Die Mappe des Versagens: Franz Xaver Peteranderl und Elisabeth und Ulrike Renner (re.) zeigen den unerfreulichen Schriftverkehr mit den deutschen Behörden. © Marcus Schlaf
Genci Qose arbeitet seit Jahren zuverlässig als Maurer für das Münchner Bauunternehmen Renner. © Marcus Schlaf
München – Wenn es um Herrn Qose geht, steigt in Elisabeth Renner die Wut auf. Die Unternehmerin sitzt gemeinsam mit Ihrer Tochter Ulrike am Besprechungstisch in ihrer Baufirma an der Fürstenrieder Straße in München. Vor ihr liegt der unterschriebene Arbeitsvertrag von Ervis Qose – doch Ervis Qose selbst ist immer noch in Albanien. „Ich bin stinksauer, wie sollen wir denn so alle Aufträge abarbeiten?“, sagt die Unternehmerin so resolut, dass ihr die Tochter kurz beruhigend die Hand auf den Arm legt. Herr Qose kann dafür allerdings wenig. Er würde ja liebend gerne sein Leben in Albanien hinter sich lassen, um für die Baufirma der Renners nach Deutschland zu ziehen. Doch die Behörden machen ihm bisher einen Strich durch die Rechnung.
Wie lange es her ist, wissen alle Beteiligten schon gar nicht mehr genau. Vermutlich war es aber vor drei Jahren, als es den ersten Kontakt zwischen der Baufirma Renner und Ervis Qose gab. Vermittelt hat ihn Genci Qose, der Bruder von Ervis, der selber schon seit einigen Jahren bei dem traditionsreichen Münchner Familienunternehmen arbeitet, das unter anderem die FC-Bayern-Welt in der Fußgängerzone gebaut hat. Die Renners suchen händeringend Maurer, und Ervis Qose hat schon viele Jahre Erfahrung auf dem Bau und würde gerne zum Arbeiten nach Deutschland kommen. Eigentlich ein „perfect Match“, wie man neudeutsch sagt.
Genci stellte deshalb den Kontakt zwischen seinem Bruder Ervis und der Baufirma her, schnell einigte man sich auf einen Arbeitsvertrag. Selbst eine Bleibe hat Ervis in München. Er kann bei Genci einziehen. Doch dann kamen die deutschen Behörden ins Spiel. Ervis wollte einen Termin beim deutschen Konsulat in Tirana, um dort alles für seinen neuen Job und den Umzug zu regeln. Doch auf diesen Termin wartet er bis heute vergeblich. Aus einer Anstellung innerhalb weniger Wochen ist so ein Endlosprojekt geworden, das sich nun schon über Jahre zieht.
Doch aufgeben wollten die Renners nicht, schließlich brauchen sie Ervis. Deshalb stellte die Firma vor etwa einem halben Jahr eine sogenannte Vorabzustimmungsanfrage bei der Arbeitsagentur, um Ervis über die neue Westbalkanregelgung zu holen. Erst Mitte 2024 wurde die Regelung fest etabliert, um einen schnellen und unkomplizierten Zuzug von Arbeitskräften nach Deutschland zu ermöglichen. Im Oktober 2024 schickte die Behörde auch einen Brief – allerdings nicht mit dem erhofften Inhalt. Dort steht, das Kontingent an Arbeitskräften aus dem Westbalkan sei in diesem Monat schon erschöpft. „Die Prüfung Ihrer Anfrage wird sich daher bis auf Weiteres verzögern“, weshalb die Arbeitsagentur bittet, von weiteren „Sachstandsfragen abzusehen“. Seither: Funkstille.
Entsprechend ratlos sind die Renners. Selbst Bayerns Handwerkspräsident Franz Xaver Peteranderl hat sich in den Fall eingeschaltet, weshalb auch er heute an der Fürstenrieder Straße mit den beiden Bauunternehmerinnen am Besprechungstisch sitzt. Die Rechtsabteilung seiner Kammer wollte schon helfen, konnte aber auch nichts tun. Grund: Ervis Qose hat zwar viele Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel, aber keine in Deutschland anerkannte Ausbildung, weshalb die Fachkräfteregelungen bei ihm nicht greifen und nur die Westbalkanregelung bleibt.
Dort wurden die Kontingente zuletzt von 25 000 auf 50 000 Arbeitskräfte im Jahr erhöht. Dennoch sind sie schnell ausgeschöpft. Zugleich kommen die Behörden nicht mit dem Abarbeiten der Aufträge hinterher. Aktuell kommen bei der Arbeitsagentur erst die Anträge aus dem Sommer 2024 auf den Tisch. „Ihr Fall ist also leider kein Einzelfall“, beruhigt Handwerkspräsident Peteranderl – was den Renners jedoch auch nicht weiterhilft.
Angesichts des akuten Arbeitskräftemangels sei die Schläfrigkeit deutscher Behörden längst ein volkswirtschaftliches Problem, warnt Handwerkspräsident Peteranderl jedoch. Allein in den kommenden fünf Jahren würden im deutschen Bauhauptgewerbe rund 100 000 Arbeitskräfte in Rente gehen, etwa jeder neunte Beschäftigte. Dazu komme: „Sobald der Wiederaufbau in der Ukraine beginnt, werden auch alle Bauarbeiter aus ukrainischen Nachbarstaaten wie Polen, Rumänien oder Bulgarien den deutschen Firmen den Rücken kehren“, befürchtet Peteranderl. „Wir brauchen deshalb heute jeden, der noch zu uns kommen will.“
Warum die Behörden beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt so mauern? Das verstehen weder die Renners noch Peteranderl. „Eigentlich sollte man denken, dass eine Firma selbst entscheiden kann, wen sie anstellt und wen nicht“, sagt Ulrike Renner, die die Verantwortung fürs Kaufmännische im Betrieb trägt. Dass das nicht der Fall sei, liege wohl daran, dass die Politik die deutschen Arbeiter lange vor Lohndumping aus dem Ausland schützen wollte.
Doch diese Zeiten, betont Renner, seien vorbei. „Unser Umsatz richtet sich nicht mehr nur nach den Aufträgen, sondern eher danach, wie viel Arbeitskräfte wir bekommen“. Sprich: Je weniger Maurer da sind, desto weniger Projekte kann sie annehmen, desto weniger Geld verdient die Firma. Ohne neue Mitarbeiter wie Ervis Gose sei sogar der Fortbestand der Firma befährdet. Für ihre Mutter Elisabeth ist die Devise deshalb klar: „Wir nehmen jeden, der einen Hammer halten kann. Und mit Leuten aus Albanien haben wir nur beste Erfahrungen gemacht.“
Ein Beispiel dafür ist Genci Quose, der am selben Tag auf einer verregneten Baustelle der Firma Renner im Münchner Edelviertel Lehel steht. Er ist seit Jahren eine feste Größe im Betrieb und steht mit seiner Arbeit dafür, dass auch sein Bruder einen guten Job machen wird. „Wir haben lange in Griechenland zusammen gearbeitet“, sagt er, „Ervis versteht sein Handwerk.“ Er hat übrigens noch einen zweiten Bruder, der vor Kurzem ohne große Probleme von Albanien aus zu einem Betrieb in Kempten gewechselt hat, während Ervis seit drei Jahren auf gepackten Koffern sitzt. „Mit den Behörden ist das wie Lotto“, sagt Genci. „Manchmal hat man Glück, meistens aber Pech.“
Was er, Ervis und die Renners nun tun werden? „Warten“, sagt Genci Qose ganz nüchtern. „Etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig.“