ZUR PERSON

Was ist Ihr Kanzler-Plan, Herr Merz?

von Redaktion

Die Welt in Unordnung: Ein Gespräch über die Außenpolitik zum Start der Sicherheitskonferenz

Die Ukraine kann große Teile des Wiederaufbaus selber schaffen, sagt Merz, hier mit Präsident Wolodymyr Selenskyj. © pa

München/Berlin – Die Welt schaut auf München: Werden bei der Sicherheitskonferenz Lösungen für den Ukraine-Krieg vorgeschlagen? Wie mächtig, wuchtig, brutal tritt die Trump-Regierung auf der Weltbühne auf? Und wie geht die internationale Politik mit den in der heißen Wahlkampf-Endphase steckenden Deutschen um? Wir haben uns mit CDU-Chef Friedrich Merz verabredet – nach Lage der Umfragen der nächste Bundeskanzler. Mit dem 69-Jährigen sprechen wir vor allem über die Außenpolitik, seine Pläne, seine Rolle als Wortführer in Europa – und über den Umgang mit Trump. Merz wird ab heute vor Ort in München sein.

Herr Merz, wenn es für die Union planmäßig läuft, dann sind Sie Ostern Kanzler. Haben Sie schon über die erste Auslandsreise nachgedacht?

Ja, ich habe darüber nachgedacht. Es soll nach Paris und Warschau gehen, und das am besten innerhalb von 24 Stunden.

Und wie sieht es mit den USA aus? Haben Sie schon mit Trump telefoniert? Oder haben Sie’s bald vor?

Es gibt zwischen den Teams Kontakte. Ich werde die amerikanische Delegation am Freitag und Samstag in München sehen und bin mit Vizepräsident J. D. Vance verabredet. Ich gehe davon aus, dass es nach der Regierungsbildung auch relativ schnell zu einer Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten kommen wird. Vorher allerdings, und da will ich nicht vorgreifen, steht erst einmal die Entscheidung der deutschen Wählerinnen und Wähler an.

Versprechen Sie den Deutschen: Ich werde einer sein, der mit Trump auf Augenhöhe reden kann?

Das ist jedenfalls meine feste Absicht. Und dazu gehört, dass sich ein deutscher Bundeskanzler vor solchen Gesprächen immer mit den wichtigsten Verbündeten in der EU abstimmt – und auch mit Großbritannien. Europa sollte, wo immer möglich, mit einer Stimme sprechen.

In Europa gibt es große Empörung über Trumps angedrohten Handelskrieg gegen die EU. Haben Sie sich einen Plan zurechtgelegt, welchen Deal man ihm anbieten kann?

Empörung ist jedenfalls nicht der richtige Weg zu einer Lösung. Wir sollten ganz nüchtern herangehen und unsere Interessen definieren. Wir werden Donald Trump sagen, dass wir keinen Handelskonflikt wollen. Wenn er einen beginnt, wird Europa aber eine angemessene Antwort bereithalten. Freier Handel ist immer die bessere Lösung für alle Beteiligten.

Wir stehen vor der spannendsten Siko seit Jahren. Wen treffen Sie dort?

Ich bin im Halbstundentakt international verabredet und treffe in München eine zweistellige Zahl von Staats- und Regierungschefs…

…und den Ukrainer Selenskyj?

Ich habe ihn vor drei Wochen in Davos getroffen, wir sind immer wieder im Austausch.

Wie optimistisch sind Sie, dass in der Ukraine noch heuer die Waffen schweigen könnten?

Optimismus ist Pflicht. Aber eine realistische Betrachtung der Lage zeigt: Da liegt noch ein großes Stück Arbeit vor allen Beteiligten. In jedem Fall muss die Ukraine aus einer Position der Stärke in die Verhandlungen gehen. Dass die Waffen bald schweigen, hoffen wir alle, aber der Schlüssel dazu liegt in Moskau.

Das erneute Drei-Milliarden-Unterstützungspaket, das auch an Scholz scheiterte, würden Sie zügig auf den Weg bringen?

So wie der Haushaltsausschuss und der Bundestag das vergangene Woche festgestellt haben. Mit einer überplanmäßigen Ausgabe ist das technisch jederzeit möglich. Was fehlt, ist nur der politische Wille des Bundeskanzlers aus Motiven, über die ich nur mutmaßen kann.

Selenskyj hat Trump angeboten, einen Teil der Kriegsschulden mit seltenen Erden, also ukrainischen Rohstoffen, zu begleichen. Kanzler Scholz war darüber sehr erregt. Sie auch?

Auch hier gilt: Erregung ersetzt keine politische Strategie. Die Ukraine ist, rechnet man die Rohstoffe ein, wohlhabend und könnte große Teile des Wiederaufbaus aus eigener Kraft schaffen. Darüber jetzt öffentlich zu spekulieren, liegt aber nicht im Interesse der Ukraine.

Trump will, dass Europa und die Ukraine mehr US-Waffen kaufen, auch um das Handelsdefizit auszugleichen. Wäre das fair?

Ich sehe dieses behauptete Handelsbilanzdefizit nicht. Die Amerikaner zählen nur Warenaustausch, keine Dienstleistungen. Das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass wir in großem Umfang Dienstleistungen der Tech-Unternehmen aus den USA kaufen und in Europa nutzen. Die gesamte Leistungsbilanz ist also mehr als ausgeglichen. Das Thema militärische Beschaffung würde ich davon unabhängig sehen. Wir sind im Augenblick darauf angewiesen, mangels eigener Fertigungskapazitäten sehr viel Gerät in den USA zu kaufen. Ich würde gerne sehen, dass diese Abhängigkeit in den nächsten Jahren kleiner wird.

Trump wird nach einem Friedensschluss die Europäer in die Pflicht nehmen. Kann es sein, dass Sie es dann sind, der deutsche Friedenstruppen in die Ukraine schickt, wenn das der Trump-Putin-Deal ist?

Die Ukraine ist ein großes europäisches Land. Frieden dort liegt nicht nur, aber auch und vorrangig im Interesse der Europäer. Die Frage, wie ein solcher Friede abgesichert werden kann, müssen wir mit den amerikanischen Verbündeten und vor allem der Ukraine selbst besprechen. Aber nicht im Wege öffentlicher Ermahnungen, sondern strategisch klug im direkten Gespräch. Ich spekuliere nicht darüber. Das Einzige, was ich ganz fest und klar sage: Deutschland wird nicht Kriegspartei in der Ukraine.

Trump stellt immer wieder die Nato infrage. Vertrauen Sie dem US-Beistand noch?

Das Beistandsversprechen des Nato-Vertrags gilt. Trump ist in seine beiden Wahlkämpfe immer mit dem Slogan gegangen: America first! Er hat nie gesagt: America alone. Diesen Unterschied sollten wir verstehen.

Ihre Parteifreundin Angela Merkel sprach immer davon, dass sich Europa unabhängiger machen müsse. Passiert ist außer großen Reden nichts. Sehen wir das falsch?

Na ja – erstens ist die Analyse richtig, dass Europa unabhängiger werden muss, ohne sich von Amerika zu lösen. Zweitens haben alle europäischen Staaten ihre Verteidigungsbudgets deutlich aufgestockt. Wir sind aber noch nicht am Ziel. Uns muss klar sein: Der Weg ist noch lang.

Früher bildeten Paris und Berlin das europäische Tandem. Steht das noch? Wie beurteilen Sie die Leistung von Scholz in diesem Bereich?

Olaf Scholz ist auch in dieser Hinsicht weit hinter den Notwendigkeiten eines deutschen Bundeskanzlers zurückgeblieben. Eines der schlechtesten Beispiele: Als er Joe Biden im Kanzleramt verabschiedet hat, beim letzten Besuch des US-Präsidenten, waren die Staats- und Regierungschefs aus London und Paris dabei – aber nicht Donald Tusk aus Warschau. Das war ein Affront gegen Polen, unseren stärksten Nachbarn im Osten. So etwas wird in meiner Verantwortung nicht passieren.

Welche Rolle würde der Kanzler Merz anstreben? Suchen Sie die Fußstapfen eines Helmut Kohl?

Ich bemerke in all meinen Gesprächen, auch mit den sozialdemokratischen Regierungschefs: Deutschlands Rolle in Europa wird zurzeit als große Lücke empfunden. Wir sind das größte, bevölkerungsreichste, trotz Ampel immer noch wirtschaftlich stärkste Land in der Mitte der EU. Der Bundeskanzler muss in enger Absprache mit allen Partnern Führungsverantwortung für ganz Europa übernehmen. Diese Lücke möchte ich füllen.

Eine Frage zur Entwicklungspolitik: Viele Deutsche überblicken nicht mehr, wofür da überall Geld in alle Welt fließt. Ist es sinnvoll, zum Start die Ausgaben auf null zu stellen?

Wir werden nicht alles auf null stellen, wir achten langfristige Zusagen und Vereinbarungen. Aber dieses Politikfeld – ich rede lieber von wirtschaftlicher Zusammenarbeit – müssen wir in den Kontext unserer eigenen strategischen und sicherheitspolitischen Interessen stellen, auch im Zusammenhang mit Migration. Das scheint mir überfällig zu sein.

Braucht‘s dann echt einen eigenen Ministeriumsapparat dafür?

Es gibt große Schnittmengen mit der Wirtschafts- und mit der Außenpolitik. Sehr viele Staaten haben diese Aufgaben deshalb auch auf das jeweilige Wirtschafts- und das Außenministerium verteilt. Eine solche Neuordnung kann ich mir auch vorstellen.

Würde ein Bundeskanzler Merz weiterhin Millionen an das Palästinenserhilfswerk UNRWA überweisen, deren Mitarbeiter wohl am Hamas-Terror unmittelbar beteiligt waren?

Vor Entscheidungen dazu würden wir uns sehr genau anschauen, wer eigentlich die handelnden Personen dort sind. Deutsches Steuergeld kann nur fließen, wenn sichergestellt ist, dass damit nicht mittelbar oder gar unmittelbar der Hamas-Terror gegen Israel finanziert wird.

Einmal müssen wir in die Niederungen des Wahlkampfs. Sie warnen knallhart vor der Wahl der FDP, aber ist das nicht riskant? Am Ende könnte es sogar zu knapp werden für eine Zweierkoalition mit Rot oder Grün. Was, wenn es dann nur noch für Schwarz-Rot-Grün reicht?

Das entspricht nicht meiner Annahme über den Ausgang der Bundestagswahl. Ich habe mit Blick auf die FDP immer zwei Sätze gesagt: Wenn es nur für vier Prozent reicht, sind das vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent für uns zu wenig. Wenn die Liberalen bei acht Prozent stehen würden, könnten wir reden. Danach sieht es im Augenblick aber nicht aus.

Also: Pech gehabt, Herr Lindner?

Ich bedaure das persönlich, aber das ist das Schicksal der FDP, das sie selbst zu verantworten hat. Zur Erinnerung: Die FDP hat mit SPD und Grünen ein Wahlrecht zu verantworten, das uns keinerlei Rücksicht auf Zweitstimmen für andere Parteien ermöglicht. Insofern: Alle weiteren Fragen zu ihrer schwierigen Lage müssen Sie bitte der FDP stellen.

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