Therapie im Longierzirkel: Tobias Koenig bringt Rebelde beim „Join-Up“ auf Trab. Bald wird sich zeigen, ob er das Vertrauen des Wallachs gewinnen kann. © Foto: Mayank Sharma
Kundus, 2005: Tobias Koenig blickt aus seinem Sanitätspanzer. Afghanistan hat den Ex-Soldaten krank gemacht. © privat
Schlüsselmoment: Tobias Koenig legt seine Stirn auf die von Wallach Rebelde. © Foto: Mayank Sharma
Stegaurach – Tobias Koenig geht über den Pferdehof im oberfränkischen Stegaurach. Im Stall angekommen, bleibt er vor Rebelde stehen, einem weißen Wallach aus Spanien. Neugierig reckt das Tier seinen Hals durch das Stallgitter. Gleich werden sich die beiden im Longierzirkel zum „Join-Up“ treffen – eine therapeutische Begegnung von Mensch und Pferd.
2005 war Tobias Koenig in Afghanistan. Mit erst 19 Jahren war er in der nördlichen Provinz Kundus als Sanitätssoldat im Einsatz. Was er dort erlebte, zeichnet ihn bis heute. Über Details seines Einsatzes will Koenig nicht sprechen. Drei Jahre nach seiner Rückkehr erkrankte er an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Jahrelang litt er an Symptomen wie Schlafstörungen und Angstzuständen. Immer wieder hatte er „Flashbacks“, plötzliche Rückblenden auf die traumatischen Erfahrungen in Afghanistan. Die ständige Anspannung im Kriegsgebiet, das Elend, das Gefühl der Hilflosigkeit, wenn er nicht so helfen durfte, wie er wollte – all das hat tiefe Wunden hinterlassen. Ein paar Mal stand er kurz vor dem Selbstmord.
Inzwischen ist Tobias Koenig stabil und kann wieder in Teilzeit als Krankenpfleger arbeiten. Eigentlich gilt er als austherapiert: Drei Langzeittherapien hat er hinter sich. Unter der Oberfläche brodelt es aber immer noch. „Viele Gefühle liegen unter dem Stress und den Anforderungen des Alltags begraben“, sagt Koenig. Von dem Join-Up mit dem Pferd erhofft er sich einen neuen Impuls. „Ich möchte einen besseren Kontakt zu meinem Inneren bekommen und mich selbst besser spüren“, sagt Koenig.
Sieben Einsatzveteranen mit PTBS sind aus ganz Deutschland für das Join-Up nach Stegaurach gereist. Organisiert hat den Workshop der Bund Deutscher Einsatzveteranen, der größte deutsche Veteranenverband. Auch Koenig ist dort ehrenamtlich engagiert. Den Hauptteil der Kosten trägt das Bundesministerium der Verteidigung. Das ist nicht selbstverständlich. Veteranen mit psychischen Problemen haben es schwer, als Einsatzgeschädigte anerkannt zu werden. Auch Koenig ist mit seinem Antrag gescheitert (wir berichteten). Er konnte nicht nachweisen, dass seine PTBS durch den Einsatz in Afghanistan ausgelöst wurde. So wie ihm geht es vielen Veteranen.
Am Morgen vor der Begegnung mit den Therapiepferden sitzen die ehemaligen Soldaten im Stuhlkreis. Ein paar tragen hochgebundene Kampfstiefel, Hemden und Cargohosen in Tarnfarben. Hie und da prangen schwarz-rot-goldene Aufnäher auf ihrer Kleidung. Bis auf Tobias Koenig wollen alle anonym bleiben. Hier sind sie unter sich, Kameraden, verbunden durch ihre Einsatzerfahrung. Sie sprechen von der Schwierigkeit, ihre Erlebnisse mitzuteilen, dem Unverständnis, das ihnen in der Gesellschaft oft entgegengebracht wird. Wenn sie aus Krisengebieten in die Sicherheit Deutschlands zurückkehren, dann kollidieren Welten, die unvereinbar scheinen, sagt ein Teilnehmer. Andere erzählen, wie schwer es ist, im Alltag die militärischen Handlungsmuster abzulegen. Sie berichten von Trainingsmethoden der Bundeswehr, die Männer zu Kampfmaschinen machen sollen, Methoden, die auf die völlige Unterdrückung und Kontrolle der eigenen Emotionen abzielen. „Wir wollen einfach wieder Menschen sein“, sagt ein Veteran.
Workshop basiert auf Vietnam-Erfahrungen
Doris Semmelmann moderiert die Gesprächsrunde. Mit der Pferdetrainerin Denise Heinlein hat sie den Verein „Equus“ gegründet. Seit 2019 bietet der Verein pferdegestützte Interventionen für traumatisierte Soldaten an. Ihre „Horse Sense and Healing“-Workshops basieren auf den Ansätzen des amerikanischen Pferdetrainers Monty Roberts und des Psychotraumatologen Peter A. Levine. Beide haben ihre Methoden mit Vietnam-Veteranen entwickelt.
Doris Semmelmann zeigt ein Modell der Schichten des Gehirns und erklärt, auf welcher Ebene das Join-Up ansetzen soll: Nicht kognitiv, nicht über den Verstand, sollen die Veteranen wieder Zugang zu ihrem Innenleben finden, sondern vor allem durch die Wahrnehmung ihres eigenen Körpers. „Pferde sind dazu besonders geeignet. Sie reagieren sehr sensibel auf Körpersprache und können sogar Mikrobewegungen wahrnehmen“, erklärt Semmelmann. Dadurch geben Pferde PTBS-Erkrankten die Möglichkeit, sich selbst besser wahrzunehmen. Eine Fähigkeit, die viele verloren haben.
Am Nachmittag ist es so weit. Pferdetrainerin Denise Heinlein und Tobias Koenig holen Rebelde aus dem Stall. Schnaufend und schmatzend zieht der Wallach Heu aus einem Sack und kaut genüsslich darauf herum. „Verzeih mir, mein Lieber“, sagt Heinlein und zieht Rebelde ein Halfter über. „Monty Roberts“ steht darauf, der Name des legendären Pferdeflüsterers aus Kalifornien. Heinlein ging bei dem Meister des gewaltfreien Pferdetrainings in die Lehre. Von ihm lernte sie auch das Join-Up. Die Methode basiert auf der natürlichen Körpersprache von Pferden und soll sie dazu bringen, den Menschen als Partner zu akzeptieren – ohne ihren Willen zu brechen.
Tobias Koenig führt Rebelde in den Longierzirkel und macht die Leine los. Zuerst bleibt Rebelde etwas ratlos stehen. Dann bringt Koenig unter Anleitung von Denise Heinlein das Pferd auf Trab. Zügig geht er auf Rebelde zu, stampft auf den Boden, rudert mit den Armen. Seine Körperhaltung ist aufrecht und selbstsicher. Das Pferd beginnt, am Zaun des Zirkels entlang zu traben. Immer wieder schneidet Koenig ihm den Weg ab und bringt es so dazu, die Richtung zu wechseln. Auf diese Weise hält er die Spannung aufrecht. Dann bleibt er plötzlich in der Mitte des Zirkels stehen und wendet Rebelde den Rücken zu – der Schlüsselmoment. Obwohl Koenig jetzt in der Passivität verharrt, nähert sich Rebelde aus freien Stücken und bleibt dicht hinter ihm stehen. Tobias Koenig wendet sich dem Wallach wieder zu, krault ihn am Schopf, schließt seine Augen und legt seine Stirn auf die des Pferdes. Das Join-Up hat funktioniert: Koenig hat Rebeldes Vertrauen gewonnen. „Meine inneren Knoten haben sich gelöst“, sagt der Afghanistan-Veteran. „Eine tolle Erfahrung.“
Hilfe bei PTBS
Bundeswehr:
Web: www.PTBS-HILFE.de
24/7-Hotline: 0800 – 588 79 57
Bund Deutscher
Einsatzveteranen e.V.:
Web: veteranenverband.de
Tel.: 030 – 209 242 08