Warum Merz mit FDP und Grünen spricht

von Redaktion

Schwierige Aufarbeitung: Der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, Mi.) mit den Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken in Berlin. © Hannes Albert/dpa

München/Berlin – Olaf Scholz sieht müde aus. Am Tag nach der schweren Wahlniederlage tritt der SPD-Kanzler mittags mit den Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken vor die Kameras. Als einfacher Abgeordneter werde er auch künftig für die SPD im Bundestag sitzen und sein am Sonntag in Potsdam errungenes Direktmandat wahrnehmen, kündigt Scholz an – als „jemand, der seinem Land dient und nicht sich“. In der Partei wird er keine Führungsrolle mehr einnehmen. Ein paar Wochen ist er voraussichtlich noch übergangsweise Kanzler, dann dürfte es das gewesen sein für den Spitzenpolitiker Scholz.

An Deutschlands Zukunft basteln da schon andere. Seit 9 Uhr steckt die Union die Köpfe zusammen. CDU-Präsidiumssitzung, Vorstandssitzungen beider Parteien. Auch bei der SPD tagen die Parteigremien. Ein erstes Telefonat zwischen Wahlsieger Friedrich Merz (CDU) und SPD-Tonangeber Lars Klingbeil, der neben der Partei auch die Fraktion in anstehende Verhandlungen führen soll, gab es schon am Wahlabend, auch vorher stand man in Kontakt. Anders als der bisherige Fraktionschef Rolf Mützenich, der dem im Bundestag starken linken Flügel angehört, ist Klingbeil ein Seeheimer – also innerhalb der Partei ein Konservativer. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius, der künftig eine wichtige Rolle in der SPD spielen dürfte, gilt als kompatibel mit der Union. In der Ukrainepolitik gibt es trotz grundsätzlicher Konflikte zwischen den Parteien (Taurus) persönliche Schnittmengen mit Merz. Manche sehen in Pistorius den nächsten Vizekanzler.

Selbst wenn man bei Themen wie Grenz-Zurückweisungen zuletzt über Kreuz lag, scheint eine Regierung unter einem Kanzler Merz mit diesem SPD-Personal machbar. Merz zeigt sich am Montag zuversichtlich, dass man hier eine Lösung finden werde. Auch in Wirtschafts- und Energiefragen (Bürgergeld, Gaskraftwerk-Standorte) sieht der CDU-Chef Wege, sich zu einigen. Beim SPD-Kernthema Rente ließen sich große Konflikte wohl zumindest überdecken. Auch auf anderen Feldern (Steuern, Cannabis) gibt es Annäherungsbedarf.

Gleichzeitig ist die Verunsicherung bei den Sozialdemokraten nach der Wahlklatsche spürbar. Wieder einmal lastet die staatspolitische Verantwortung schwer auf der SPD. Doch nach 22 Jahren in der Verantwortung – mit einer schwarz-gelben Unterbrechung von 2009 bis 2013 – hat sich die Partei wund regiert. Die SPD lechzt geradezu nach Modernisierung. Parteichefin Saskia Esken will allerdings von Abschied nichts wissen. Sie habe mehr als fünf Jahre mit großer Freude an der Geschlossenheit der Partei gearbeitet, sagt die 63-Jährige. „Und das gedenke ich auch weiter zu tun.“ Aufbruchstimmung sieht anders aus.

Vom Parteinachwuchs wird am Montag dann auch noch die erste Attacke auf die SPD-Führung gefahren. Die Verantwortung für die Niederlage liege bei Esken und Klingbeil, sagt Juso-Chef Philipp Türmer dem „Spiegel“. Die Aufstellung von Amtsinhaber Scholz als Kanzlerkandidat sei „vom Prozess und im Ergebnis“ ein Fehler gewesen. Nun entstehe der Eindruck: „Als erste Reaktion greift einer der Architekten des Misserfolgs nach dem Fraktionsvorsitz“, schießt Türmer gegen Klingbeil.

Und noch ein Damoklesschwert hängt über der nächsten GroKo. Die SPD will am Ende wohl wieder ihre Mitglieder über Koalitionsgespräche entscheiden lassen. Für nicht wenige in der Partei ist der kommende Kanzler Merz allerdings ein rotes Tuch. Dass er am Abend vor der Wahl in München noch einen Auftritt hingelegt hat („grüne und linke Spinner“), den ihm selbst nicht-ultralinke Sozialdemokraten übel nehmen, macht die Sache nicht einfacher. Holger Grießhammer, eher bürgerlich orientierter SPD-Fraktionschef im Landtag, sagt unserer Zeitung, er erwarte von Merz eine Entschuldigung. Grießhammer sagt aber auch, dass es für seine Partei fast schon in die Kategorie „Pflicht“ falle, eine stabile Regierung zu ermöglichen. Man sei „bereit“, aber „nicht erpicht“ – so formuliert es Pistorius. „Der Ball liegt bei Friedrich Merz“, sagt Klingbeil.

In jedem Fall will sich die SPD möglichst teuer verkaufen. Sie wäre zwar der kleinere Partner in einer neuen (nicht mehr ganz so) Großen Koalition, gleichzeitig unter den aktuellen Bedingungen aber auch der einzig denkbare. Gespräche mit den Grünen will Merz gar nicht erst führen. Schließlich gibt es zu zweit auch keine gemeinsame Mehrheit. Das verschafft den Sozialdemokraten Verhandlungsmacht.

Merz druckst am Montag nicht herum. Schwarz-Rot sei „das, was wir wollen“, sagt der kommende Kanzler. „Wir bieten der SPD gute, vertrauensvolle, vertrauliche und konstruktive Gespräche an.“ Konkret werden könnte es schon nach der für die Sozialdemokraten wichtigen Wahl in Hamburg am kommenden Sonntag. Ab Aschermittwoch, so ist zu hören, sei bereits ein Start offizieller Sondierungsgespräche denkbar.

Doch auch auf den alten Bundestag könnte es für Merz noch mal ankommen. Denn im neuen Parlament werden AfD und Linke gemeinsam über ein Drittel der Stimmen haben und somit eine sogenannte Sperrminorität. Entscheidungen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern – etwa eine Reform der Schuldenbremse oder ein Sondervermögen für die Bundeswehr – könnten die Parteien vom linken und rechten Rand verhindern. Ob deshalb in den kommenden Wochen noch mit den bisherigen Mehrheiten Fakten geschaffen werden könnten, darüber spreche man mit SPD, Grünen und FDP, sagt Merz. Noch seien die Überlegungen „nicht abgeschlossen“. Bis 24. März ist der alte Bundestag im Amt. „Das heißt also, wir haben jetzt noch vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken.“

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