Den Ausblick genießt Haslbeck vom Balkon der Schaltzentrale aus. Sein Wohncontainer ist der letzte in der Reihe. © Rutt
So soll es einmal aussehen: Acht Mehrfamilienhäuser mit 136 Wohnungen entstehen in Feldafing am Starnberger See. © C7
„Salat gibt’s immer“: Michael Haslbeck beim Tomatenschneiden in seinem Zwölf-Quadratmeter-Container mit Küchenblock, Fernseher und Meister-Eder-Bett. Das Foto entstand aus dem Mini-Bad heraus. © Dagmar Rutt
Feldafing – Als die Dunkelheit an der Feldafinger Höhe langsam hereinbricht, der Kranfahrer von seinem Führerhäuschen herunterklettert und die anderen Bauarbeiter ihre Schutzkleidung abstreifen, hat Michael Haslbeck schon die Hausschuhe an. Während sich die Großbaustelle nach einem langen Arbeitstag leert, sitzt der 59-Jährige im Büro, trinkt einen Kaffee und isst einen Krapfen. „Ab halb sieben bin ich alleine hier“, sagt er. Den Raum mit dem großen Schreibtisch und den ausgebreiteten Bauplänen wird er bald verlassen. Denn der Polier, der Chef auf der Baustelle, will ja auch mal heim. Wobei heim heißt: vom ersten in den dritten Stock der Schaltzentrale der Baustelle, die aus 24 orangefarbenen Containern besteht. Oben, der letzte Richtung Starnberger See, das ist seiner.
Haslbeck trägt Brille, ein blaues Langarm-Poloshirt, und beim Reden fällt ihm manchmal eine graue Haarsträhne in die Stirn. Erster Eindruck: ein rundum positiver Mensch, einer, der gerne lächelt und oft lacht. Auch als er am Geländer des Container-Balkons lehnt, ins See-Alpen-Panorama blickt und sagt, er wohne schon jetzt da, wo andere eines Tages jede Menge für den Quadratmeter zahlen werden. Die Traumlage ist neu für den Niederbayern, seine spartanische Einrichtung nicht: Er lebt seit zwölf Jahren unter der Woche im Baucontainer. „Heimfahren lohnt sich nicht, das ist mir zu stressig.“ 142 Kilometer sind es einfach nach Loiching, ein 3700-Einwohner-Nest unweit vom BMW-Leitwerk Dingolfing.
In Feldafing, der flächenmäßig kleinsten Gemeinde im Landkreis Starnberg, Marketingspruch „Die Perle am See“, lässt der Münchner Investor C7 acht Mehrfamilienhäuser mit 136 Wohnungen errichten, teilweise im luxuriösen Stil. Die 15 000 Quadratmeter große Baugrube zwängt sich auf das alte Klinikgelände, zwischen das sanierungsbedürftige Feuerwehrhaus und die Possenhofener Straße. Etwa auf Höhe der Roseninsel mit den historischen Pfahlbauten im Wasser. Weltkulturerbe. Und nicht mal zwei Kilometer südlich des Schlosses, in dem Kaiserin Elisabeth ihre Kindheit verbrachte. Ende 2026 will C7 fertig sein.
Eine attraktive Wohngegend, aktuell für den Polier aus Niederbayern, später für jene, die „Exklusivität“ schätzen. Mit dem Klassiker unter den Slogans, „Leben, wo andere Urlaub machen“, bewirbt der Investor die Wohnungen, die zwischen 37 und 227 Quadratmeter groß sein werden. Michael Haslbeck hat gerade mal zwölf. „Es gibt auch Doppelcontainer“, sagt er. „Aber die kleineren sind mir lieber, da muss ich weniger putzen.“
Dann zückt er den Schlüssel und bittet in sein Reich. Als Besucher kommt einem unweigerlich das Zimmer im Studenten-Wohnheim mit dem Allernötigsten in den Sinn: zwei Kochplatten, Spüle, Kühlschrank, Fernseher und Minibad. Alles sehr schlicht, Persönliches steht nur auf dem kleinen Schreibtisch, der auch Esstisch ist: gerahmte Fotos von Haslbecks Frau und seinen beiden Söhnen. Dann ist da noch das Meister-Eder-Bett neben der Tür. „Das ist eine Schreinerarbeit“, erklärt der 59-Jährige. „Das Gestell hab ich für 50 Euro gebraucht bei Ebay gekauft.“ Seit zwölf Jahren reist das Bett mit ihm von Baustelle zu Baustelle. „Das Gute ist: Es lässt sich in Einzelteile zerlegen und passt in einen VW Polo.“
Die Baufirma, in Haslbecks Fall Markgraf aus München, würde ihm auch ein Hotel oder eine Pension zahlen, sagt er. „Mir ist es wichtig, dass ich mir selbst was zum Essen machen kann. Alleine im Restaurant sitzen: Das wäre die Höchststrafe für mich.“ Sein Arbeitgeber profitiert von Haslbecks Dauerpräsenz. So ist die Baustelle werktags nie verwaist, und gerade der Polier ist ein gefragter Mann, wenn’s mal irgendwo brennt. Sein Job: Als Bindeglied zwischen Bauleitung und Bauarbeitern für einen reibungslosen Ablauf sorgen, Betonmischer und andere Liefer-Laster koordinieren, damit nicht zwei gleichzeitig vor einem Kran stehen, Bestellungen rechtzeitig abarbeiten. Und das auf einer Großbaustelle, auf der in Spitzenzeiten eines Tages 120 Arbeiter gleichzeitig im Einsatz sein werden. Markgraf-Projektleiter Florian Sperl sagt, Leute von Haslbecks Schlag seien Gold wert. Er wisse Dinge, die lerne man in keinem Bauingenieur-Studium.
Haslbeck duscht meistens in der Früh, weil er abends oft zu müde dafür ist. Nach einem Salat („Den gibt es immer“), Salzkartoffeln, Spaghetti oder einem Leberkäse stöbert er meist noch durch YouTube („Da gibt es alles, im Fernsehen kommt ja oft nix Gscheits“). Beim Komödienstadel, dem BR-Bauerntheater, dessen Folgen er bestens kenne, könne er wunderbar einschlafen. Davor aber findet noch ein tägliches Ritual seinen Platz: „Ich telefoniere jeden Abend mit meiner Frau. Sie erzählt mir dann, was in der Zeitung steht und was in der Ortschaft so los ist“, sagt Haslbeck über den direkten Draht nach Loiching. Und: „Ich rede dadurch mehr mit meiner Frau, als wenn ich jeden Abend nach Hause kommen würde.“
Auf die Frage, was Komfort für ihn bedeutet, antwortet der Container-Bewohner nicht erwartungsgemäß mit „Sofa“. Denn lieber als über Einrichtungsgegenstände spricht er über seine Frau: „Das Allerschönste ist das gemeinsame Frühstück am Wochenende. Ich bin seit 36 Jahren glücklich verheiratet.“ Die Gattin kümmere sich daheim um alles. Laut ihrem Mann bringt sie die Autos in die Werkstatt, erledigt den Papierkram mit Versicherungen und kocht ihm auch noch Essen vor, das für montags und dienstags reicht. Wenn er am Freitagnachmittag nach Hause komme, liege die Post für ihn immer schon bereit. „Sie öffnet die Briefe, schaut aber nicht rein.“
Seinen Lebensstil änderte der Familienvater vor zwölf Jahren ganz bewusst. Oft war der Niederbayer auf Münchner Baustellen eingesetzt, die langen Fahrten setzten ihm zu. „Dann habe ich auch noch den Ärger aus der Arbeit mit nach Hause gebracht“, sagt er. Und so fragte der gelernte Maurer, der schon kurz nach der Ausbildung Polier wurde, in seiner damaligen Firma nach einem Wohncontainer. Als die Söhne, heute 28 und 30 Jahre alt, auf eigenen Beinen standen, entschloss er sich zu dem Schritt. „Es war ein Segen, als der ständige Fahrstress weg war.“
Einmal bezog der Loichinger seinen Container direkt am Nockherberg, die Baustelle war gegenüber vom Biergarten. Ein Highlight im Rückblick, aber an die Lage der „Feldafinger Höhe“ reicht die Erfahrung nicht ran. Und die schönste Zeit kommt ja erst noch: Haslbeck freut sich auf den Sommer. „Dann stell’ ich mir da einen Stuhl, einen kleinen Tisch und einen Sonnenschirm hin“, sagt er bei der Führung durch sein Domizil – und deutet auf die Baustellen-Balkon-Front.
Michael Haslbeck ist einer, der es zu was gebracht hat. Der mit 25 Jahren sein Eigenheim mit 220 Quadratmetern Wohnfläche und einem großen Garten gebaut hat. Der sich nach eigener Aussage über seinen Verdienst nicht beklagen kann. Aber er ist auch einer, der nicht viel braucht zum Glücklichsein. Dazu gehören ab und an ein Musical-Besuch und ein Wanderausflug mit seiner Liebsten. Und sein 40 Jahre altes Rennrad, das er, sobald der Winter rum ist, in seinem Container parkt. Das Holzgestell, auf dem der Fernseher steht, hat unten eine Aussparung. „Da passt es genau rein.“
Sehr weit werde er nach Feierabend, zwischen sechs und acht Uhr abends, wohl nicht kommen, sagt er. Aber das große Erholungsgelände am Seewestufer ist ja schnell erreichbar – und heißt tatsächlich „Paradies“. „Hauptsache mal rauskommen aus der Baustelle“, sagt Haslbeck. Das Telefonat mit der Frau falle trotz Radlrunde nicht aus, zeitlich seien sie da beide flexibel. Wobei: An manchen Tagen weiß der Ehemann, dass seine Gattin gerade einen Soko-Krimi schaut. „Den lasse ich manchmal dann auch laufen, wenn ich koche. Damit ich später mitreden kann.“