Gefertigt nach 1400 in der Toskana: die anbetende Maria aus dem Bayerischen Nationalmuseum. © Walter Haberland
Tanzendes Jesulein: Figur aus der Barockkrippe Frauenwörth im Chiemsee.
Krippen gibt es auch in modern: Kurator Thomas Schindler vor der Konsum-Krippe von Rudi Bannwarth (2018). © epd
Anbetung der Heiligen: eine Papierkrippe, entstanden Ende des 18. Jahrhunderts in Schwaben. © Walter Haberland
München – Die Frau, die in einer Vitrine des Bayerischen Nationalmuseums kniet, trägt ein rotes, schlichtes Kleid. Ihre Hände hat sie zum Gebet gefaltet. Die aus Holz geschnitzte Frau, die vermutlich Maria darstellt, stammt aus der Toskana. Datiert wird die Figur auf nach 1400. Man hat Nagellöcher am Kopf gefunden, daran könnte früher eine Perücke befestigt worden sein. Und es könnte sein, sagt Thomas Schindler, Oberkonservator des Museums und Chef von Europas größter Krippensammlung, dass es sich um eine sehr frühe Krippenfigur handelt. „Beweisen können wir das allerdings nicht.“
Das ist das Kreuz mit den Krippen, die in diesen Tagen von Dachböden und aus Kellern geholt werden, damit sich die Familie an Heiligabend davor versammeln kann. Seit Jahrhunderten gehört die Krippe in Bayern zu Weihnachten, zumindest für Katholiken. Woher diese Tradition kommt und wie sie angefangen hat, darauf gibt es aber keine klaren Antworten. „Für die Zeit um 1400 haben wir in ganz Europa nicht mehr als fünf Hinweise auf Krippen“, sagt Schindler. „Das ist so gut wie nichts.“
Was man weiß oder vermutet, ist, dass sich die Krippenkunst im 15. Jahrhundert zuerst in Italien entwickelt hat. Manchmal wird der Heilige Franz von Assisi als Erfinder genannt, weil er 1233 im italienischen Greccio ein Weihnachtsspiel mit echten Tieren feierte. Krippen-Experte Schindler verweist diese Annahme jedoch ins Reich der Legende. „Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es hier keinen Zusammenhang.“
Die wenigen Fakten: In Bayern waren es in erster Linie die Wittelsbacher, die die Krippenkunst förderten. Das belegt ein Briefwechsel zwischen Erzherzogin Maria, die 1571 nach Graz geheiratet hat, und ihrem Bruder Herzog Wilhelm V. Oft und ausführlich geht es in diesen Briefen um Figuren für die Weihnachtskrippe. Maria bittet ihren Bruder, ihr Krippen-Tiere schnitzen zu lassen, da ihre Tochter so gerne damit spiele und die Figuren dabei regelmäßig kaputtgingen.
Für die Verbreitung in Bayern sorgen vor allem die Jesuiten. Für sie ist die Krippe mit ihren Figuren und Kulissen ein Welttheater, das dazu dient, den Glauben zu fördern und zu vertiefen. Dabei sind sich die Jesuiten der Wirkung der Weihnachtskrippen, die nun vermehrt in bayerischen Kirchen und Klöstern aufgebaut werden, wohl bewusst. „Das Ganze ist so geschickt arrangiert“, schreibt 1619 der Jesuit Philippe de Berlaymont, „dass das Frömmigkeitsgefühl der Beschauer aufs Lebhafteste erregt wird. Sie glauben, dem wunderbaren Ereignis selbst beizuwohnen.“
Prachtvoll, ganz im Stil des Barocks, sind die Krippen dieser Zeit. Die Figuren werden selbst bekleidet und in kostbarste Stoffe gehüllt. „Im Grunde tragen die Krippenfiguren die Mode, die man am Theater tragen würde“, sagt Schindler. „Es glitzert und funkelt überall.“ Zu diesen opulenten Krippen gehört auch die große Barockkrippe des Klosters Frauenwörth im Chiemsee, die erstmals 1627 gezeigt wird und zu den ältesten erhaltenen Krippen in Bayern zählt. Nicht nur die frommen Schwestern, auch das „gemain Volk“ darf die Krippe schauen und zeigt dabei, wie die Äbtissin zufrieden vermerkt, große Andacht.
Es ist eine erste Hoch-Zeit der Krippen-Kunst. „Fast könnte man sagen, dass die Kirchen und Klöster im Wettstreit waren, wer zu Weihnachten die schönste Krippe aufbieten kann“, erklärt Schindler. Auch die Qualität der Figuren nimmt zu, sie werden beweglich und können noch besser in Szene gesetzt werden. „Das lebendige Theater wird in das kleinformatige eingefrorene Theater der Krippe übersetzt.“
Aber nicht überall sind die Krippen so beliebt wie beim Volk. Im Zuge der Säkularisation und Aufklärung wird erst in Österreich, später auch in Bayern das Aufstellen im öffentlichen Raum verboten. In Bayern gilt das Verbot von 1803 bis 1825. Viele der großen Kirchen- und Klöster-Krippen werden vernichtet, andere an Privatleute verkauft, die aus den Beständen einzelne Figuren erwerben. Ganz allmählich hält die Krippe Einzug in das private Heim. Es beginnt die Zeit der Heimatkrippen, in denen die Künstler und Schnitzer das heilige Geschehen von Bethlehem in die bayerische Bergwelt verlegen und in denen auch typische Hof- und Arbeitsszenen nicht fehlen dürfen. Gleichzeitig entstehen aber auch orientalische Krippen mit gänzlich fremdländischer Szenerie. „Fast nichts muss, alles kann“, beschreibt Schindler die Vielfalt der Krippenkunst, die sich auch nicht mehr auf Figuren aus Holz beschränkt. In Augsburger Verlagen werden kostengünstig unzählige Papierkrippen gedruckt, mit Figuren zum Ausschneiden und Aufstellen.
Die Krippe katholisch, der Weihnachtsbaum protestantisch: Diese Trennung hebt sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf – und macht Krippen noch populärer. Ab den 1950er-Jahren erleben sie einen regelrechten Boom. „Erst jetzt ist die Krippe tatsächlich im Privaten angekommen“, sagt Schindler.
Und heute, in Zeiten steigender Kirchenaustritte und schwindender Religiosität? „Weihnachtskrippen werden nicht verschwinden“, ist sich der Experte sicher. „Aber sie werden vermutlich einen Bedeutungswechsel erleben, indem sie weniger religiös, dafür mehr als lieb gewonnene Tradition wahrgenommen werden.“ Auch die Krippenkunst entwickelt sich weiter. Moderne Künstler greifen aktuelle sozialkritische Themen wie Armut oder Konsumverhalten auf und übertragen diese in die Krippe. In einer solch modernen Szenerie wird Jesus statt in einem Stall auf einer Baustelle geboren.
BEATRICE OSSBERGER