Trost bei Freunden

von Redaktion

Erst mal eine Umarmung: Starmer begrüßt Selenskyj herzlich in London. © Kin Cheung/dpa

Hier ist es etwas wärmer als im Oval Office: Wolodymyr Selenskyj (r.) an der Seite von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (l.) und dem britischen Premier Keir Starmer (M.). Darüber: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident António Costa, Kanadas Regierungschef Justin Trudeau und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. © CHRISTOPHE ENA / POOL

München – Keir Starmer ist von Haus aus kein Mann großer Emotionen, eher ein Paradebeispiel britischer Biederkeit. Aber am Samstag ist davon nichts zu spüren. Als der Wagen von Wolodymyr Selenskyj vor Downing Street 10 hält, wartet der Premier schon und schließt den Ukrainer in die Arme. Dann drehen sich beide um, winken den jubelnden Unterstützern, die ins Londoner Regierungsviertel gekommen sind. Hier ist Selenskyj keine Reizfigur, schon gar kein Gegner. Hier ist er ein Held.

Was für ein Kontrast zu den Szenen, die sich keine 24 Stunden vorher in Washington abgespielt hatten. Auf offener Bühne führten der US-Präsident und sein Vize den Ukrainer vor, warfen ihm mangelnde Dankbarkeit vor und drohten damit, sein Land hängenzulassen. Selenskyj ließ sich seinerseits provozieren. Es war ein historischer Bruch, vollzogen vor laufenden Kameras. „Großes Fernsehen“, tönte Donald Trump noch, bevor der Gast auf kürzestem Weg das Weiße Haus verließ.

Die Beziehungen zwischen der Ukraine und den USA sind schwer beschädigt

Es war der bisherige Tiefpunkt einer Entfremdung, die mit Trumps Amtsbeginn eingesetzt hatte. Er hatte Selenskyj einen „Diktator“ genannt, ihm die Schuld am Krieg gegeben und die Ukraine vorerst von Gesprächen mit Moskau ausgeschlossen. Kritik an Kreml-Chef Wladimir Putin blieb indes aus. All das war schon schlimm genug. Seit Freitag aber stellt sich die Frage, ob sich das Verhältnis zwischen Washington und Kiew überhaupt noch kitten lässt. Im Interview mit Trumps Haus-Sender Fox verweigerte Selenskyj eine Entschuldigung. Der US-Präsident wiederum schimpfte auf seiner Plattform Truth Social: „Er kann wiederkommen, wenn er bereit für Frieden ist.“

Frieden für die Ukraine, Sicherheit für Europa. Es geht um viel und Europas Anführern ist nur allzu bewusst, dass sie die USA noch brauchen werden, wenn sie Russland vor weiteren Angriffen abhalten wollen. So warm der Londoner Empfang für Selenskyj auch ist, so sehr geht es beim Ukraine-Sondergipfel am Sonntag um beides: Darum, die USA doch noch irgendwie bei der Stange zu halten – und zugleich zu eigener Stärke zu finden.

Neben den Spitzen von EU und Nato hat Starmer gut ein Dutzend Staats- und Regierungschefs eingeladen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Polens Ministerpräsident Donald Tusk, den Bundeskanzler. Er, Olaf Scholz, hatte zuvor offenbar noch mit seinem wahrscheinlichen Nachfolger Friedrich Merz (CDU) telefoniert, ihn mitnehmen wollte er aber nicht. Dafür ist mit Kanadas Regierungschef Justin Trudeau ein Nicht-Europäer dabei. Es ist im Grunde ein Treffen des neuen Westens. Die alte Führungsmacht USA zählt offenbar nicht mehr dazu.

Es sind London und Paris, die schon vor dem Treffen versuchen, erste Akzente zu setzen. In einem BBC-Interview kündigt Starmer an, man werde mit der Ukraine und ein, zwei anderen Staaten einen Plan für einen Waffenstillstand ausarbeiten und ihn dann mit Washington besprechen. Auch wolle man mit anderen vorangehen, um europäische Sicherheitsgarantien für die Ukraine auf den Weg zu bringen. „Das ist wahrscheinlich erst einmal eine Koalition der Willigen“, sagt Starmer. Das sei besser, als auf jedes einzelne Land in Europa zu warten.

Premier Starmer will mit einer „Koalition der Willigen“ in Europa vorangehen

Damit dürfte er auch Deutschland meinen. Nicht erst seit der Bundestagswahl vor einer Woche kommen aus Berlin kaum mehr Impulse mit Blick auf die Ukraine. Stattdessen wird weiter gebremst. Als sich Starmer und Macron vor ihren jeweiligen Besuchen in Washington bereit erklärten, im Falle eines Waffenstillstands Truppen zur Friedenssicherung in die Ukraine zu schicken, hielt man das in Berlin ernsthaft für verfrüht. Auch die zänkische Wahlkampf-Debatte über drei zusätzliche Ukraine-Milliarde verfolgten die Partner eher irritiert als amüsiert.

Vorerst gehen deshalb andere voran. Dass sich die Dinge nun so schnell zuspitzen, ist dabei durchaus überraschend. Denn eigentlich standen die Zeichen eher auf Entspannung. Starmer und Macron hatten Trump bei ihren jeweiligen Washington-Besuchen vergangene Woche maximal umgarnt, auch das von Trump geforderte Rohstoff-Abkommen zwischen den USA und der Ukraine lag auf dem Tisch. Nur deshalb reiste Selenskyj am Freitag überhaupt zu Trump, um den Deal zu unterschreiben. Doch dazu kam es nicht mehr.

Seither stellt sich auch die Frage, wie es zu der öffentlichen Eskalation hat kommen können. War das ein abgekartetes Spiel? Drückten die Gastgeber bewusst Knöpfe beim emotionalen Selenskyj, um ihn aus der Fassung zu bringen? Nicht wenige glauben das. Schon die Frage eines Trump-nahen Journalisten, warum Selenskyj sich so „respektlos“ kleide, sei eine „Fake-Frage“ gewesen, sagte ein Teilnehmer dem „Spiegel“. „Die haben bewusst eskaliert, und von Anfang an darauf abgezielt.“ Selenykyj trägt seit Kriegsbeginn auch bei offiziellen Anlässen keine Anzüge, sondern einen Pulli. Trump hatte seinen Gast schon bei dessen Ankunft in Washington damit gepiesakt.

Manche geben aber auch Selenskyj eine Mitschuld. Der republikanische US-Senator Lindsey Graham, eigentlich ein Unterstützer Kiews, sagte im Fox-Interview, er habe den Ukrainer schon morgens gewarnt: „Lass dich nicht hinreißen. Lass dich nicht von Medien oder irgendwem sonst in einen Streit mit Präsident Trump hineinziehen“. Später sprach Graham ein hartes Urteil. Selenskyj müsse zurücktreten oder künftig jemand anderes zu Gesprächen in die USA schicken. Auf Trump sei er indes stolz wie nie zuvor. Vor allem US-Demokraten schüttelt so ein Satz.

Bliebe es bei dem Zerwürfnis., wäre das nicht nur eine Problem für die Ukraine, sondern auch für Europa. Deshalb weisen auch diejenigen, die sich am Sonntag in London versammelt haben, auf die Notwendigkeit hin, sich zusammenzuraufen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte fordert Selenskyj auf, seine Beziehung zu Trump zu kitten. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, die einen guten Draht ins Weiße Haus hat, warnt vor einer Spaltung des Westens. Um die Wogen zu glätten, telefonierte sie nach dem Eklat von Freitag mit Trump, Starmer ebenfalls.

Selenskyj weiß, dass auch er etwas wird tun müssen, um Trump zu besänftigen. Vielleicht weiß ja Charles III. Rat. Der britische König sollte den Ukrainer nach dem gestrigen Gipfel empfangen, als Zeichen der Solidarität. Nicht ausgeschlossen aber, dass Trump auch das in den falschen Hals kriegt. Sein Treffen mit dem König ist noch in Planung.
MIT DPA

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