Letzte Generation: Klimakleber-Proteste erwecken oft den Eindruck, die Jugend von heute stelle Umweltschutz an erste Stelle – doch der Schein trügt. © picture alliance
So werden die verschiedenen Generationen oft kategorisiert – doch tatsächlich sind die Grenzen fießend.
Leergefegte Leopoldstraße: Während der Pandemie haben sich viele an strikte Ausgangssperren gehalten – vor allem die Jüngeren in der Gesellschaft. © Agency People Image
Stürmische Generation: Eingehakt rennen Studenten im März 1968 durch die Münchner Innenstadt, um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren. © picture alliance/SZ Photo/Werek
München – Der Ärger über jüngere Generationen folgt einer langen Tradition: Schon im alten Griechenland klagte Sokrates über Jugendliche, die nur rumlümmeln und Lehrer ärgern. Auch heute wird jungen Menschen Faulheit vorgeworfen – und dazu Wokeness, Selfie-Sucht und Klima-Quengelei. Umgekehrt haben Menschen der Boomer-Generation angeblich kein Interesse an Umweltschutz, Geschlechtergerechtigkeit oder moderner Technologie. Ist an diesen Klischees etwas dran? Rüdiger Maas ist Leiter des Instituts für Generationenforschung in Augsburg. In seinem neuen Buch „Konflikt der Generationen“ erklärt er, warum die Jugend von heute schon bald über die Jugend von übermorgen schimpfen wird.
Herr Maas: Generationen werden oft in Kategorien wie Alpha, Z, X und Boomer unterteilt. Ist das sinnvoll?
Eigentlich ist das Unfug: Generationen lassen sich nicht in 15-Jahres-Schubladen unterteilen. Es gibt keine klaren Grenzen zwischen ihnen. Außerdem verwenden wir den Begriff oft falsch: Wenn wir über Generationen sprechen, dann geht es um Einflüsse und Eigenschaften, die unabhängig vom Alter wirken. Beispiel: Wenn wir sagen, dass junge Leute der Generation Z zu viel auf TikTok rumhängen, dann müsste das auch noch auf sie zutreffen, wenn sie 40 oder 60 Jahre alt sind – andernfalls wäre das kein Generationen-Merkmal, sondern einfach der aktuelle Zeitgeist der jungen Leute.
Wenn man also sagt, dass jungen Menschen der Generation Z Umweltschutz wichtiger ist …
… Dann ist das nicht richtig. Das Thema Nachhaltigkeit wird gerne der Generation Z zugeschrieben, dabei haben wir sogar festgestellt: Junge Leute hinterfragen ihr Umweltverhalten weniger stark als ältere. Avocado-Frühstück, Fast-Fashion, Langstreckenflüge – den stärksten CO₂-Fußabdruck haben die Jüngeren. Trotzdem wollen wir in die junge Generation etwas hineininterpretieren, was gar nicht da ist.
Warum?
Weil man den Jungen gerne den moralischen Kompass übergibt. Warum ist die Gesellschaft zum Beispiel so geschockt darüber, dass viele junge Menschen bei der Europawahl die AfD gewählt haben? Müsste man nicht eher hinterfragen, warum Ü40-Jährige mit einer gefestigten Persönlichkeit nach rechts driften? Nein, uns interessiert viel mehr, wo die 16-Jährigen ihr Kreuz machen – und dann gehen wir noch frecherweise davon aus, dass sie vor vier Jahren noch Grün gewählt haben. Dabei sind diese Menschen inzwischen 20.
Andersrum gefragt: Warum unterstellt man der Boomer-Generation, sie interessiere sich nicht für Klimaschutz, Diversität oder Gleichberechtigung?
Das denken diejenigen, die in Geschichte nicht aufgepasst haben. Erinnern wir uns doch an die 68er-Bewegung, bei der sich Studenten für die Rechte von jungen Menschen und Frauen eingesetzt haben. Heute haben wir diesen Protesten vieles zu verdanken.
Sie haben in Ihrer Forschung festgestellt, dass sich junge Menschen mehr an Corona-Regeln gehalten haben als ältere. Ist dieser stürmische 68er-Geist mit der Zeit verloren gegangen?
Ja. Und hierbei handelt es sich tatsächlich um einen messbaren Generationeneffekt – weil wir eben nicht davon ausgehen, dass die jungen Leute in 20, 30 Jahren doch noch ihre rebellische Ader entdecken oder eine zweite Pubertät durchlaufen. Diese stürmische Art gehört einfach nicht in ihr Lebenskonzept und das wird sich auch irgendwann auf die Erziehung ihrer Kinder auswirken.
Können Sie diese Entwicklung erklären?
Um beim Corona-Beispiel zu bleiben: Wir sehen, dass junge Menschen einen stärkeren Bezug zur Wissenschaft haben und weniger anfällig für Verschwörungstheorien sind. Sie hatten auch nicht so ein großes Problem damit, ihr Leben in die digitale Welt zu verlagern, weil sie da schlicht erfahrener sind. Dagegen sind Boomer und Menschen der Generation X in einer Zeit aufgewachsen, in der man sich von Autoritätspersonen wie Lehrern oder Eltern nichts gefallen lassen hat – dementsprechend waren sie auch weniger regeltreu, als der Staat ihnen Vorschriften machen wollte.
Im Netz machen sich junge Leute oft über Boomer lustig: Etwa weil sie in ihren Augen unlustige Videos teilen oder peinliche Emojis nutzen. Man hat das Gefühl, die Älteren werden nicht mehr für voll genommen. War das schon immer so?
Nein, das ist ein neues Phänomen. Und die Älteren sind durchaus schuld daran: Ich nenne das die Kolonialisierung der Jugendräume. Beispiel Facebook: Das war eine Plattform für junge Leute, bis ihre Eltern und dann auch Großeltern das gekapert haben. Am Ende haben die Jüngeren zu Instagram gewechselt, doch auch da finden sich zunehmend ältere Nutzer. Plötzlich eifern die Alten den Jungen hinterher. Das war jahrtausendelang anders. Stellen wir uns mal vor, in den 80er-Jahren hätten Eltern wie ihre Kinder lange Haare oder einen Irokesen-Schnitt getragen und Punk-Musik gehört. Wie sollte man sie dann noch als Vorbilder ernst nehmen?
Schon im Alten Griechenland klagte Sokrates, die jungen Leute seien faul und respektlos. An dem Bild der „Jugend von heute“ hat sich wohl jahrtausendelang nichts geändert.
Das scheint ein Teil unserer Menschheit zu sein: Die Alten ziehen über die Jungen her. Auch jetzt wird den jüngeren Generationen vorgeworfen, faul zu sein – weil sie zum Beispiel eine Viertagewoche oder Sabbaticals einfordern. Aber dabei blenden wir aus, dass wir gesamtgesellschaftlich fauler geworden sind. Teilzeitarbeit ist ja keine Erfindung der jungen Menschen. Ältere Menschen tendieren einfach nur dazu, Vergleiche mit ihrer Vergangenheit zu ziehen – als sie noch ordentlich schuften mussten. Und dabei vergessen sie, dass diese Zeiten auch für sie selbst längst vorbei sind.
Krieg, Klimakrise, miserable Rentenaussichten: Haben es die jungen Leute heute schwerer als früher?
Im Gegenteil. Die Babyboomer sind im Kalten Krieg groß geworden, als praktisch jeden Tag die Welt untergehen konnte. Dann kam Tschernobyl, als saurer Regen fiel und es keine grünen Wälder mehr gab. Gefühlt gab es jeden Tag eine neue Extrem-Nachricht: Mal hieß es, wir würden alle durch Rinderwahn blöd. Dann sollten plötzlich alle wegen der Sonneneinstrahlung Hautkrebs bekommen. Manche Krisen werden einem auch eingeredet, und das ist auch heute noch so. Dabei geht es uns gar nicht so schlecht. Unsere Ost-West-Angleichung ist so hoch wie nie, und die Deutschen wachsen nach wie vor in einem Wohlstandsland auf.
Wie können sich die Generationen annähern?
Wir sollten unser Gegenüber ernst nehmen – und zwar so, wie er ist. Wenn ich mit einem 16-Jährigen spreche, sollte ich ihn weder auf ein Niveau von 46 Jahren heben noch ihn wie einen Zwölfjährigen behandeln. Er ist eben 16, und ich habe seine Vorstellungen von der Welt zu respektieren. Gleichzeitig sollten die Jüngeren die Erfahrungswerte der Älteren nicht einfach ignorieren oder abwerten, sondern berücksichtigen. Ein konstruktiver Dialog ist nur möglich, wenn wir Verständnis füreinander aufbringen. Wenn jemand 40 Jahre lang nicht gegendert hat, ist es für diese Person einfach schwierig, sich umzustellen – daran ist überhaupt nichts verwerflich. Insgesamt wäre es hilfreich, wenn wir toleranter miteinander umgehen: Das bedeutet, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren, auszuhalten und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Konflikt der Generationen
Boomer, Gen X, Millennials und Gen Z – Wie wir uns wirklich unterscheiden und was das für unsere Zukunft bedeutet. Von Rüdiger Maas. 200 Seiten. Münchner Verlagsgruppe. Preis: 22 Euro.