Fair streiten will gelernt sein

von Redaktion

München – Sich zu streiten, ist nicht immer schön. Aber ganz ohne geht es auch nicht. Schließlich gilt es, Positionen zu klären und eigene Standpunkte zu vertreten. Die Frage ist, wie man es macht. Die Juristin Simone Pöhlmann hilft Menschen seit mehr als 30 Jahren beim Streiten. 1996 gründete sie in München die erste deutsche Streitschule. Ein Gespräch darüber, wie man sinnvoll streitet.

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, konstruktiv zu streiten?

Das liegt an unseren natürlichen Reflexen. In gefährlichen Situationen wollen wir entweder fliehen oder angreifen. Diese beiden Möglichkeiten stehen uns grundsätzlich erst mal zur Verfügung. Guter Streit beginnt aber jenseits davon.

Wann läuft ein Streit schief?

Wenn wir einfach nur recht haben und den anderen besiegen wollen. Dann geraten wir in einen destruktiven Streit, der nichts bringt. Die Gefühle kochen hoch, man wird wütend oder sogar aggressiv. Darunter leiden Beziehungen und oft hören die Konfliktparteien dann auf, miteinander zu reden.

Was ist die Alternative?

Das ist der faire Streit, man könnte auch sagen: eine echte Auseinandersetzung. Das halte ich für absolut notwendig, wenn wir gut streiten wollen.

Und das geht wie?

Wenn es ein schwieriger Konflikt ist, sollte man sich erst mal Zeit nehmen und sich darüber klar werden, was eigentlich los ist: Was stört mich und warum stört es mich? Was ist mein Anteil an dem Konflikt und was will ich in dem Konflikt erreichen? Diese Klarheit ist sehr wichtig. Und dann kommt es auf die richtige Haltung an: Alle Beteiligten müssen aufrichtig daran interessiert sein, gemeinsam eine faire Lösung zu finden. Dazu müssen sie sich aber erst in die Perspektive des anderen versetzen. Und spätestens hier beginnt es, schwierig zu werden.

Weil …?

Für die meisten liegt die Schwierigkeit im Zuhören. Für einen guten Streit müssen wir ja erst mal verstehen, um was es den Beteiligten eigentlich geht. Eine Konfliktpartei fängt an und erklärt, was sie will und wie sie den Konflikt aus ihrer subjektiven Perspektive erlebt – aber ohne dabei einen ultimativen Anspruch auf die Wahrheit zu erheben, ohne unbedingt recht haben zu wollen. Man sollte lieber erklären, was der Konflikt bei einem selbst auslöst und woran das liegt. Man versucht also, das Gegenüber ein Stück weit in die eigene Welt mitzunehmen.

Und die andere Partei?

Das Gegenüber hört im ersten Schritt einfach nur zu und sagt nichts. Für die meisten ist das schon die größte Herausforderung. Nach dem Zuhören – das ist der zweite Schritt – sollte man wiederholen, was man verstanden hat. So gibt man dem anderen die Chance, richtig verstanden zu werden. Erst dann kann man damit beginnen, seine eigene Sicht auf die Dinge mitzuteilen.

Was ist bei diesem Austausch zu beachten?

Damit der Streit gelingt, muss der Austausch von Meinungen, Gefühlen und Erwartungen gleichberechtigt stattfinden. Jede Sichtweise zählt gleich viel und verdient es, gehört zu werden. Nur so können Lösungen für ein Problem gefunden werden.

Was raten Sie bei festgefahrenen Konflikten?

Wenn Konflikte so richtig verfestigt sind, dann kriegt man das oft nicht mehr ohne Dritte hin. Eine unparteiische Person kann versuchen, die Konfliktparteien ein Stück weit auseinanderzuhalten, um Raum für eine echte Auseinandersetzung zu schaffen. Das versuche ich auch in der Mediation.

Ab wann ist eine Mediation ratsam?

Wenn man Sorge hat, dass der Konflikt eskalieren könnte und keine Lösungen in Sicht zu sein scheinen. Aber auch eine Mediation scheitert, wenn die Parteien kein wirkliches Interesse an einer Lösung haben.

Was tun Sie, um die Konfliktparteien zu einer Lösung zu führen?

Erst stelle ich klar, dass ich keine Lösungsvorschläge mache, sondern in erster Linie ein konstruktives Gespräch ermögliche, also eine Auseinandersetzung, in der jeder seine Perspektive in Ruhe einbringen kann. Ich sorge dafür, dass alle einander zuhören und versuchen, einander zu verstehen.

Ein Beispiel bitte …

Einmal kam ein Geschwisterpaar zu mir. Es musste die Pflege seiner Eltern regeln. Der Bruder wollte, dass die Eltern im Heim gepflegt werden. Die Schwester wollte häusliche Pflege. Erst ging es um Geld und praktische Fragen. Aber dann kamen viele Themen aus der Vergangenheit auf: Wer ist in der Kindheit bevorzugt worden? Wer hat mehr Liebe von den Eltern bekommen? Also ziemlich haarige Themen. Aber in der Mediation konnten die Geschwister all ihre Kränkungen und Verletzungen in Ruhe aussprechen. Manches konnten wir klären, vieles auch nicht. Das muss dann so stehen bleiben. Dann geht es eher um praktische Fragen und darum, dass die beiden nicht wieder in solche Kommunikationsschwierigkeiten rutschen. Da braucht es viel Geduld. Das dauert dann gerne mal vier bis fünf Stunden und mehrere Sitzungen, bis sich eine Lösung abzeichnet.

Könnten Mediationen viele Gerichtsprozesse verhindern?

An vielen Gerichten gibt es ja schon Mediatoren. Richter können eine Mediation vorschlagen. Manchmal kann so eine Lösung ohne Gerichtsurteil gefunden werden. Das spart viel Geld und Zeit. Aber nicht jede Mediation ist erfolgreich, manchmal braucht es eine Gerichtsentscheidung.

Früher haben Sie als Anwältin gearbeitet.

Ich war lange in Familienzeit und habe dann als Familienrechtsanwältin gearbeitet. Aber das war nicht meins. Oft werden Konflikte nämlich auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Das fand ich schlimm. Und da rief mich eine befreundete Familienrechtsanwältin an und sagte: Du, da gibt es was Interessantes. Das war die erste Mediationsausbildung in Deutschland. Ich hatte direkt das Gefühl, dass es da mit mehr Anstand und Würde zugeht, sowohl für die Klienten als auch für mich als Mediatorin.

Wie kam es 1996 zur Gründung der ersten deutschen Streitschule?

Das ist aus einem Fall in der Mediation entstanden. Es ging um die Scheidung eines jungen Ehepaares mit zwei kleinen Kindern. Erst in meinem Büro haben sie angefangen, ernsthaft miteinander zu reden. Aber da war es zu spät, die Beziehung war zu stark beschädigt. Ich habe gedacht: Meine Güte, wenn die früher angefangen hätten, sich ernsthaft auseinanderzusetzen, würden die sich jetzt nicht scheiden lassen. Das habe ich als persönlichen Auftrag verstanden. Ich habe angefangen, alles zum Thema Konflikt und Kommunikation zu lesen, was ich finden konnte. Damals war das noch sehr wenig im Vergleich zu heute.

Was haben Sie über Menschen gelernt?

Wie schnell wir in Not geraten. Wie stark uns Sozialisierung und Kindheit prägen. Mein Verständnis und meine Zuneigung zu Menschen sind enorm gewachsen. Meine Freunde sagen: Du verstehst ja immer alles. Ich antworte: Ja, ich kann es nachvollziehen, aber einverstanden bin ich nicht immer.

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