Der erste Mega-Windpark ganz ohne Steuergelder

von Redaktion

Ärzte wie Thomas Zugk (am Seil) kommen bei Notfällen. Sicherheit wird in der riskanten Branche groß geschrieben. © Schneider

Über die hydraulische Brücke steigen die Arbeiter auf die Windräder. Die Brücke gleicht den Wellengang aus. © Orsted

Die Rotoren neuer Windräder haben stolze 200 Meter Durchmesser. Die Größe hat sich in wenigen Jahren vervielfacht. © Orsted

Norddeich – Klinkerhäuser, Schafe auf dem Deich, der Fährhafen Richtung Norderney: Norddeich ist ein Postkarten-Dorf. Was man auf den ersten Blick nicht sieht: 70 Kilometer vor der Küste wurde gerade erst eines der größten Kraftwerke Deutschlands fertiggestellt: der Offshore-Windpark „Borkum Riffgrund 3“. Mit einer Kapazität von 913 Megawatt (MW), also 913 Millionen Watt, ist er der bis dato größte deutsche Windpark überhaupt. Er besteht aus 83 Windmühlen mit einer Rotorspannweite von 200 Metern. Beeindruckend: Jede einzelne Umdrehung eines Rotors kann zwei Haushalte einen Tag lang mit Strom versorgen. Insgesamt soll der Nordsee-Park Energie für 900 000 Haushalte liefern.

„Borkum Riffgrund 3“ ist auch aus einem anderen Grund ein besonderes Projekt: Er ist der erste Offshore-Park, der gänzlich ohne staatliche Subventionen errichet wurde. Bauzeit: Nur 18 Monate, und das mitten im Meer. Ein kleiner Wermutstropfen: Weil der zuständige Netzbetreiber das Kabel ans Festland 2026 legen wird, kommt der Windstrom erst kommendes Jahr zu den Verbrauchern.

Betreiber von „Borkum 3“ ist der dänische Konzern Orsted. Dessen Geschichte steht sinnbildlich für eine ganze Industrie. Bis 2017 hieß Orsted noch Dong Energy – das steht für Dansk Olie og Naturgas A/S und heißt so viel wie dänische Öl- und Erdgasgesellschaft. Auch zum Markteintritt in Deutschland wollten die Dänen ursprünglich ein Kohlekraftwerk bauen. Doch dagegen gab es Bürgerbegehren – und Dong beschloss, Deutschland als grünen Standort aufzubauen. Der Konzern ist ein Pionier, hatte bereits 1991 den ersten Offshore-Windpark der Welt vor Dänemark errichtet: „Vindeby“. Die elf Turbinen liefern gerade mal fünf MW – eine einzige Mühle von „Borkum 3“ schafft mehr als das Doppelte. Heute ist Orsted nicht nur der größte Offshore-Windpark-Betreiber Deutschlands, die Dänen sind mit 25 Prozent Anteil auch Weltmarktführer.

Nicht nur Orsted tummelt sich in deutschen Gewässern, auch die Stadtwerke München, RWE, ENBW und andere betreiben hier Windmühlen. Mit zunehmender Projektgröße treten immer größere Investoren auf. Ölkonzerne wie Total Energies bezahlten der Bundesrepublik zuletzt Milliarden für die Konzessionen, auch Versicherungen kaufen sich in Windkraft ein. Einmal gebaut, bieten die Parks kalkulierbare Einnahmen. Das schaffen konventionelle Kraftwerke oft nicht mehr.

Außerdem ist das Genehmigungsverfahren weniger kleinteilig als an Land. Der Staat schreibt für seine Klimaziele große Meeresflächen aus, auf denen private Betreiber Windparks errichten dürfen. Auf diese Flächen wird geboten. Bis vor Kurzem gewann, wer den niedrigsten Garantiepreis pro Kilowattstunde wollte, also die geringste Subventionierung.

„Borkum 3“ markiert eine Zeitenwende, weil Orsted 2017 als erster Projektierer gar keine Förderung wollte. Der Park wird nur durch seine Kunden finanziert: Weht der Wind, beziehen BASF, Covestro, Amazon und Rewe den Strom. Und das ist häufig: Einige Nordsee-Parks schaffen übers Jahr eine Auslastung von 50 Prozent – sehr viel mehr als Solaranlagen oder Windkraft an Land.

Ähnlich wie bei Immobilien ist das Geschäft zyklisch: Sind die Kosten für Kredite und Baumaterial hoch, müssen auch die Strompreise hoch sein. Sind sie das nicht, wird nicht gebaut. Oft gibt es auch politische Hürden: So hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mitten in der Nullzinsphase die Ausschreibungen heruntergefahren. Und US-Präsident Donald Trump hat den Bau neuer Parks jüngst direkt verboten – um gleichzeitig den Energienotstand auszurufen.

Die Branche ist global: Die deutsche RWE AG gewann kürzlich die Konzession für „Thor“, den größten Windpark Dänemarks. Der Kohlekonzern will sein fossiles Erbe schnell hinter sich lassen. Damit ist er nicht allein. Europäische Versorger dominieren den Markt. Firmen wie Iberdrola, Engie, Orsted und RWE entwickeln Offshore-Windparks in Großbritannien, Frankreich, den USA, Taiwan, Japan, Australien, Polen, den Niederlanden und Schweden. Im Gegensatz zur Solarenergie beliefern meist westliche Hersteller wie Siemens Gamesa, General Electric und Vestas die Projekte.

Wer verstehen will, wie Offshore-Windkraft funktioniert, muss nach Norddeich kommen. Hier am Hafen ist die Betriebszentrale, von der aus Orsted seine Windparks wartet und steuert. Herr der Windmühlen ist Betriebschef Thijs Schless: „Wir kümmern uns hier um vier deutsche Windparks und einen in den Niederlanden, das sind etwa 300 Windräder“, sagt der 39-Jährige. „Wir haben aktuell rund 1300 Megawatt in der Nordsee, das entspricht der Nennleistung von einem großen Atomkraftwerk.“ Bis 2026 werden es 2500 Megawatt sein. „Würde man uns spontan komplett abschalten, würde man das im Netz definitiv merken“, betont der Betriebsleiter. 2045 will Deutschland 70 000 MW Offshore-Leistung in seinen Gewässern haben, derzeit sind es rund 8000. Der Strom soll über große Gleichstromleitungen auch nach Bayern fließen, diese werden gerade gebaut – nach jahrelangem Streit um die „Monstertrassen“.

Im Kontrollraum wird 365 Tage im Jahr gearbeitet: Sieben Mitarbeiter sitzen vor riesigen Bildschirmen, über die Echtzeitdaten der Windturbinen, der Schiffe in der Gegend und der Wetterdienste laufen. „Nördlich und südlich unserer Parks fahren täglich hunderte Schiffe Richtung Hamburg und Nord-Ostsee-Kanal“, erklärt Thijs Schless. Der Park ist für Schifffahrt und Fischerei gesperrt. Noch wichtiger aber sind Windgeschwindigkeit, Niederschlag und Wellenhöhe. Denn in der Zentrale wird auch der Einsatz der Wartungsteams gesteuert: „Für uns ist es extrem wichtig zu wissen, wie das Wetter sich entwickelt. Wenn es nicht sicher ist, gehen unsere Leute nicht raus“, sagt Schless. „Wir wissen immer, wo jeder einzelne Mitarbeiter da draußen gerade ist, falls es einen Notfall gibt.“

Denn die Seerettung ist nicht zuständig, Orsted unterhält eigene Hubschrauber der Firma NHC. Weil der Flug 45 Minuten dauert, sind die Helikopter Spezialanfertigungen. Die Ärzte – ausgebildete Höhenretter – können Patienten über eine Winde hochziehen und direkt an Bord versorgen. „Wenn es nicht anders geht, schießen wir mit der Druckpistole ein Seil auf die Plattform und lassen uns samt Trage heranziehen“, erklärt Oberarzt Thomas Zugck. Die Teams sichern die Arbeit der rund 120 Techniker in den Parks. Die Wartung läuft über Arbeitsschiffe. Sie bringen Techniker, Material und Vorräte zu den Windrädern. Der Job ist anspruchsvoll: Mitten in der kalten Nordsee arbeiten die Teams zwölf Stunden am Tag, um die Windmühlen zu warten. Das Schiff legt nur alle zwei Wochen im Heimathafen Emden an.

„Borkum 3“ ist ein Superlativ, aber nur Teil einer Entwicklung: Vor Großbritannien baut Orsted gerade den größten Windpark der Welt: „Hornsea 3“ soll in wenigen Jahren über drei Millionen englische Haushalte versorgen. Er wird so viel Strom erzeugen wie ein großes Atomkraftwerk. Und die Branche plant noch größere Projekte. Was davon tatsächlich gebaut wird, ist aber auch eine politische Frage.

Artikel 2 von 3