Der Täter von Aschaffenburg: Enamullah O. suchte sich im Schöntal-Park gezielt Kinder als Opfer.
Großeinsatz: In der Innenstadt bestimmten nach der Tat Feuerwehr und Rettungsdienste das Straßenbild. © Hettler/dpa
Der Tatort: Rettungskräfte und Kriminaltechniker gehen im Schöntal-Park eine kleine Brücke hinauf. Ganz in der Nähe tötete der Afghane Enamullah O. zwei Menschen. © Hettler/dpa
München/Aschaffenburg – Der Schöntal-Park ist nicht Aschaffenburgs beste Adresse. Erst vor zwei Monaten hat die Polizei das offiziell festgestellt, damals stufte sie das Areal im Zentrum der unterfränkischen 70 000-Einwohner-Stadt als „gefährlichen Ort“ ein. Ausdrücklich bezog sich diese Einschätzung auf Drogendelikte bis hin zu Raub und Körperverletzung innerhalb des Milieus. Allgemein sei der Aufenthalt im Schöntal-Park weiterhin „objektiv sicher“.
Bis gestern um 11.45 Uhr hat dieses Urteil Bestand, dann wird das Sicherheitsgefühl in der Grünanlage mit tödlicher Wucht erschüttert. Der 28-jährige Afghane Enamullah O. fällt zwei Erzieherinnen auf, weil er ihnen und den fünf Kindern folgt, mit denen sie zum Spielen in den Park gegangen sind. Wie das „Main-Echo“ berichtet, sind die beiden Frauen beunruhigt und wollen mit den Kindern den Park verlassen, da attackiert O. die Gruppe mit einem Küchenmesser. Mit grausamer Berechnung zielt er besonders auf die Kinder ab. Zwei Personen, einen 41-jährigen Mann und einen zweijährigen Jungen, verletzt er tödlich, drei weitere werden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert, auch unter ihnen ist ein Kind. Ein zweijähriges Mädchen.
Nach zwölf Minuten ist der Angreifer gefasst
Die Polizei ist nach dem Angriff rasch vor Ort, womöglich gerade wegen seiner Vorgeschichte als gefährlicher Ort. Fußstreifen gehen hier regelmäßig Patrouille. Sehr schnell können sie O. festnehmen, bald machen erste Details über den Verdächtigen die Runde. Er ist in einer Asylunterkunft in der Region gemeldet, in der Vergangenheit war er psychisch auffällig. Eine zweite Person wird kurz nach der Festnahme wieder freigelassen, offenbar handelt es sich um einen Zeugen.
Fünf Stunden nach der Tat steht Joachim Herrmann im Schöntal-Park, an einem Ort mit dem unwirklich idyllisch anmutenden Namen Magnolienhain. Der Innenminister hat mittags im Landtag von der Tat erfahren. Als er gegen 17.15 Uhr vor die Presse tritt, kann er schon ein ziemlich genaues Bild von den Ereignissen und ihrer Vorgeschichte zeichnen.
Demnach ist Enamullah O. am 19. November 2022 nach Deutschland eingereist, Anfang des folgenden Jahres stellte er einen Asylantrag. „Mindestens dreimal“, so Herrmann, sei O. seitdem wegen Gewaltdelikten aufgefallen, früh kamen dabei Zweifel an seiner psychischen Gesundheit auf. Er sei mehrfach in Psychiatrien eingewiesen worden, berichtet Herrmann – „und entlassen“.
Im Dezember wollte O. Deutschland freiwillig verlassen
Vor sieben Wochen schließlich, am 4. Dezember, kündigte O. seine freiwillige Ausreise an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stellte daraufhin das Asylverfahren ein und forderte ihn auf, das Land zu verlassen. Warum es dazu nicht kam, ob der Ausreisewunsch überhaupt ernst gemeint war, ist in den Stunden nach der Attacke noch nicht bekannt. Es gibt noch viele offene Fragen, auch zu den konkreten Hintergründen der Tat, dem Motiv. Aber ein bisschen Klarheit kann Herrmann schon schaffen.
Einen terroristischen Hintergrund schließt der Minister aktuell aus: „Im Moment gehen die Mutmaßungen sehr stark in Richtung seiner psychischen Erkrankungen.“ Bei der Durchsuchung der Unterkunft habe es „keine Hinweise auf eine radikale islamistische Gesinnung“ gegeben. Was auch immer den Mann getrieben hat, Hass auf die freie westliche Gesellschaft dürfte es eher nicht gewesen sein. Der zweijährige Junge, den O. getötet hat, ist marokkanischer Herkunft. Ein gleichaltriges Mädchen, das mit mehreren Messerstichen im Halsbereich ins Klinikum Aschaffenburg eingeliefert wird, stammt aus Syrien. Es ist am Abend ebenso außer Lebensgefahr wie ein 61-jähriger Mann, der im Brustbereich mehrere Stichverletzungen davonträgt und operiert werden muss. Das dritte Opfer, eine Erzieherin, erleidet einen Unterarmbruch, als sie auf der Flucht vor Enamullah O. stürzt.
Der zweite Tote, ein 41-jähriger Deutscher, sei ein Passant gewesen, der instinktiv den gefährdeten Kindern zu Hilfe gekommen sei, berichtet Herrmann. „Ein Mann, der mit seinem Einschreiten sehr wahrscheinlich weitere Kinder vor dem Tod bewahrt hat.“ Der Minister ist erkennbar angefasst. Aber, auch dieser Hinweis ist ihm wichtig, die Zivilgesellschaft hat an diesem Tag auch ihre Stärke bewiesen. Ausdrücklich dankt Herrmann den Bürgern, die trotz der Lebensgefahr und der offensichtlichen Grausamkeit des Mannes seine Verfolgung aufnahmen und die Polizei sehr schnell auf die Spur des Afghanen führten. Exakt zwölf Minuten nach der Tat sei Enamullah O. festgenommen worden.
Der tragische Tod eines Lebensretters, die Bluttat als solche, die besondere Schutzlosigkeit der jungen Opfer, der Hintergrund des Täters – all das befeuert in der Summe die Debatte um Migration und Integration, die das Land schon lange beschäftigt und in den nächsten Wochen – gerade im Hinblick auf die Bundestagswahl am 23. Februar – in Atem halten wird. Das wird in den Stunden nach dem Angriff deutlich, als sich immer mehr Politiker äußern und versuchen, ihr Entsetzen in Worte zu fassen. Viele gebrauchen vor allem die in solchen Momenten üblichen Vokabeln, sie sprechen von „Erschütterung“ und „Mitgefühl“, von Trauer um die Opfer und Trost für die Hinterbliebenen. Andere gehen weiter.
Klaus Holetschek, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, sagt, der schreckliche Angriff sorge bei ihm für Trauer und Mitgefühl, „aber vor allem für Wut“. Ähnlich klingt Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz: „So kann es nicht weitergehen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trifft sich noch am Abend mit Innenministerin Nancy Faeser sowie den Chefs von Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundespolizei. Er sei es „leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen“.
Am drastischsten aber formuliert es, wenig überraschend, die AfD-Vorsitzende Alice Weidel: „Remigration jetzt.“