So blicken Münchens Türken auf die Heimat

von Redaktion

Feuerstöße aus der Menge: Die Stimmung bei den Demonstrationen in Istanbul ist aufgeheizt. © AFP

Derwisch mit Sauerstoffmaske: Dieser Demonstrant schützt sich in Istanbul vor dem Pfefferspray der Polizei. © AFP

Serdar Duran, Initiative Bayerisch-Türkisches Forum. © privat

Händler Memduh Zeytinoglu aus dem Bahnhofsviertel hält zu Präsident Erdogan. © Marcus Schlaf

Sahinaz Cavusoglu, Lebensmittelhändlerin © Schlaf

Proteste gegen die Festnahme von Ekrem Imamoglu am Wittelsbacherplatz in München: In der Spitze waren laut Polizei 700 Teilnehmer bei der Demo am Samstagnachmittag dabei. © privat

München – Türkische Flaggen wehen über den Köpfen der protestierenden Menge am Wittelsbacherplatz, rot und weiß. Einige halten Pappschilder in den Händen, darauf Schriftzüge wie „Nein zum politischen Putsch in der Türkei“. Sie sind gekommen, um gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu protestieren – und gegen die Festnahme seines Rivalen, des abgesetzten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu. Rund 700 Menschen waren es, die am Samstagnachmittag an der Demo in München teilnahmen.

Die Geschehnisse in ihrer Heimat, sie lassen die türkischstämmigen Münchner nicht kalt. Wie sie dazu stehen? Da sind die Lager gespalten – auch in München.

Vural Ünlü (52), in der Türkei geboren, war am Samstag am Wittelsbacherplatz dabei. Er hält die politischen Ereignisse in seinem Heimatland für hochgefährlich. „Die Türkei ist momentan ein Pulverfass, es kann jederzeit explodieren“, sagt der Vorsitzende des liberalen Vereins „Türkische Gemeinde in Bayern“. Dass so viele Menschen trotz Einschüchterung und Demonstrationsverboten in der Türkei auf die Straße gingen, sei das einzige Positive an der Situation. Ünlü befürchtet jedoch, dass das in eine Welle der Gewalt umschlagen könnte. Gleichzeitig erlebt er, dass innerhalb der türkischen Community in München viele über die Festnahme den Kopf schüttelten – sogar unter Erdogan-Anhängern. „Der Präsident hat den Bogen überspannt“, sagt er.

Ganz anders sieht es Memduh Zeytinoglu (62), der ein Geschäft für Teppiche, Kleidung und andere Waren im Bahnhofsviertel betreibt. „Erdogan hat die Türkei vorangebracht. Er ist jemand, der sich kümmert“, sagt er. Er glaubt, dass die Festnahme Imamoglus ihre Gründe habe. Anders als viele Experten, die die Verhaftung als politisch motiviert werten.

Ähnlich wie Zeytinoglu denkt auch seine Nachbarin im Bahnhofsviertel, Sahinaz Cavusoglu (56), Chefin eines türkischen Supermarkts. „Ohne Feuer gibt es keinen Rauch“, sagt sie. Die Ereignisse in der Türkei hätten ihre Gründe, glaubt die Anhängerin der Erdogan-Partei AKP. „Die Situation macht mich aber schon unruhig. Es ist nicht schön, was in der Türkei passiert.“

Dass die türkische Gemeinde gespalten ist, erlebt auch Serdar Duran (37) in München. „Es gibt zwei Pole: Die einen sind für Veränderung und Gerechtigkeit, die anderen für den Staat, Ordnung und nationale Stärke in der Türkei“, sagt der Gründer der Initiative Bayerisch-Türkisches Forum München.

Duran will Brücken zwischen beiden Lagern bauen: Dafür sei es nötig, sich mit „klaren Werten und Worten“ für den Rechtsstaat einzusetzen. Gleichzeitig müsse ein „Dialog auf Augenhöhe“ stattfinden, um Vertrauen zwischen Andersdenkenden nicht weiter zu zerstören. Das erwartet Duran auch von deutschen Politikern im Umgang mit der Türkei.

Der Münchner Autor und Aktivist Kerem Schamberger (38), Sohn eines türkischen Vaters, wählt unversöhnlichere Worte: „Es ist an der Zeit, das türkische Regime als das zu bezeichnen, was es ist: eine Diktatur“, sagt er. Man dürfe nicht akzeptieren, dass die Türkei noch autoritärer werde.

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