Unsere Autorin Stefanie Zipfer darf auch mal einen Blick in den Leo-Kampfpanzer werfen. © Bruno Haelke
Schießübung in voller Fahrt: Das Panzerbataillon bei der Übung in Grafenwöhr. © Bruno Haelke
Moritz (19) aus München sitzt auf einem Leopard-Kampfpanzer. Er hat sich für 13 Jahre verpflichtet. © Bruno Haelke
München/Grafenwöhr – Grafenwöhr ist ein beschauliches Fleckchen Erde. Knapp 6700 Menschen leben in der Stadt im oberpfälzischen Kreis Neustadt an der Waldnaab. Bekannt ist der Ort auch, weil er 1960 einen berühmten Besucher hatte: Elvis Presley. Im Zuge seines Wehrdiensts bei der US Army verbrachte der US-Star auf dem Truppenübungsplatz in Grafenwöhr mehrere Wochen für Manövertraining.
Die Auszubildenden beim Panzerbataillon 104 können mit dem „King of Rock ‘n‘ Roll“ nicht mehr so viel anfangen. Ihr Star ist der Kampfpanzer Leopard 2 A7V. Die Soldaten nennen den modernsten Panzer der Bundeswehr „Leo 2“. Für viele hier ist es der erste Ritt in dem bis unter die Luke bewaffneten 67-Tonner. Es ist eine mehrtägige Übung im scharfen Schuss. Früher hätte eine solche Übung streng abgeschottet stattgefunden. Doch seit Kanzler Scholz die „Zeitenwende“ ausgerufen hat und die Bundeswehr personell aufgerüstet werden soll, ist man offener.
Schon der Truppenübungsplatz ist für Zivilisten ein Erlebnis. Das Areal wird seit Ende des Zweiten Weltkriegs von der US-Armee verwaltet – eine Fläche so groß wie Nürnberg samt Umland. Ukrainische Soldaten werden in Grafenwöhr an US- Kampfsystemen ausgebildet. Eine Kontaktaufnahme ist streng verboten – auch den Soldaten der Bundeswehr, die hier regelmäßig trainieren dürfen.
Mit den Eltern gab es Diskussionen
Auf der Fahrt über das Gelände hat man fast das Gefühl, in den USA zu sein. US-Trucks rollen über die Straßen, die Geschäfte haben englische Namen. In der Ferne hört man dumpfes Knallen und Maschinengewehr-Salven. Irgendwann weichen die schönen US-Busse Bradleys, Schützenpanzern der US Army. Es geht vorbei an einer Art Parkplatz voller US-Hubschrauber, in regelmäßigen Abständen wird man kontrolliert.
Der Eindruck einer fremden Welt bleibt auch, als man das deutsche Lager erreicht. Für die Soldaten des Panzerbataillons 104 ist ein Zelt aufgebaut. Davor, sauber aufgereiht, stehen die vier „Leo 2“, mit denen sie üben sollen. 1500-PS-Dieselmotor, 120-Millimeter-Kanone. In das Hightech-Monstrum passen vier Mann, vorne der Fahrer, hinter ihm der Kommandant sowie der Richtschütze und daneben der Ladeschütze. Wenn der „Leo“ losfährt, bebt die Erde. 104 Stück hat die Bundeswehr davon, im Kampfeinsatz war der 2 A7V aber noch nie. Der Ukraine hat Deutschland ältere Modelle überlassen.
Das Szenario, das die Soldaten „im scharfen Schuss“ üben sollen, lautet: „Angreifen, den Feind stoppen, nachstoßen.“ Dann: „Sich zurückziehen, abwarten und wenn der Feinddruck nachgelassen hat, wieder angreifen.“ Das Ganze am Ende noch unter „Teilausfällen“ der Technik. Der Lärm der Geschütze in voller Fahrt ist ohrenbetäubend.
Einer der Auszubildenden des Bataillons ist Moritz aus München. Der 19-Jährige ist Soldat auf Zeit, hat sich für 13 Jahre verpflichtet, will Offizier werden. Trotz seiner Jugend wirkt Moritz abgeklärt, wenn er erzählt, warum er sich für eine Karriere bei der Bundeswehr entschieden hat. „Ich habe 19 Jahre lang in Frieden und Freiheit leben dürfen, ich habe 19 Jahre lang von unseren Werten profitieren dürfen. Jetzt möchte ich unserem Land etwas zurückgeben“, sagt er. Klar, räumt Moritz ein, seien seine Eltern erst einmal skeptisch gewesen, als er ihnen nach dem Abitur seinen Berufswunsch mitteilte.
Es gab Diskussionen, Moritz willigte ein, sich ein Jahr zum Überlegen zu geben. Er absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Münchner Kindergarten. Es änderte nichts. „Ich will in den Sicherheitsbereich. Ich will meine Familie, meine Freunde, unser Land beschützen!“ Nach einem Gespräch beim Karrierecenter der Bundeswehr in München sei es für ihn immer klarer geworden, dass die Streitkräfte für ihn der richtige Arbeitsplatz sind.
Moritz liebt Sport – seit 14 Jahren spielt er Handball. Er bezeichnet sich als „Teamplayer, der gern Verantwortung übernimmt“. Als er dann noch das Auswahlverfahren für die Offiziersausbildung erfolgreich hinter sich brachte, gab es für ihn keine Alternative mehr. „Die Bundeswehr bietet mir eine hervorragende Ausbildung, militärisch und akademisch“, sagt Moritz. Als Gegenleistung für den Verzicht auf ein Studentenleben und Work-Life-Balance bekommt er schon im ersten Jahr 2200 Euro Nettogehalt. Für das Panzerbataillon habe er sich bewusst entschieden. „Das Gerät“ fasziniere ihn, es sei „wahnsinnig spannend, wie Besatzung und Maschine zusammenwirken“.
Heute spürt Moritz den „Leo“ zum ersten Mal am eigenen Leib. Als sein Panzer wieder anhält und er aus der Luke klettert, sieht man ihm die Anstrengung an. Moritz steht komplett unter Adrenalin. Er sei „geflasht“, sagt er. „Da fliegt einem das Barett vom Kopf, ein surreales Gefühl.“ Eine derartige „Druckwelle“ im Inneren des „Leo“ habe er nicht erwartet. Für diese Druckwelle ist er als Richtschütze mitverantwortlich. Bei voller Fahrt muss er das Kanonenrohr mit einer Art Joystick ausrichten und auf Kommando feuern.
Zivilisten dürfen nicht in mit scharfer Munition beladenen Panzern mitfahren. Aber Probesitzen ist erlaubt. Es ist verdammt eng in so einem Leopard, überall Munition, Monitore und Technik. Die Vorstellung, hier zu viert mehrere Stunden miteinander verbringen zu müssen, womöglich in einem echten Kampfeinsatz, raubt einem den Atem.
Offiziersanwärter Moritz sieht das entspannter. Natürlich sei ein „Leo“ nicht gebaut für Spazierfahrten im Münchner Süden. Dass er eine schwere Waffe ist, das schiebt der 19-Jährige heute zur Seite. Ein Panzer dürfe „auch einfach mal Spaß machen“, sagt er. „Und er macht auch Spaß.“ Dass daraus tödlicher Ernst werden könnte, sei ihm aber bewusst: „Natürlich kann immer was passieren.“ Moritz geht nicht davon aus, dass er nach 13 Jahren den Dienst quittiert. Aber er hat einen Plan B, wird an der Bundeswehr-Uni Personalmanagement studieren. Eine Qualifikation, „die ich im zivilen Leben auch gut brauchen könnte“.
Auf der Fahrt zurück ins normale Leben geht es an einem Schild vorbei, mit einer Botschaft an die Soldaten: „Thank you for your service!“