HINTERGRUND

Ein Diplomat mit harten Kanten

von Redaktion

Merkels Sprecher und Schweiger Seibert fällt als Botschafter in Israel auf: Er eckt an, aber gleichmäßig

Mit Schutzweste: Steffen Seibert (l.), hier mit Robert Habeck beim Israel-Besuch des Vizekanzlers. © Kay Nietfeld/dpa

Tel Aviv/München – Ob er Angst habe, wurde Steffen Seibert neulich gefragt, und er staunte über sich selbst. „Seltsamerweise habe ich persönlich um mich keine Angst. Ich habe die Grundhaltung: Es wird schon alles gut gehen“, erzählt er im „Ronzheimer“-Podcast. Dabei verbrachte er schon viele Stunden im Schutzraum, hörte „brutale Detonationen“, spürte selbst unterirdisch noch die Druckwellen von 200 iranischen Raketen. Man solle sich das aber nicht falsch vorstellen, bittet er, „wir liegen nicht 24 Stunden im Schützengraben“.

Nicht ängstlich zu sein, ist eine Grundvoraussetzung für Seiberts Posten, denn es ist einer der schwierigsten in der Welt. Er ist seit Juli 2022 deutscher Botschafter in Israel, also Diplomat in einem aufgewühlten, angegriffenen, angreifenden Land. Und er ist keiner von denen, die sich wegducken in den kontroversen Debatten. Seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 fällt Seibert als einer der Diplomaten auf, die unermüdlich vor und hinter den Kulissen für eine Freilassung der Geiseln streiten. Teils auch öffentlich: Er besucht Kundgebungen, trat etwa am Wochenende als Demo-Redner in Tel Aviv auf, eine ungewöhnliche Rolle für einen Botschafter.

Ebenso kritisiert der 64-Jährige aber die Lage in Gaza, geht auch hier an Grenzen oder vielleicht darüber. Rund um Weihnachten etwa verbreitete er im Internet Berichte über drei angeblich in Gaza erfrorene Babys weiter. Sie sind, wie fast alle Schilderungen aus der Terror-Hochburg, umstritten, können Hamas-Propaganda sein, aber auch die Wahrheit. Doch Seibert legte sich fest, wenn einen diese Berichte „nicht bewegen, dann verstehen wir nicht die Geburt in einer Krippe in Bethlehem oder das Licht Chanukkas“. Eine zornige Reaktion des israelischen Außenministeriums folgte umgehend.

Es war nicht der erste Ärger mit dem Gastland. Im September 2023 hatte sich Seibert den Zorn der umstrittenen israelischen Netanjahu-Regierung zugezogen, weil er demonstrativ eine Sitzung des Obersten Gerichts zur Justizreform besuchte. Gegen die Reform gibt es massive Proteste im ganzen Land. Mischte sich Seibert da ungehörig in innere Angelegenheiten ein, was Botschafter zu unterlassen haben?

Zumindest ist davon auszugehen: Seibert tapst nicht unbedarft durch die Weltpolitik, der gelernte Historiker kennt sich sehr genau aus, agiert überlegt. Kaum ein Botschafter sollte politisch so versiert sein wie er: Der gebürtige Münchner, vielen Menschen im Land noch geläufig als USA-Korrespondent und ZDF-Moderator, war über elf Jahre lang als Regierungssprecher und Staatssekretär einer der allerengsten Vertrauten von Angela Merkel. Er verwaltete ihr Sprechen und, leider häufig, ihr Schweigen. Er weiß, wie man diplomatisch formuliert. Und wie nicht. Er gilt als extrem fleißig, Arbeitstier, lernte binnen Monaten passabel Hebräisch.

Also war er die richtige Wahl? Kritik in Deutschland an Seibert gibt es jedenfalls kaum, auch wenn er eben kein Karrierediplomat ist. Einen engen Polit-Berater auf einen Top-Botschafterposten zu setzen, ist für deutsche Verhältnisse nicht die Regel, aber auch keine extreme Ausnahme. In Moskau ist sogar ein Politiker nahtlos Botschafter geworden, der ebenfalls zum Anecken bereite Ex-FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Dafür ist in Berlin das US-System komplett fremd, dass Präsidenten Parteispender – diplomatisch unerfahren, aber blind loyal – mit den besten Botschafterposten versorgen.

Mutmaßlich darf Seibert, im Juni wird er 65, bis zu seinem Ruhestand auf dem Posten bleiben. Der 2022 geraunte Vorwurf, wieso da ein Merkel-Getreuer mit einem gemütlichen Austragsstüberl am warmen Mittelmeer versorgt werde, ist jedenfalls bald verklungen.

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