Diagnose Alzheimer: Dr. Jens Benninghoff zeigt am Bildschirm die Eiweißablagerungen im Gehirn. © Jens Hartmann
Eiweißablagerungen an den Nervenzellen lösen Alzheimer aus: Dr. Jens Benninghoff erklärt einem Betroffenen anhand eines Modells, welche Schäden die Erkrankung im Gehirn anrichtet. © Jens Hartmann
München – „Der Forschungsansatz ist vielversprechend – auch wenn zunächst nur wenige Patienten ausschließlich in einer frühen Phase davon profitieren können“, schätzt Privatdozent Dr. Jens Benninghoff. Trotzdem macht der Münchner Alzheimer-Experte allen Betroffenen und ihren Angehörigen Mut: „Die moderne Altersmedizin kann viel tun, um effektiv zu helfen.“
Alzheimer ist (noch) nicht heilbar, aber neuerdings sprechen Wissenschaftler zumindest von einem Etappensieg. Das liegt im Wesentlichen an neuen Immuntherapien. Sie arbeiten mit sogenannten Antikörpern, die sich bereits in der Krebsmedizin bewährt haben. Jetzt ist in der EU und damit auch in Deutschland das erste Mittel dieser Art gegen Alzheimer zugelassen worden. Es heißt Lecanemab (Handelsname Leqembi) und soll im ersten Quartal 2025 erhältlich sein. Mit Donanemab könnte bald eine weitere ähnliche Substanz folgen, in den USA wird sie bereits unter dem Handelsnamen Kisunla vertrieben.
■ Die Wirkung
Die neuen Medikamente können das Fortschreiten der Demenz zumindest verzögern. „Antikörper-Medikamente heften sich an die Amyloid-Plaques im Gehirn, machen diese für die Immunzellen sichtbar und ermöglichen dadurch ihre Beseitigung“, erklärt Jens Benninghoff, Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin im kbo-Isar-Amper-Klinikum in Haar. Die Vision ist, dass eines Tages ein Stoppen möglich sein wird.
Der Hintergrund: Amyloid-Plaques sind Eiweißablagerungen an den Nervenzellen. Ihnen kommt nach derzeitigem Forschungsstand eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Alzheimer zu. Sie geben praktisch die Initialzündung für weitere Eiweißablagerungen im Inneren der Zellen. Darin setzen sich dann sogenannte Tau-Proteine fest. „Sie bewirken eine Inaktivierung der Informationsübermittlung – praktisch eine Stilllegung der Nervenzellen im Gehirn, die in einem oft jahrzehntelangen Prozess letztlich zu deren Absterben führt“, erklärt Benninghoff.
Genau hier liegt auch der Schwachpunkt der neuen Medikamente: Wenn die Amyloid-Plaques die Kettenreaktion bereits in Gang gesetzt haben, können die Antikörper nichts mehr ausrichten. „Deshalb kommen die Mittel derzeit nur für Patienten in einer sehr frühen Phase der Erkrankung infrage“, erläutert der Alzheimer-Experte. „Entscheidend wird sein, die Amyloid-Plaques außerhalb der Nervenzellen zu enttarnen und zu vernichten, bevor sie den verhängnisvollen Prozess innerhalb der Zelle auslösen.“
■ Die Nebenwirkungen
„Sie sind nicht unerheblich, aber in den meisten Fällen handelbar – und vor dem Hintergrund des enormen Leidensdrucks der Patienten vertretbar“, analysiert Benninghoff. Bei jedem fünften bis sechsten Patienten können Schwellungen im Gehirn (Fachbegriff Ödeme) oder kleinere Blutungen (Mikroblutungen) vorkommen – deshalb dürften die neuen Medikamente für Menschen, die Blutverdünner wie ASS, Marcumar oder Xarelto einnehmen, tabu sein. „Die Ödeme gelten allerdings als reversibel, das bedeutet: Sie bilden sich nach Absetzen des Medikaments in der Regel wieder zurück“, erklärt Benninghoff.
■ Die Behandlung
Die Antikörper werden als Infusion verabreicht. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA gibt vor, dass die neuen Medikamente in spezialisierten, möglicherweise sogar zertifizierten Zentren zur Behandlung von Demenz gegeben werden sollen. Dorthin müssen sich die Patienten von ihrem Hausarzt überweisen lassen. Der Grund: Vor der Behandlung müssen alle Patienten auf bestimmte Gene namens ApoE4 getestet werden. „Sie erhöhen nicht nur das Risiko für Nebenwirkungen um das Zwölffache, sondern steigern das allgemeine Demenzrisiko“, sagt Benninghoff. Außerdem sind regelmäßige Magnetresonanztomografien (MRT) des Gehirns erforderlich, um Nebenwirkungen wie Ödeme und Blutungen frühzeitig zu erkennen. Die genauen Vorschriften werden derzeit erarbeitet und werden zu Jahresbeginn erwartet.
■ Die Zielgruppe
Momentan wird erwartet, dass das neue Medikamentenprinzip nur etwa drei bis fünf Prozent der Alzheimer-Patienten hilft, Experten rechnen zunächst mit gerade mal 500 bis 800 Menschen, die die Antikörper pro Jahr erhalten. Sie sollten sich in einer Frühphase der Demenz befinden, nur leichte Auffälligkeiten wie erste Wortfindungsstörungen oder Aufmerksamkeitsdefizite an den Tag legen.
■ Die Zukunft
Die Erkennung der Amyloid-Plaques könnte mit Bluttests gelingen. „Daran wird bereits geforscht, die Ergebnisse sind aber noch nicht ausreichend belastbar. Das langfristige Ziel muss sein, dass wir eine Prophylaxe für genetisch vorbelastete Menschen anbieten können. Idealerweise würden wir dann bereits Menschen in jungem Alter erfolgreich behandeln können“, blickt Benninghoff in die Zukunft.
■ Die Alternativen
Bis es so weit ist, müssen die Alzheimer-Ärzte meist auf etablierte Medikamente zurückgreifen. Sie können allerdings nur die Symptome mildern. Zu den Klassikern gehören Antidementiva wie Donepezil (Handelsname u. a. Aricept), Rivastigmin (u. a. Exelon, auch als Pflaster erhältlich) und Galantamin (u. a. Reminyl). „Sie verbessern die Konzentration und die Auffassung. Sie helfen auch gegen die typische Ratlosigkeit vieler Patienten und verbessern damit ihre Stimmungslage. Sie quält oft die Frage, was durch die Alzheimer-Erkrankung gerade mit ihnen passiert“, erläutert Benninghoff.
Kommen Wahnvorstellungen und große Unruhe hinzu, wird oft Memantin (Axura) verordnet. Auch Psychopharmaka kommen zum Einsatz – im Wesentlichen zwei Gruppen: Antidepressiva dämpfen bedrückende Gefühle wie Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit, Neuroleptika wirken antipsychotisch etwa bei Halluzinationen und Wutausbrüchen. „Neuroleptika können allerdings die Sturzgefahr erhöhen, was bei vielen alten Menschen eine große Gefahr darstellt. Deshalb müssen sie sehr sorgsam dosiert und die Wirkung genau kontrolliert werden“, sagt Benninghoff. Mitunter werden in der Frühphase auch pflanzliche Mittel aus Blättern des Ginkgo-Baums verabreicht.
■ Die Therapien
Medikamente allein reichen nicht. „In Studien hat sich gezeigt, dass regelmäßiges Gedächtnistraining viel bewirkt. „Es bremst bei vielen Patienten das Fortschreiten der Erkrankung“, sagt der Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin in Haar. Dort werden die Teilnehmer in Gruppen eingeteilt – je nach Stadium ihrer Erkrankungen. Außerdem bieten Alzheimer-Therapeuten umwelttherapeutische Maßnahmen wie gemeinsames Gärtnern oder Naturerlebnisse an. „Sie zielen darauf ab, dem Alltag der Patienten wieder einen Sinn zu geben“, so Benninghoff.