INTERVIEW

„Für die SPD ist das ein erschütternder Erdrutsch“

von Redaktion

Münchens Alt-OB Christian Ude fordert von der neuen Regierung eine Rückbesinnung auf die Bürger

Christian Ude (SPD), von 1993 bis 2014 OB in München. © pa

München – Ein historisch schlechtes Ergebnis – und wohl trotzdem wieder in der Regierung. Ein Gespräch mit Münchens Alt-OB Christian Ude (77) über den Zustand seiner SPD.

Herr Ude: Blaues Auge? Oder doch mehr?

Blaues Auge wäre zu beschönigend. Die SPD geht äußerst gerupft aus der Wahl – es ist ja ein fast zweistelliger Erdrutsch. Das ist zutiefst erschütternd.

War es ein Fehler, erneut auf Olaf Scholz zu setzen?

Wenn eine Regierung scheitert, und das eindeutig an sich selbst, geht sie angeschlagen in die Wahl. Da kann der Spitzenkandidat nicht die Rettung in aller Not bringen. Insofern hätte der Sturz des Kanzlers auch viele Irritationen ausgelöst.

Welche Personen wünschen Sie sich bei der SPD jetzt im Vordergrund?

Die Münchner SPD sollte nicht mit besserwisserischen Belehrungen auffallen, dafür ist unsere Leistungsbilanz der letzten zwölf Jahre zu trostlos. Ich kann nur sagen: Ein Blick ins Kabinett und die Runde der Ministerpräsidenten lehrt uns, dass es nicht an guten, zugkräftigen Personen fehlt. Man muss nur schnelle Entscheidungen treffen und sich das Kasperltheater, monatelang große Konferenzen einzuberufen, sparen.

Die Linke hat mit Themen wie Rente oder Miete bei jungen Wählern gepunktet. Hat die SPD solche sozialen Themen im Wahlkampf verschlafen?

Verschlafen würde ich nicht sagen, aber es versäumt, sie in den Mittelpunkt zu stellen und klar Farbe zu bekennen. Bei der Rentendebatte bedauere ich seit Jahren, dass es keine ehrlichen und zukunftsweisenden Vorschläge gibt. Und beim Mietrecht und dem sozialen Wohnungsbau ist es ja seit über 50 Jahren so, dass man unter den Versäumnissen des Bundes nur leiden kann.

Linke und AfD haben Social Media erfolgreich genutzt. Ist die SPD zu altbacken?

Eindeutig ja! Auf Facebook sehe ich bei SPD-Beiträgen immer nur, dass jemand seine Bestellung als Kandidat feiert oder mit einem Genossen ein Bier getrunken hat. Das sind keine Nachrichten, die irgendjemanden auf der Welt vom Hocker reißen.

Der AfD-Erfolg reicht bis nach Bayern. Sind die demokratischen Parteien mit ihrem Latein am Ende, wie Alice Weidel behauptet?

Es liegt sicher nicht am „Latein“, sondern am Zustand der Parteien, die so was von introvertiert sind und ihre eigenen Befindlichkeiten viel ernster nehmen als die Bevölkerung mit ihren Sorgen. Das ist der Konflikt, der sich in den Ergebnissen niederschlägt. Die demokratischen Parteien hätten die guten Antworten, aber sie haben den Wähler aus den Augen verloren.

Worauf kommt es jetzt für die neue Regierung an?

Vieles ist durch die Konflikte der Welt fremdbestimmt. Ukraine, Israel, Trump. Der Druck von außen ist enorm. Aber die Wähler erwarten plausible Antworten und ein geschlossenes Handeln mit sofortiger Erklärung. Regierungshandeln muss schneller werden, ohne quälend lange Diskussionen und Streitereien. Viele Bürger spüren ein Unbehagen, das sich zornig äußert.

Was sind die vordringlichen Themen?

Neben Migration der Frieden und die Wirtschaft. Hier muss angekurbelt werden, da sind sich ja alle einig. Es müssen Elemente beider Parteien aufgegriffen werden – es gibt ja keinen inhaltlichen Total-Widerspruch. Bei der Schuldenbremse wird man um Korrekturen nicht herumkommen, schaut man sich die Sonderbelastungen an, die durch die Wirtschaftskrise und die völlig veränderte Weltlage entstehen.

Wie ist Ihre Meinung zur Migration?

Es hätte rationaler gehandelt werden müssen, statt einfach die Lage schönzureden. Das Sicherheitsgefühl ist angeschlagen. Hier braucht es einen schnellen Konsens – aber auf einwandfreiem, rechtsstaatlichem Boden. Lösungen sind viel schwieriger, als die einfachen Antworten von konservativer Seite vermuten lassen.

Werden sich Union und SPD einigen?

Sie müssen! Die SPD muss – bei allem berechtigten Ärger über Friedrich Merz – zur Verantwortung stehen, Deutschland eine demokratische Regierung zu geben, bevor der Wähler eine andere Lösung sucht. In beiden Parteien gibt es guten Willen. Es kommt jetzt darauf an, Störmanöver von Leuten abzuwenden, die in den Parteienkampf mehr verliebt sind als in das Gelingen der Regierungspolitik.

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