München/Dresden – Weil die Rentenbeiträge nicht mehr reichen, muss der Bund etwa ein Drittel der zuletzt rund 360 Milliarden Euro, die die Rentner 2024 bekamen, über Steuern finanzieren. Wie wollen die Parteien diese Rentenlücke stopfen? Das haben wir Professor Joachim Ragnitz vom ifo-Institut in Dresden gefragt.
Professor Ragnitz, sind die Pläne der Parteien geeignet, die Schieflage im Rentensystem zu beheben?
Nein, keine Partei traut sich an das Rentenproblem ran. Im Grunde versprechen alle, dass sich nichts ändert – oder sich die Leistungen sogar verbessern. Dabei setzt man auf das Prinzip Hoffnung. Man will den Rentnern nicht wehtun, weil sie die größte Wählergruppe sind. Deshalb wälzt die Politik die Lasten einfach komplett auf die Beitragszahler und auf die Steuerzahler ab. Fair ist das aber nicht.
Was wäre denn fair?
Wenn man die Lasten auf die Rentner und die Beitragszahler aufteilen würde. Das geht etwa mit dem Nachhaltigkeitsfaktor, der im Moment ausgesetzt ist. Er würde garantieren, dass die Rente weniger steigt, wenn immer mehr Rentner auf immer weniger Beitragszahler kommen. Dafür müsste das Rentenniveau aber unter 48 Prozent des durchschnittlichen Bruttogehalts sinken dürfen, laut Bundesarbeitsministerium bis 2040 nämlich auf 45 Prozent. Das würde die Rentenkasse zumindest über die 2030er-Jahre stabilisieren, in denen die geburtenstarken Jahrgänge im Ruhestand sind.
Und danach?
Bleibt das Problem, weil nicht genug Kinder nachkommen und die Menschen älter werden. Deshalb müsste man den Renteneintritt mit der Lebenserwartung anheben. Da geht es nicht um zehn Jahre mehr im Job, sondern eher um ein Jahr bis 2040 und zwei Jahre bis 2050. Und man könnte die Rentenerhöhungen statt an die Löhne an die Inflation koppeln. Auch dafür müsste die Haltelinie von 48 Prozent fallen. Das will aber keine Partei.
Wäre die Rentenlücke weg, wenn auch Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen?
Die Grünen schlagen so eine Bürgerversicherung vor. Würde man Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rente überführen, gäbe es bei denen natürlich einen Aufschrei. Aber selbst, wenn man die Umstellung gut hinbekommt: 2030 hätte man so zwar mehr Beitragszahler, was die Lücke etwas stopfen würde. Langfristig gäbe es aber auch mehr Rentner und damit höhere Ansprüche auf das Rentensystem. Man hätte das Problem also nur auf 2040 oder 2050 verschoben. Das heißt aber nicht, dass man nicht über eine Reform der Beamtenversorgung reden muss: 70 Prozent des letzten Gehaltes als Pension? Davon können gesetzlich Versicherte nur träumen.
Und was ist mit Projekten wie der Aktienrente oder einem Pensionsfonds?
Damit so ein Kapitalstock tatsächlich eine spürbare Entlastung bei der Rente bringt, müsste er riesig sein, etwa 700 Milliarden Euro aufwärts. Hätte man wie Schweden oder Norwegen vor 20 oder 30 Jahren mit dem Aufbau so eines Systems angefangen, würde das der Rente jetzt tatsächlich etwas helfen. Das haben wir aber nicht, obwohl das Rentenproblem seit Jahrzehnten bekannt ist. Heute wäre der Aufbau ein Kraftakt und der würde sich erst spät auszahlen, so gegen 2070. Die Probleme um 2030, wenn die Babyboomer in Rente gehen, würde er nicht lösen.
Wäre es noch sinnvoll, so ein Projekt anzupacken?
Grundsätzlich schon. Das wäre ja ein weiteres Standbein für die Rente, ähnlich einer privaten Altersvorsorge. Doch es kommt auf die Ausgestaltung an. Die Aktienrente der FDP wäre viel zu klein. Und der Fonds, den sich die Grünen vorstellen, würde nur in klimafreundliche Projekte investieren. Da stellt sich die Frage, ob die Rendite passen und ob es zu Interessenkonflikten zwischen Altersvorsorge und Klimaschutz kommen würde.
Und was, wenn wir weiterwursteln wie bisher?
Dann werden wir ab 2030 massive Schwierigkeiten haben, weil sich dann das Verhältnis von Rentnern und Einzahlern stark verschlechtert. Die Frage ist, was dann kommt: starke Beitragserhöhungen? Noch höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt? Meine Befürchtung ist, dass genau das passieren wird und die Politik die Rente zum Beispiel über eine höhere Mehrwertsteuer finanzieren möchte. Das sagt nur heute noch niemand.