Wollen Sie wirklich ins woke Berlin, Herr Aiwanger?

von Redaktion

Hubert Aiwanger mit unseren Redakteuren Mike Schier (li.) und Sebastian Horsch in seinem Lieblings-Gasthaus.

Hier kann man den Autoschlüssel noch kurz stecken lassen: Hubert Aiwanger in seinem Lieblings-Gasthof in Niederbayern. Die Redakteure haben ihren Wagen zur Sicherheit doch lieber abgesperrt. © Mike Schier

Rottenburg – Hubert Aiwanger hätte als Vize-Ministerpräsident eigentlich ein gutes Leben. Aber der Chef der Freien Wähler, will nach Berlin in den Bundestag, um dort die Landbevölkerung zu retten. Zeit also für eine Landpartie nach Rottenburg an der Laaber, 8600 Einwohner, ein paar Kilometer nördlich von Landshut. Hier ist Aiwanger aufgewachsen, die Eltern leben noch auf dem Hof. Ein Wochentag am Mittag, im Ortskern ist wenig los. Ein Schild vor einem Wirtshaus lockt mit Schnitzel für 10,90 Euro. Das Waffengeschäft von Bruder Helmut, das in der Flugblatt-Affäre bundesweit Bekanntheit erlangte, ist geschlossen. In Rottenburg liegen die Wurzeln für Aiwangers Politik. Wir treffen uns in seinem Stamm-Gasthaus, er isst noch schnell etwas. Dann können wir reden.

Herr Aiwanger, Sie sind eben aus München zurückgekommen. Erfüllt Sie ein besonderes Gefühl, wenn Sie hier ankommen?

München ist ja kein anderer Stern für mich, sondern seit vielen Jahren mein Arbeitsplatz. Trotzdem: Auf dem Land bin ich verwurzelt, hier fühle ich mich wohl. Hier funktionieren soziale Strukturen noch, hier können die Menschen sich notfalls noch selbst versorgen. Doch die große Politik prescht auf diese ländliche Welt zu wie ein Bulldozer.

Sie haben den Stadt-Land-Konflikt zu Ihrem großen Thema gemacht.

Ich will das Auseinanderdriften Stadt-Land verhindern, weil ich den Trend seit Jahren sehe. Es ist zudem der Markenkern der Freien Wähler, die bodenständige Welt bewahren zu wollen und den Ausgleich mit den Städten zu suchen. Dass Edmund Stoibers CSU damals voll auf Metropolisierung gesetzt hat und das Abhängen des ländlichen Raums und gerade der Osten Bayerns sich links liegen gelassen sah, hat mitgeholfen, uns Freie Wähler ins Spiel zu bringen. Wir wurden so zum bodenständigen Gegengewicht der CSU.

Sie sagen, die sozialen Strukturen funktionieren nur noch auf dem Land. Was meinen Sie?

Dass aus jeder Familie jemand bei der Freiwilligen Feuerwehr ist, dass man Dorffeste feiert, dass sich Nachbarn noch helfen, dass man die Haustür nicht abschließen muss und den Autoschlüssel kurz stecken lassen kann, dass man gegenseitig auf die Kinder schaut, dass man sich Kartoffeln oder Eier vorbeibringt. Man kennt sich, man unterstützt sich – weil man ein Grundvertrauen in dieselbe Wertebasis teilt. Das kann es natürlich auch in Ortschaften mit über 10 000 oder 100 000 Einwohnern geben, wenn man im richtigen Siedlungsgebiet ist.

Warum gefährden dann die Stadt und die Entscheidungen, die dort getroffen werden, Ihrer Meinung nach dieses Leben?

Die woken Trends, die unsere Bürger in Land und Stadt nerven, werden überwiegend in städtischen Milieus auf den Weg gebracht. Pseudomoderne Milieus, welche beispielsweise die biologischen Geschlechter infrage stellen, anstatt sich um die wahren Probleme der Menschen zu kümmern. Dinge, über die am Land niemand im Ernst redet, werden dort plötzlich sehr ernsthaft diskutiert. Selbstverständlichkeiten, die sich über tausende Jahre bewährt haben, werden auf einmal infrage gestellt.

Zum Beispiel?

Man soll plötzlich Wälder stilllegen, statt sie zu nutzen. Der Wolf soll toll sein, obwohl man am Land weiß, dass er deine Viecher frisst. Bürgergeld für Arbeitsfähige statt Leistung, x-mal im Jahr in den Urlaub fliegen, aber Dieselautos verbieten wollen, kein Fleisch mehr essen, aber Cannabis paffen, diese Positionen provozieren, oftmals gezielt.

Alles Unsinn?

In der extremen Einseitigkeit ja. Besonders, wer einen bäuerlichen Hintergrund hat und mit der Natur und Tierwelt aufgewachsen ist, hat dafür oft kein Verständnis, weil seine Erfahrung sagt, dass sich genau das Gegenteil bewährt hat. Dabei kann er auch nachhaltiger beweisen, dass sein Lebensmodell funktioniert. Das eigentumsfeindliche linke Modell lebt hingegen in vielen Fällen auf Kosten der Substanz, die vorherige Generationen aufgebaut haben. Diese woke Welt ist irreal und wird sich deshalb auch totlaufen. Die Frage ist, wie viel Schaden sie vorher anrichtet. Es ist ganz still im leeren Nebenzimmer des niederbayerischen Gasthauses. Im Bierzelt bekommt Aiwanger für solche Sätze oft viel Beifall. So wie Donald Trump bei seinen Auftritten in den USA. Auch dort hadern die Bürger des ländlichen Mittleren Westens mit der Politik der Eliten an den Küsten.

Haben Sie die Antritts-Rede von Donald Trump verfolgt?

Nein.

Nichts davon?

Nein, ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Aber man kriegt natürlich seine politischen Ansichten mit, und dass auch in Amerika die gesellschaftliche Spaltung Stadt-Land zunimmt und die politische Polarisierung befördert.

Gehen wir ein paar von Trumps Kern-Aussagen durch: Es gibt nur zwei Geschlechter.

Eine Selbstverständlichkeit seit Jahrtausenden. Biologisch gibt es zwei Geschlechter, die über die Chromosomen XX und XY definiert sind. Und es gibt Abweichungen, die diesen beiden Geschlechtern nicht oder nicht eindeutig zuordenbar sind. Wenn sich jemand woanders verortet sieht als es das biologische Geschlecht bestimmt, geht es auch um das Thema Identität. Man muss diese Themen sensibel behandeln. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist aber verwundert, wenn man einem sichtbar biologischen Mann erlaubt, sich ab morgen ohne Beratung oder Ähnliches als Frau auszugeben und umgekehrt.

Nächster Trump-Punkt: Es braucht weniger Klimaschutz.

Wir Freien Wähler sind Unterstützer Erneuerbarer Energien, schon allein deshalb, weil Deutschland viel Geld für fossile Energieimporte ins Ausland bezahlt. Wenn wir diese Summe reduzieren können, ist das gut. Und es dürfte auch klar sein, dass der Verbrauch fossiler Energieträger und Rohstoffe nicht gut ist für die Umwelt, weil es keine nachhaltigen Kreisläufe sind wie bei der Nutzung von Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen.

Aber?

Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass es als Industrieland absehbar nicht ohne fossile Energieträger geht. Wir dürfen nur so weit und so schnell reduzieren, wie es Wirtschaft und Bürger verkraften können. Sonst wandert die energieintensive Wirtschaft in die USA ab – und die Bürger können es sich oft nicht leisten, ihr Haus in den nächsten Jahren klimaneutral umzubauen.

Der Mensch beeinflusst also das Klima?

Ja. Das tut er schon seit Jahrtausenden, beispielsweise als die Römer die Iberische Halbinsel abgeholzt haben und unsere Vorfahren unser einst dicht bewaldetes Land. Und jetzt natürlich noch mehr. Wenn aber heutzutage ein direkter Einfluss auf einzelne Überflutungen oder Waldbrände hergestellt wird, glaube ich, ist das teilweise nicht sachgerecht und auch politisch motiviert. Untergangsszenarien waren schon immer ein bewährtes Herrschaftsmittel, um Menschen einzuschüchtern und zu demotivieren, eher als die Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Das gilt auch für die Angstmacherei mit immer neuen angeblichen Kipppunkten.

Apropos. Haben wir in Deutschland bei der Migration einen Kipppunkt erreicht?

Ja. In der Realität und der Wahrnehmung der Bürger hat sich das Land durch verfehlte Migration zum Negativen verändert. Das war ein Kipppunkt. Ich glaube, dass wir wirklich kämpfen müssen, um die Kurve noch einmal zu kriegen.

Was würden Sie denn alles in der Migrationspolitik verändern?

Die Fleißigen und Anständigen dürfen hier bleiben. Ansonsten Zurückweisungen an der Grenze für Illegale, Pull-Faktoren wie Bürgergeld für nicht Arbeitswillige reduzieren, Ausweisung von Straftätern ohne deutschen Pass, Null-Toleranz bei Gruppenvergewaltigungen und bei Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland. All das wäre nach heutiger Gesetzgebung bereits möglich, wenn man nur wollte. Die Freien Wähler wollen mit drei Direktmandaten in den Bundestag. Aiwanger selbst tritt nicht in seinem Heimatlandkreis an, auch nicht in der Zweitheimat im Landkreis Regensburg, wo er mit seiner Partnerin Tanja Schweiger und den beiden Kindern lebt. Er kandidiert im Wahlkreis Rottal-Inn, wo der CSU-Platzhirsch Max Straubinger nach 31 Jahren Bundestag nicht mehr antritt. Weitere Hoffnungen ruhen auf dem Landrat des Landkreises Landshut, Peter Dreier, und der Landrätin des Kreises Oberallgäu, Indra Baier-Müller. Aiwanger hat ambitionierte Ziele: Er will Bundeswirtschaftsminister werden.

Was würden Sie als Bundeswirtschaftsminister als Erstes tun?

Den Wirtschaftsstrompreis auf vier Cent beschränken, Steuern für Unternehmen auf 25 Prozent senken, Gastrosteuer auf 7 Prozent, für Arbeitnehmer 2000 Euro Steuerfreibetrag, Arbeitszeitflexibilisierung, um Gastronomie und Mittelstand zu entlasten, Gaskraftwerke für die sichere Energieversorgung bauen.

Klingt ziemlich teuer für den Staat.

Die Steuerausfälle würden sehr schnell überkompensiert durch mehr Wirtschaftswachstum und daraus resultierende höheren Einnahmen.

In der CSU lästern sie gerne, der Aiwanger würde sich mehr fürs Jagen als für die Wirtschaft interessieren.

Dass ich in den Bereichen Landwirtschaft und Jagd so verwurzelt bin, gefällt der CSU gar nicht, weil sie es selbst gerne mehr wäre. Auch meine Teilnahme an den Bauerndemos hat ihnen gar nicht gefallen. Ihnen wäre lieber gewesen, ich wäre in den Urlaub geflogen.

Markus Söder und Sie haben sich nach der Flugblatt-Affäre wieder zusammengerauft. Richtig harmonisch wirkt es aber immer noch nicht.

Richtig harmonisch war es auch vorher nicht. Wir sind natürlich Wettbewerber im bürgerlichen Lager. Die CSU sieht in uns vor allem einen Stimmenkonkurrenten, weil sie ernsthaft glaubt, alle bürgerlichen Stimmen gehörten eigentlich ihr. In Wahrheit gehören die Stimmen den Bürgern, die sie in freier Entscheidung den Politikern geben. Wir sehen uns hingegen als Ermöglicher einer bürgerlichen Regierung. Das wollen wir auch auf Bundesebene sein. Mit uns würde es für die Union sicher leichter als mit den Grünen.

Angenommen, Sie schaffen es in den Bundestag: Gehen Sie auch dann, wenn es nur für die harte Oppositionsbank langt?

Ja, das werde ich. Auch wenn mir das die CSU nicht glauben will, die in der Vergangenheit ganz selbstverständlich Kandidaten wie Edmund Stoiber und Joachim Herrmann zum Stimmenholen an die Listenspitze gestellt hat, die dann aber München nicht verlassen haben.

Sie wollen also wirklich ins woke Berlin?

Ja, um zu retten, was noch zu retten ist.

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