Sir Arthur T. Harris wollte die Zivilbevölkerung aus der Luft zermürben. © Fg Off Stannus
Kardinal Faulhaber in einer Aufnahme, die kurz vor dem Luftangriff entstand. © pa
Die Frauenkirche überstand den Bombenhagel, wenn auch mit schweren Schäden. © Münchner Bank/Archiv
Eine ausgebrannte Trambahn in der mit Trümmern übersäten Augustenstraße. © SZ-Photo
Fliegerangriff auf München: Bomben schlagen ein, Wolken aus Staub und Rauch steigen auf. © Clemens Bergmann/Repro: K. Haag
Das Karlstor in den letzten Kriegswochen: Die Bomben haben es beschädigt, aber nicht komplett zerstört. © Walter Frentz/Ullstein
München – Es ist der 7. Januar 1945. Abends gegen 20 Uhr betet der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber gerade einen Rosenkranz, da heult es in den Straßen: Luftalarm. Wieder mal. Schon am 17. Dezember 1944 war München schwer getroffen worden, es gab 562 Tote. Jetzt schlagen erneut Bomben in der Münchner Innenstadt ein. „Wir senkten das Haupt wie zum Henkerstreich“, schreibt Faulhaber ins Tagebuch. „Schwere Detonationen“, danach „35 Minuten ein furchtbares Feuer“, notiert er. Und kaum ist der Angriff vorbei, da gibt es gegen 21.45 Uhr erneut Fliegeralarm – ein zweiter, „noch furchtbarerer Angriff“, heißt es bei Faulhaber.
Der 7./8. Januar 1945, heute vor 80 Jahren, ist für München ein historisches Datum. Es war der letzte britische Großangriff auf eine bereits verwüstete Stadt. 505 Tote, 988 Verletzte – so die nackten Zahlen. So schwer war der Angriff, dass ihn auch die KZ-Häftlinge in Dachau am Feuerschein bemerkten. „Schreckliches Bombardement heute Nacht“, notierte ein Häftling. Auch in Bad Endorf am Chiemsee sah man „das Aufleuchten der Bombeneinschläge wie rote, feurige Blitze“, wie eine dorthin ausquartierte Geschäftsfrau aus München festhielt. Ganze Familien wurden ausgelöscht, etwa in der Landsberger Straße 267 eine Mutter mit ihren fünf Kindern. An der Ecke Türken-/Theresienstraße beobachtete der Rekrut Helmut Geys, später SPD-Stadtrat in Fürstenfeldbruck, wie ein Haus erst bis zum Parterre brannte und dann „plötzlich in sich zusammenfiel“. Normalerweise seien die Häuser ja als Ruine stehen geblieben, schilderte Geys in einem Interview mit dem Publizisten Hans-Günter Richardi. „Aber da ist auf einmal das ganze Eck in sich zusammengesunken.“
Luftschläge sollten die Bevölkerung zermürben
München war nur ein Beispiel für den Bombenkrieg, der bereits seit 1943 immer mehr deutsche Städte erfasst hatte. Als Symbol dafür steht die Totalvernichtung von Städten wie Hamburg, Pforzheim oder Dresden mit fünfstelligen Opferzahlen. Das war jedoch, wie der Publizist Jörg Friedrich in seinem Buch „Der Brand“ dargestellt hat, nicht der Normalfall. „Normal“, wenn diese Vokabel überhaupt angemessen ist, war eher ein „Verschleißkrieg“ aus der Luft, der insgesamt 158 deutsche Mittel- und Großstädte mit dutzenden Großangriffen traf – mit jeweils mehreren hundert oder auch mal über 1000 Toten.
Dahinter stand die Strategie des „moral bombing“, ersonnen im britischen Bomber Command mit seinem Oberbefehlshaber Arthur Harris, dem es darum ging, die deutsche Zivilbevölkerung durch andauernde Luftschläge zu zermürben und letztlich den Durchhaltewillen zu brechen.
Der Luftkrieg entlud sich nicht ziellos und ungeplant über deutschen Städten – und nicht überall entfaltete das Gemisch tausendfacher Spreng- und Stabbrandbomben dieselbe verheerende Wirkung. Es ist eine zynische Logik, aber sie war beim Bombenkrieg handlungsweisend. Das Bomber Command suchte, wie der Historiker Friedrich schrieb, die Städte gezielt aus – fast wie bei einem physikalischen Experiment: Welche Stadt brannte gut, welche nicht so gut? Da gab es Unterschiede.
Nicht in jeder Stadt entfachten die Bomben Feuerstürme
Ziel war die Entfachung eines „Feuersturms“. In einer Stadt sollten Großbrände entstehen. Vertikal hochjagende Heißluft zog dann durch das entstehende Vakuum einen Sturm nach sich, der die Menschen schier umhaute. Sie verglühten oder erstickten. Die Wirkung war katastrophaler als bei puren Detonationen. Nicht überall gelang das. Eine Stadt wie Pforzheim, bis dato fast unzerstört, mit ihren dichten Reihen an Fachwerkhäusern brannte nach dem Großangriff im Februar 1945 schnell lichterloh. Eine Großstadt wie Berlin mit ihren breiten Durchgangsstraßen und riesigen unbebauten Hinterhöfen brannte hingegen nicht so gut.
Auch München gehört letztlich in diese Kategorie. „Es erstaunt fast, dass den Engländern das Münchner Stadtskelett noch so viel wert war, dass sie für den Abend des 7. Januar einen groß angelegten Doppelangriff mit insgesamt fast 600 Bombern ansetzten“, schreibt die Historikerin Irmtraud Permooser. Sie stellt fest: Die 2200 Tonnen Bomben am 7./8. Januar 1945 fielen „vielfach bereits auf Ruinen und Schuttberge, die einem Feuersturm großen Ausmaßes nicht mehr die entsprechende Nahrung boten“.
Durch eine Kette von Angriffen war München bereits 1943 und 1944 schwer getroffen worden. Am 10. März 1940 konnte man erstmals britische Flieger beobachten, die Leuchtbomben abwarfen – es gab aber keine Schäden oder Opfer. Im Juni 1940 gab es indes die ersten Verletzten bei einem Angriff auf das BMW-Werk in Allach. Der erste schwere Angriff am 19./20. September 1942 forderte 149 Tote und 413 Verletzte. Schon im Dezember 1942 ein neuer Angriff: 21 Tote. März 1943: 212 Tote. Und so weiter. Bis Kriegsende sollen bei insgesamt 74 Angriffen 6632 Menschen ums Leben gekommen sein. Es gab, was bei aller Dramatik doch ein Unterschied ist, aber nie einen Feuersturm wie etwa in Hamburg im Juli 1943 („Operation Gomorrha“), wo an einem Tag geschätzt bis zu 34 000 Personen starben.
Für die vielen Toten gab es nicht genug Särge
Was zermürbte, war die hohe Anzahl der Angriffe, die nun auch mehr und mehr Kulturbauten trafen: im November 1943 die Bayerische Staatsbibliothek, später die Damenstiftkirche, die Pinakothek, die Glyptothek. Auch das Braune Haus, Hauptquartier der Nazipartei NSDAP, bekommt Treffer. Die Frauenkirche wird mehrmals getroffen, am 22. November 1944 auch der Hochaltar. „Der Unglückstag für den Dom, schwer beschädigt“, notiert der Münchner Kardinal von Faulhaber kurz und knapp in sein Tagebuch.
Am 7./8. Januar 1945 werden vor allem der Marienplatz, das Tal, die Kaufingerstraße und Neuhauser Straße bis rauf zur Theatinerstraße verwüstet. Das Neue Rathaus, der Justizpalast, das Armeemuseum und die Hofgartenarkaden erhalten Volltreffer, das alpine Museum brennt aus. Einmal mehr erwischt es auch den Hauptbahnhof. Schutt und aus den Trümmern gezogener Hausrat türmt sich auf den Straßen. Die Toten werden längst nicht mehr individuell beerdigt, dafür sind die Särge zu knapp. Im Perlacher Forst und im Nordfriedhof werden Massengräber angelegt.
Es gibt viele Verschüttete – Faulhaber berichtet, an der Nymphenburger Straße seien „85 Leute ausgegraben“ worden. Wahr ist auch: Unter den Aufräumtrupps mischen sich in vielen Großstädten Gefangene – es sind KZ-Häftlinge. Abgestürzte britische und amerikanische Flieger werden, wie etwa in Pullach, gelyncht. Ausgebombte stattet man, wie für Hamburg und Bremen nachgewiesen wurde (für München fehlt eine Studie), mit Hausrat enteigneter und ermordeter Juden aus. Mobiliar aus diesen damals sogenannten „Judenauktionen“ dürfte sich noch heute in Privatbesitz befinden.
Die letzten zehn Kriegsmonate forderten viele Opfer
Doch die Erwartung, die Deutschen so zu entmutigen, dass sie sich gegen die NS-Machthaber auflehnen, schlägt fehl. Eher ist das Gegenteil bemerkbar: Trotz bis zum Kriegsende. Wäre das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geglückt, so der Historiker Ian Kershaw, wären wohl nur halb so viele deutsche Soldaten (2,7 statt 5,5 Millionen) gefallen. „In den zehn Monaten zwischen Juli 1944 und Mai 1945 starben weit mehr deutsche Zivilisten als in den vorangegangenen Kriegsjahren.“ Zehntausende Luftkriegstote und hunderttausende KZ-Häftlinge wären am Leben geblieben. Letztlich wird Deutschland aber in einem zähen Bodenkrieg von außen besiegt und – die meisten sehen es wohl 1945 nicht so – befreit.
Während des Doppelangriffs vom Januar 1945 steigt die Münchnerin Friederike Kurz auf den Turm der Gabrielskirche in München-Haidhausen. Sie öffnet eine Tür zu einem kleinen Steinbalkon. „Und mit einem Schlag, völlig unerwartet, hatte ich einen so furchtbar grandiosen Anblick wie nie mehr in meinem Leben. Ich blickte über die ganze brennende Stadt hinweg“, berichtet sie. „Der Nachthimmel war glutrot erleuchtet (…) Hier, völlig allein zwischen Himmel und Erde, fühlte ich mich zutiefst ergriffen von dem schauerlichen Brand und von dem Untergang meiner geliebten Heimatstadt.“
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