesgadener Bauern ab dem 15. Jahrhundert anfertigten, um ihr karges Einkommen aufzubessern. Heute leben die Motive von damals als Anhänger am Christbaum fort.

■ Okentn & Schnejfeia

Am Sonntag steht die dritte Kerze auf dem Adventskranz zum „Okentn“ an, also zum Anzünden. Zur Herkunft gibt es zwei Erklärungen: die lateinische mit „accendere“ (entzünden, entflammen) und eine germanische, weil es auch im Schwedischen und Englischen ähnliche Wörter gibt. Okentn gibt’s hierzulande nur im bayerisch-österreichischen Sprachraum. Zum Okentn ist das Schnejfeia ein sehr nützliches Utensil – auf Schriftdeutsch Schnellfeuer. Was militärisch anmutet, ist nichts anderes als das Zündholz (bair. auch „Zindhoizl“), das zuverlässig und schnell Feuer liefert.

■ Paradeisl

Bevor der Adventskranz aufkam, gab’s in Altbayern das Paradeisl – eine Tradition, die bis ins Mittelalter reicht. Vier rote Äpfel werden mit verzierten Hölzern zu einer Dreiecks-Pyramide gesteckt – mit einer Kerze in jedem Apfel: drei rote und, passend zur liturgischen Farbe des dritten Adventssonntags, eine rosa Kerze. Das Paradeisl erinnert nicht nur namentlich ans Paradies, sondern auch an die Vertreibung daraus. Der 24. Dezember ist auch der Tag, an dem die Kirche Adam und Eva gedenkt. Im Mittelalter wurden in den Kirchen Paradiesspiele abgehalten und den Gläubigen, die meist nicht lesen konnten, der Sündenfall des biblischen ersten Menschenpaares vorgespielt.

■ Perchten

Den Perchten begegnet man in Bayern ab dem 21. Dezember in den Raunächten. Anders als die Klausen (auch Krampus, Kramperl, Klaubauf) haben sie mit dem Nikolaus nichts am Hut. Gleichwohl sind auch die Perchten mit ihren Fellen und Tiermasken furchterregende Gestalten, die manchmal im Gefolge der unheilvollen Frau Percht auftreten. Dieser wird nachgesagt, dass sie unartigen Kindern die Nase abschneidet – und Schlimmeres. Der Sage nach treiben die bösen Schiachperchten mit ihren Schellen den Winter aus, während die guten Schönperchten wieder Licht und Fruchtbarkeit ins Land bringen. Die „Zwölften“, wie die Raunächte auch heißen, sind die Nächte um den Jahreswechsel herum. Mal dauern sie vom 21. Dezember bis Neujahr, mal von Heiligabend bis Heiligdreikönig.

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