Das ist der Plan für einen Frieden in Gaza

von Redaktion

Junge Palästinenser sitzen nach einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen vor einem zerstörten Gebäude. © dpa

Katars Regierungschef Scheich Mohammed bin Abdulrahman bin Jassim Al Thani ist Gastgeber der Verhandlungen. © pa

Israelis demonstrieren, hier in Tel Aviv, immer wieder für die sofortige Freilassung der Geiseln. © Ohad Zwigenberg/dpa

Doha – Kurz vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus den Krieg doch noch zu beenden, das wäre für US-Präsident Joe Biden ein großer Erfolg. Und die Verhandlungen in Doha, der Hauptstadt von Katar, scheinen ernsthafter als alle anderen zuvor. Die Einigung sei sehr nah, sagte der Sprecher des katarischen Außenministeriums, Madschid al-Ansari, gestern. „Wir haben einen Punkt erreicht, an dem die wichtigsten Probleme, die eine Einigung verhindert haben, gelöst wurden“, so al-Ansari. „Wir hoffen, dass dies sehr bald zu einer Einigung führen wird.“ Ähnlich optimistisch äußerte sich am Abend der scheidende US-Außenminister Antony Blinken. Man sei im Bemühen um eine Waffenruhe einer Vereinbarung so nahe „wie noch nie zuvor“.

Dass die Verhandlungen weit gediehen sind, lässt sich auch aus einer Äußerung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump schließen. Dem US-Sender Newsmax sagte er, Israel und die Hamas seien einem Abkommen sehr nahe. „Ich habe gehört“, so Trump, „dass es einen Handschlag gegeben hat und dass sie es zu Ende bringen – vielleicht bis zum Ende der Woche.“ Wie berichtet, hatte Trump der Hamas gedroht, es werde „die Hölle losbrechen“, sollte sie nicht alle Geiseln bis zu seinem Amtsantritt am 20. Januar freilassen.

■ Kampfpause als erster Schritt zum Frieden

Aber wie soll der Frieden aussehen? Wie berichtet, wurde dazu ein Drei-Stufen-Plan ausgearbeitet. Inzwischen sind weitreichende Details zu dem Plan durchgesickert.

Phase eins sieht demnach eine Kampfpause von 42 Tagen vor. In dieser Zeit soll die Hamas 33 Geiseln freilassen – wobei offen ist, ob davon noch alle leben. Israel werde bis zur Freilassung nicht wissen, welche Geiseln lebend zurückkommen, hieß es. Es handele sich um Frauen, darunter, Soldatinnen, zwei Kinder, Menschen über 50 sowie Verletzte und Kranke. Derzeit befinden sich nach israelischen Angaben noch 94 der ursprünglich 251 Geiseln in der Hand der Hamas.

Laut israelischen Medien soll Israel im Gegenzug 1000 palästinensische Häftlinge übergeben. Israels Armee soll sich außerdem Stück für Stück aus bewohnten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen und zuletzt auch aus dem Grenzgebiet zwischen Ägypten und dem Gazastreifen. Geplant ist weiter, dass die in den Süden des abgeriegelten Küstenstreifens geflohenen Einwohner unter internationaler Aufsicht in ihre Wohngebiete im Norden zurückkehren dürfen. Laut US-Medienberichten wird Israel zunächst Pufferzonen entlang seiner östlichen und nördlichen Grenze zum Gazastreifen aufrechterhalten.

Der eigentliche Friedensprozess soll in Phase zwei in Gang kommen. Wie der US-Sender CNN berichtete, sollen die Verhandlungen dazu am 16. Tag der Umsetzung des Abkommens beginnen. Aus Vermittlerkreisen sickerte durch, die Hamas habe mündliche Garantien der USA, Katars, Ägyptens und der Türkei akzeptiert, dass Israel die Verhandlungen auch wirklich fortsetzt. Dabei soll es laut israelischen Medien auch um den Abzug der Armee aus ganz Gaza gehen.

Sollte es so kommen, würde Phase drei in Kraft treten. Dabei geht es um den Wiederaufbau des Gazastreifens. US-Außenminister Antony Blinken stellte dazu gestern in Washington einen Plan vor. Folgende Prinzipien seien dafür zentral: eine „neue palästinensisch geführte Regierung, die den Gazastreifen mit dem Westjordanland“ vereine und der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellt sei, „keine israelische militärische Besetzung des Gazastreifens“, „keine Verkleinerung des Gazastreifens“ sowie „kein Versuch, ihn nach dem Konflikt zu belagern oder zu blockieren“. Auch die Bevölkerung dort dürfe nicht gewaltsam vertrieben werden. Es müsse einen „nachhaltigen Mechanismus für die Erholung und den Wiederaufbau“ geben, forderte Blinken.

■ Künftige Regierung in Gaza als Streitpunkt

So weit der Plan – der noch mit einigen großen Fragezeichen versehen ist. Schwierige Punkte sind die Rückkehr der vertriebenen Bewohner, der Rückzug der israelischen Armee und die Wiederöffnung der Grenzübergänge. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnte bisher einen kompletten Abzug aus dem Gazastreifen ab. Medien zufolge, die sich auf Teilnehmer der Gespräche berufen, fordert die Hamas eine permanente Waffenruhe, Israel will nur einen vorübergehenden Waffenstillstand. Unklar scheint auch, wie weit sich Israels Armee in Phase eins zurückziehen würde. Laut der „New York Times“ fordert Israel eine Pufferzone von 1,5 Kilometern, die Hamas von nur 500 Metern.

Eine Kernfrage ist, wer künftig das Sagen im Gazastreifen hat. Netanjahu will eine palästinensische Verwaltung eigentlich nicht mehr akzeptieren, in keinem Fall unter Beteiligung der Hamas und eigentlich auch nicht unter Beteiligung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die USA halten eine Beteiligung aber für zwingend. Eine Übergangslösung könnte eine Art Übergangsverwaltung unter Führung mehrerer arabischer Länder sein. Weil die Frage sehr komplex ist, soll sie Berichten zufolge bei den aktuellen Verhandlungen zurückgestellt werden.

In Israel steht Netanjahu unter Druck. Der rechtsextreme Flügel seiner Koalition will keinen Deal mit der Hamas, droht mit Rückzug aus der Koalition. Auf der anderen Seite wächst der Druck der Angehörigen der Geiseln, die ungebrochen für einen schnellen Deal und eine Rückkehr der noch lebenden Geiseln demonstrieren. Die Israel-Expertin Mairav Zonszein von der International Crisis Group (ICG) sagte, Netanjahu scheine offener für ein Abkommen geworden zu sein. Allerdings sei er „nur an einem Teilabkommen interessiert“.

■ Opposition will Netanjahu vorerst stützen

Ein schnelles politisches Ende muss Netanjahu im Falle eines Abkommens wohl nicht befürchten. Erstens ist es ihm gelungen, seine rechtsreligiöse Regierungskoalition zu festigen, unter anderem durch eine Kabinettsumbildung. Das macht ihn nun weniger angreifbar für die Drohungen seiner rechtsextremen Koalitionspartner. Zweitens kündigte die Opposition an, ihn im Falle eines Deals vorerst zu stützen.

Eine Feuerpause hatte es bereits im November 2023 gegeben. Damals kamen 105 israelische Geiseln und im Gegenzug 240 inhaftierte Palästinenser frei. Die Feuerpause hielt aber nur eine Woche. Seitdem verliefen alle Bemühungen um eine Lösung im Sande.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich. „Wir verstehen, wie schmerzhaft jede Vereinbarung mit der Terrororganisation Hamas für Israel ist. Dennoch: Das Leben der Geiseln muss jetzt oberste Priorität haben. Das sage ich auch, da sich unter den Geiseln zahlreiche deutsche Staatsangehörige befinden.“ Die Vereinbarung biete die Chance, das Leid in Gaza endlich zu lindern.
MIT AFP, DPA

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