Von der Überholspur auf den Pannenstreifen

von Redaktion

Die Krise der deutschen Autobauer hat verschiedene Ursachen, die Vorboten wurden viel zu lange ignoriert

Schieflage auch in Wolfsburg: Volkswagen hat mit einem massiven Absatzeinbruch zu kämpfen. © dpa

München – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fand klare Worte: „Unsere Automobilhersteller sind weltweit führend im Bau von Verbrennermotoren. Es ist daher geradezu widersinnig, eine funktionierende Technologie stillzulegen und künftig anderen Ländern zu überlassen“, sagte er im April – und korrigierte damit eigene frühere Positionen. Er lag sicher nicht falsch. Je länger man aber in politischen Aussagen zur aktuellen Automobilkrise stöbert, desto mehr blickt man nur auf Aspekte. Plakative Statements und Papiere werden der Komplexität der Probleme jedoch nicht gerecht. Oft wechseln sie zudem mit der politischen Stimmung. Das gilt für die Gegenseite genauso. „Natürlich sind Verbrennungsmotoren zugelassen, nur müssen sie dann eben klimaneutral sein“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck im September. Fünf Jahre vorher klang das noch anders: „Wir wollen nur der Industrie vorschreiben, welche Motoren zu welchem Zeitpunkt nicht mehr produziert werden dürfen.“

Die Probleme der Automobilindustrie sind kompliziert, Patentlösungen gibt es nicht. Und ihre Ursachen reichen viel zu weit zurück, als dass man eine Regierung allein für schuldig erklären könnte. Politik und Unternehmen haben es sich im Erfolg bequem gemacht in der Hoffnung, es werde schon immer so weitergehen, während Vorboten der Krise schon sichtbar wurden. Eine Analyse.

■ Die Kleinen sind weg

Wie viele Kleinwagen werden noch in Deutschland gebaut? Die einfache Antwort: keiner. Volkswagen hat den Polo schon seit Generationen nach Spanien abgeschoben. Mittlerweile kommt er aus Südafrika nach Deutschland. Opel hält für den Corsa noch an Spanien und an der Slowakei fest. Ford hat den Fiesta ganz eingestellt.

Warum? Die Kosten waren zu hoch, die Erwartungen an die Rendite im zweistelligen Bereich. Und: Bei größeren Autos bleibt eben mehr hängen als bei kleinen. Das Problem wird allmählich nach oben durchgereicht. Die Kompakt-Ikone Golf soll bald in Osteuropa gebaut werden. Die globale Konkurrenz ist anspruchsvoller geworden. Ohne hartes Kostenmanagement bei Strukturen und Löhnen und mehr Bescheidenheit bei der Rendite wird der Exodus weitergehen.

■ Das China-Problem

Deutschlands Wirtschaftspolitik setzte auf Auto- und Maschinenbau. Anderes, Unterhaltungselektronik und Kommunikationstechnik, ließ man widerstandslos ziehen. Japan, Korea, Taiwan und zuletzt vor allem China sammelten Technologien ein, die nun im Automobilbau immer wichtiger werden: Batterien, Software, Kommunikation, Sensorik.

Chinesische Automarken drängen mit neuen Kompetenzen nach Europa. Fraglich ist noch, ob sie sich hier etablieren können. Das Kernproblem mit dem Reich der Mitte ist sowieso ein anderes: Dort konnten deutsche Hersteller jahrzehntelang mit heimischen Partnern günstig fertigen. Die Autos wurden an eine rasant wachsende Mittel- und Oberschicht teuer verkauft.

Die üppigen Überweisungen an deutsche Autobauer sind dabei nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte griffen die chinesischen Partner ab. Klar, dass derart lukrative Geschäfte Wettbewerber auf den Plan riefen, die in den letzten Jahrzehnten immer besser wurden. Nicht die chinesischen Autos in Europa sind das Problem, sondern die Rückgänge der Verkäufe von VW, BMW und Mercedes in China: nur noch ein Bruchteil früherer Zahlen.

Verschärft wird das durch konjunkturelle Sättigungstendenzen: Sinkende Wachstumsraten, Arbeitslosigkeit, hohe Verluste bei Wohnungen, die bezahlt sind, aber von der kriselnden chinesischen Bauwirtschaft nicht fertiggestellt werden. Das nagt am gefühlten Wohlstand. Der Chinese spart. Europäische Luxusmarken sind da nicht mehr die erste Wahl.

■ Der Osten ist viel näher

Die Bedrohung deutscher Standorte kommt nicht aus fernen Kontinenten. Dort darf man meist ohnehin nur verkaufen, was man auch dort produziert. Die Konkurrenz liegt näher: Tschechien mit der VW-Tochter Skoda, Rumänien mit Dacia. Dort, wie auch in Ungarn, der Slowakei und Polen, gibt es auch Werke europäischer und asiatischer Konzerne. Die Kosten sind niedriger, der Ehrgeiz ist höher als bei uns. Die ehemaligen Werkbänke des Habsburger Reichs schicken sich an, die industriellen Zentren Europas zu werden.

■ Das Elektro-Problem

Hat die deutsche Autoindustrie die Elektromobilität verschlafen? Das ist so pauschal, wie es behauptet wird, falsch. Es ist der Vorsprung dahin, den man beim Verbrenner hatte, und die Konkurrenten in Asien sind bei der Batterietechnik weit voraus. Das lässt sich erst in mehreren Entwicklungsgenerationen aufholen. Die größere Gefahr ist gegenwärtig, dass andere den Verbrenner weiterentwickeln. China zum Beispiel setzt nur in den Metropolen auf Elektro – zur Smog-Bekämpfung. Das Klima spielt dabei keine Rolle. Im Überlandverkehr setzt man weiter auf den Verbrennungs- und Kombinationsantrieb. Hier könnte Europa Kompetenzen dauerhaft verlieren.

■ Hydra Bürokratie

Viele Vorschriften machen das Wirtschaften schwer. Berichtspflichten zur Unternehmensführung, zu Lieferketten, zu Nachhaltigkeit. Alles verursacht Kosten bei zweifelhaftem Nutzen. Oder Abgase: Obwohl es mit dem Rechtehandel ein gutes Instrument gibt, die Emissionen in Richtung null zu drücken, nehmen viele zusätzliche Stellschrauben die Autohersteller in die Mangel: Flottengrenzwerte oder das eingangs erwähnte Verbot bestimmter Motorentypen.

BMW-Chef Oliver Zipse hat es sehr deutlich gemacht: „Es sollte den Unternehmen freistehen, die besten technologischen Lösungen für die Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben und zur weiteren Reduzierung der CO2-Emissionen zu finden“, sagte er. Stattdessen würden immer neue Hindernisse für bestehende, erfolgreiche Technologien errichtet. „Dadurch können Potenziale zur Reduzierung von CO2-Emissionen nicht genutzt werden.“

■ VW: im Auge des Orkans

Volkswagen vereint viele der genannten Probleme. Dazu kommt: Das Unternehmen hat voll auf E-Autos gesetzt und wurde so von der E-Absatzflaute kalt erwischt. Schwach ausgelastete Werke sind das Schlimmste für eine auf höchste Effizienz getrimmte Industrie. Schwer wiegt auch: VW hat es unterlassen, mit Abfindungsprogrammen und Frühverrentung gezielt Mitarbeiter abzubauen, die nicht zu den Leistungsträgern gehören.

Der ehemalige VW-Patriarch Ferdinand Piëch hat zudem durch den ehrgeizigen Ankauf anderer Autohersteller ein Konglomerat geschaffen, das kaum zu steuern ist. Eine klare, strategische Ausrichtung jenseits von Größe war nie erkennbar. Selbst Audi, jahrelange Ertragsperle im Konzern, hat unter der Abgasaffäre und Führungswechseln an Kontur verloren. Immerhin ist der Ehrgeiz zu erkennen, den Anschluss an die Premium-Konkurrenten zurückzugewinnen.

■ Mercedes: riskant

Mercedes Chef Ola Kälenius setzte auf das hochpreisige Segment. Das stand für hohe Gewinnmargen. Traditionell wichtige Kundengruppen wurden vernachlässigt. Etwa die Taxifahrer. Die Elektromodelle mit dem Stern wurden so deutlich von den traditionellen Fahrzeugklassen abgesetzt, dass es schwierig werden könnte, den Marken-Nimbus ins Elektro-Zeitalter zu transferieren.

■ BMW: doch kein Fels

Ein hochflexibles Produktionssystem, Technologieoffenheit: BMW hat vieles richtig gemacht. Der Münchner Konzern stünde als einsamer Fels in der Brandung da, wäre nicht das Desaster mit den Bremsen, das eine Schwäche offenbart: die Abhängigkeit von Lieferanten. Die damit verbundenen Risiken lassen sich auch dann nicht ausschließen, wenn man Zulieferer frühzeitig in Entwicklungsprozesse einbezieht, so, wie BMW es tut.

■ Ford: allein zu klein

Der europäische Ableger des Ford-Konzerns ist allein zu klein, um Autos für diesen Markt zu halten, die ja kaum Überschneidungen mit US-Modellen haben. Nach dem Aussterben des Fiesta und des Mondeo gehört auch der Focus zu den bedrohten Arten. Möglicherweise könnte der Zusammenschluss mit einem asiatischen Konkurrenten der Rettungsanker sein.

■ Opel: gesprengte Ketten?

Den Fesseln von General Motors entkommen und nun eine von vielen Marken im Stellantis-Konzern. Viele zweifeln, ob das wirklich eine Verbesserung war. Immerhin kann man auf die für Europa entwickelten Plattformen zurückgreifen, was Synergien schafft. Umgekehrt lässt sich die Verwandtschaft mit Peugeot und Citroën schwer leugnen. Es ist aber auch eine Art Adelsprädikat für den Opel-Standort Rüsselsheim, dass dort die Stellantis-Nobelmarke DS gefertigt wird.

■ Nicht alles ist schlecht

Die Qualität deutscher Hersteller ist immer noch Maß der Dinge. Gut ausgebildete Mitarbeiter aus dem dualen System sind ein Garant dafür. Lediglich Japaner und Koreaner – aber zunehmend auch Osteuropäer können da mithalten, und in ausländische Werke exportieren VW, BMW und Mercedes auch die hohen Standards. Auch wenn Produktion aus Deutschland abwandert, entstehen hier Jobs in Verwaltung, Forschung und Entwicklung. Allerdings wird auch hier die globale Konkurrenz zunehmen. Dazu kommt: Deutsche Autobauer neigen zu einer vorsichtigen Bilanz-Politik und haben meist mehr Substanz, als im Zahlenwerk erscheint. Dieser Effekt sollte nicht unterschätzt werden.

■ Lage besser als Stimmung

Die deutsche Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen. Sie muss sparen und gleichzeitig viel Geld in Zukunftsentwicklungen stecken. Auf Beschäftigte und Aktionäre werden einige magere Jahre zukommen. Doch die Probleme sind zu bewältigen.

Und was kann die Politik zum Wiederaufstieg beitragen? Sie sollte sich möglichst raushalten – und vielleicht einige der Steine, die man in Brüssel oder Berlin den Autobauern in den Weg gelegt hat, wieder wegräumen. Allein dadurch wäre schon viel geschafft.

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