INTERVIEW

„Die Psyche kann katastrophale Ereignisse nicht verarbeiten“

von Redaktion

Flashbacks, Schlafstörungen, Aggressivität – Oberstarzt Zimmermann erklärt, wie eine Belastungsstörung funktioniert

München – Oberstarzt Prof. Dr. Peter Zimmermann erforscht und behandelt posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) bei Soldaten. 15 Jahre leitete er das Psychotraumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. Heute ist er der PTBS-Beauftragte des Verteidigungsministeriums.

Was ist eine posttraumatische Belastungsstörung?

Eine PTBS ist eine psychische Erkrankung, die dann auftritt, wenn jemand ein Erlebnis hatte, das für ihn katastrophal ist. Häufig sind das lebensbedrohliche Ereignisse, die bei jedem eine tiefe Verzweiflung hinterlassen würden. Solche katastrophalen Ereignisse können von der Psyche eines Menschen in vielen Fällen nicht richtig verarbeitet werden.

Was sind die typischen Symptome einer PTBS?

In sogenannten „Flashbacks“ drängen immer wieder Fragmente der Erinnerung ins Bewusstsein der Betroffenen zurück. Diese Erinnerungen sind szenisch und sehr plastisch. Gelegentlich kommen sie auch in Albträumen vor. Das ist eines der Kernsymptome. Oft führen Flashbacks zu einem Vermeidungsverhalten. Das heißt, die Betroffenen meiden Situationen, die an das katastrophale Ereignis erinnern könnten. Dazu gehören zum Beispiel öffentliche Plätze. Der dritte Faktor sind Angespanntheit, eine hohe Erregbarkeit, Nervosität, Schlafstörungen, manchmal auch Aggressivität. Wenn diese drei Elemente zusammenkommen, dann sprechen wir von einer PTBS.

Wie viele aktive und ehemalige Soldaten sind von PTBS betroffen?

Unsere Studien haben ergeben, dass nach einem robusten Mandat wie in Afghanistan knapp 22 Prozent der Einsatzteilnehmer eine psychische Erkrankung haben. Davon haben 2,9 Prozent PTBS. Am häufigsten sind Angsterkrankungen mit knapp elf Prozent und affektive Störungen, also zum Beispiel Depression, mit etwa acht Prozent. Das summiert sich dann im Laufe der Jahre auf. Man kann also davon ausgehen, dass mehrere tausend aktive und ehemalige Soldaten betroffen sind. Wir führen lediglich eine Statistik darüber, wie viele psychisch erkrankte Soldaten in Behandlung kommen. Jedes Jahr registrieren wir etwa 200 neue Fälle von PTBS.

In einer Studie kamen Sie zu dem Ergebnis, dass nur jeder zweite Fall von PTBS diagnostiziert und behandelt wird. Warum ist die Dunkelziffer so hoch?

Das ist ein Phänomen, das wir in allen Armeen beobachten. Soldaten sind – ähnlich wie auch andere Einsatzkräfte – in der Regel auf das Wohl anderer Menschen ausgerichtet: Retten, löschen, schützen, bergen. „Rescue Personality“ heißt das im Englischen. Oft haben sie ein inneres Problem damit, sich eine psychische Erkrankung zuzugestehen und kommen erst Monate oder Jahre später in Behandlung. Häufig erst dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. Nicht selten haben die Betroffenen Angst vor einer Stigmatisierung. Sie befürchten, nicht mehr ernst genommen zu werden. Manchmal haben sie auch Angst vor einem Karriereknick, eine völlig unberechtigte Angst: Eine gut behandelte psychische Störung verursacht bei der Bundeswehr keinen Karriereknick.

Was halten Sie von pferdegestützten Interventionen?

Auch die Bundeswehr wendet tiergestützte Therapien an. Dazu laufen derzeit wissenschaftliche Begleitforschungen. Die ersten noch unveröffentlichten Ergebnisse sind sehr vielversprechend und weisen darauf hin, dass das auch tatsächlich hilft.

Was können Pferde, das menschliche Therapeuten nicht können?

Pferde können nicht sprechen, sie ermöglichen nonverbale therapeutische Ansätze. Im Kontakt mit Pferden können traumatisierte Soldaten ihre Wahrnehmung der Reaktionen anderer Wesen und die Wahrnehmung ihrer eigenen Emotionen trainieren. Manchmal wird bei den tiergestützten Interventionen ein Parcours aufgebaut. Eine Stelle bildet dann zum Beispiel einen Lebensabschnitt ab, in dem der Patient suizidal war. Das Pferd bleibt dann tatsächlich stehen, weil es spürt, dass es dem Patienten an dieser Stelle nicht gut geht. Gemeinsam mit dem Therapeuten versuchen die Soldaten dann, ihre Emotionen in Worte zu fassen. Das kann die spätere Aufarbeitung in der Traumatherapie vorbereiten. Außerdem können wir erhebliche Veränderungen in der Hormonausschüttung beobachten. Es wird zum Beispiel mehr Oxytocin ausgeschüttet. Das ist ein Hormon, das unter anderem positiv auf Ängste wirkt. Der Kontakt zum Pferd hat also einen angstsenkenden Effekt.

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