In diesem ehemaligen Hotel wohnte Enamullah O. zuletzt. Auch dort wurde er mit Gewaltdelikten auffällig.
Jürgen Herzing (SPD), OB von Aschaffenburg, bei der Kranzniederlegung am Tatort zum Gedenken an die Opfer. © Löb/dpa
Zischan Mehmood (re.), Imam von Aschaffenburg, und ein weiteres Mitglied der Gemeinde bei der Kranzniederlegung. © dpa
In Schutzkleidung und begleitet von Polizeibeamten wird Enamullah O. der Haftrichterin vorgeführt. © dpa
Enamullah O. sollte eigentlich schon nicht mehr in Deutschland sein. Aber die Abschiebung ging schief.
Aschaffenburg trauert: Viele Menschen kamen zum Tatort, zündeten Kerzen an und legten Kuscheltiere ab. © AFP
München/Aschaffenburg – Das Plakat trifft einen mitten ins Herz. Es zeigt das Foto des marokkanischen Buben Yannis D. Am Mittwoch marschierte Yannis fröhlich mit seiner Kita-Gruppe durch den Schöntal-Park in Aschaffenburg. Jetzt ist er tot. Erstochen von einem 28-jährigen, vermutlich psychisch kranken Asylbewerber. Das Plakat hing gestern in Aschaffenburg aus. Darauf rief die Islamische Kulturgemeinde am Abend zu einem Solidaritätstreffen mit den Angehörigen der Opfer am Tatort auf.
Solidarität, das ist etwas, was die kreisfreie Stadt in Unterfranken jetzt gut brauchen kann. Zwei Tote und drei Schwerverletzte – ein zweijähriges syrisches Mädchen, eine 59-jährige Erzieherin und ein 72-jähriger Mann, der notoperiert werden musste. Das Messerattentat erschüttert Aschaffenburg bis ins Mark.
Das zweite Todesopfer ist ein 41-Jähriger, der den Täter stoppen wollte. Das kostete ihn das Leben – rettete aber wahrscheinlich andere Kinder. Bayern will den Mann, über den bisher nichts bekannt ist, feierlich ehren. „Wir werden dem Mann, der sein Leben geopfert hat, postum die bayerische Rettungsmedaille verleihen“, sagte Ministerpräsident Markus Söder. „Das macht ihn nicht lebendig, aber es ist ein Zeichen der Wertschätzung, auch gegenüber seiner Familie.“
Zischan Mehmood, Imam von Aschaffenburg, trauerte gestern am Tatort um die Opfer, Benjamin Idriz, Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg, verurteilte die Tat in einer Mitteilung scharf. So wie Idriz rief aber auch der Aschaffenburger Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) dazu auf, einen klaren Kopf zu bewahren. „Wir dürfen die Tat eines Einzelnen niemals einer ganzen Bevölkerungsgruppe anrechnen. Die furchtbare Tat eines Einzeltäters darf keine Spirale der Gewalt und des Hasses in Gang setzen.“
In vollem Gange ist aber bereits die Debatte um die deutsche Asylpolitik (siehe Artikel unten). Denn wieder stach ein Asylbewerber zu, der den Behörden als Gewalttäter bekannt war und der schon längst außer Landes sein sollte.
Zuletzt lebte der 28-jährige Enamullah O. im ehemaligen Hotel „Zur Brezel“ im Zimmer mit der Nummer 20. Auch hier war er schon gewalttätig, wie Bewohner berichten. „Er hat meiner Nachbarin mehrere Schnitte zugefügt, am ganzen Körper. Sie schrie um Hilfe, ich rief die Polizei“ erzählt die Ukrainerin Mane. Auf einem Handyvideo ist zu sehen, wie der Afghane überwältigt und von der Polizei befragt wird.
Auch der direkte Nachbar von Enamullah O. hatte sich schon öfters beim Hausverwalter beschwert. „Er hat immer Krach gemacht, laut Musik gehört und getrunken“, berichtet der Mann. Vor drei Monaten habe die Polizei den Afghanen mitgenommen, tags darauf sei er aber schon wieder da gewesen. Die Ukrainerin Mane sagt, sie habe mehrfach das Landratsamt informiert, weil sie Angst um die im Haus lebenden Kinder gehabt habe. „Doch ich bekam keine Rückmeldung.“
Bei der Durchsuchung seines Zimmers wurden Medikamente zur Behandlung von Psychosen gefunden, aber keine Hinweise auf ein islamistisches Motiv. Die Ermittler vermuten bisher eine psychische Erkrankung. Wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bestätigte, war Enamullah O. vor dem Angriff im Schöntal-Park mindestens dreimal wegen Gewalttaten auffällig geworden. Jedes Mal sei er zur psychiatrischen Behandlung eingewiesen – und wieder entlassen worden. Noch am Donnerstagnachmittag wird Enamullah O. der Haftrichterin vorgeführt. Diese entscheidet: Er kommt erneut in die Psychiatrie. Der Unterbringungsbefehl sei wegen zweifachen vollendeten und zweifachen versuchten Mordes jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erlassen worden, teilte die Staatsanwaltschaft am Abend mit. Beim fünften Opfer dauern die Ermittlungen noch an. Enamullah O. selbst schweigt bislang.
Dabei hätte Enamullah O. schon nicht mehr in Deutschland sein sollen. Und wie schon in anderen Fälle versagte die Kommunikation zwischen den Behörden.
Laut Herrmann war der 28-Jährige unter anderem wegen einer verstrichenen Frist nicht abgeschoben worden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe den Asylantrag zwar am 19. Juni 2023 abgelehnt und eine Abschiebung nach Bulgarien angeordnet. Darüber informierte sie den Afghanen, aber nicht die bayerischen Ausländerbehörden. Diese, so Hermann, habe das Bamf „aufgrund welcher Fehler und Probleme auch immer“ erst am 26. Juli in Kenntnis gesetzt – wenige Tage vor Ablauf der Abschiebefrist. Eine Rückführung in ein anderes Land sei innerhalb von sechs Tagen aber nicht organisierbar, „noch dazu, wenn das völlig unvorbereitet kommt“.
Als Folge lag das Asylverfahren laut Herrmann weiter beim Bamf, das aber nicht darüber entschied – bis Enamullah O. im Dezember 2024 selbst ankündigte, ausreisen zu wollen. Dass er das nicht in die Tat umsetzte, lag laut Herrmann wohl auch daran, dass er noch keine Papiere vom afghanischen Generalkonsulat hatte, um die er sich offenbar alleine kümmern sollte. Laut Herrmann wäre eine Abschiebung aber auch bei einer früheren Ablehnung des Asylantrags nach jetzigem Recht schwierig gewesen. Bisher habe es nur einen entsprechenden Flug gegeben.