Durch die Spanplatten der Baracken dringt Wasser ein, was unübersehbare Spuren hinterlassen hat. © Roswitha Höltl
Der Lack splittert, das Holz ist verwittert. Die Gedenkstätte ist sichtbar in die Jahre gekommen. © Roswitha Höltl
Die Kommandantur von SS-Lagerleiter Theodor Eicke ist momentan von der Bereitschaftspolizei belegt. © Dirk Walter
Gedenken an den Naziterror: Gabriele Hammermann in einer der beiden nachgebauten Baracken. © Roswitha Höltl
Gabriele Hammermann vor einer der beiden maroden Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. © Roswitha Höltl
Dachau – Gabriele Hammermann steht vor der Häftlingsbaracke. Schon bevor die Leiterin der KZ-Gedenkstätte etwas erläutern kann, sieht man selbst, was zu tun ist. Die Baracke ist marode. Von den Holzfenstern platzt die Farbe ab, die Holztür ist verwittert, wenn man eintritt, sieht man, dass durch die Spanplatten an der Decke Wasser dringt. Außerdem, berichtet die Gedenkstätten-Leiterin, sind die Fassadenplatten mit Asbest verseucht.
Das Konzentrationslager ist ein Sanierungsfall. Noch dazu ein sehr komplizierter. 200 000 Häftlinge waren hier gefangen, mindestens 41 500 wurden ermordet. Mal waren, etwa 1935 und 1936, nur wenige hundert Häftlinge eingesperrt, im Zweiten Weltkrieg indes Zehntausende. So wie das KZ Dachau zwischen 1933 und 1945 immer wieder verändert und erweitert wurde, so hat auch die Gedenkstätte, die es seit 1965 gibt, eine Geschichte.
Wenig bekannt ist, dass die beiden erhaltenen Baracken Nachbauten sind. Bevor die Gedenkstätte überhaupt entstand, waren die 34 Baracken schon abgerissen worden. Nach dem Ende der Nazi-Diktatur hatten in ihnen erst Displaced Persons gewohnt, später waren SS-Leute interniert, danach kamen Vertriebene hier unter. Die KZ-Häftlinge wollten aber zeigen, wie sie hausen mussten. So entstanden in den 1960er-Jahren die beiden Baracken, die nun saniert werden müssen. Die „bauliche Substanz“ vieler Gebäude auf dem Gedenkstätten-Gelände sei „in einem kritischen Zustand“, mahnt Hammermann in einem Aufsatz, in der sie die Pläne systematisch auflistet. Manche seien auch „dringend sanierungsbedürftig“.
Aber es gibt ein Problem: das Geld. 35 Millionen Euro sind für die Baracken-Erneuerung und die Sanierung eines Flügels des Wirtschaftsgebäudes vom Bund bewilligt. Es ist ein Anfang. Derzeit liegt der Antrag bei der Landesbaudirektion. 2026 soll die Reparatur der Baracken beginnen, 2029/30 könnte das beendet sein. Doch das Geld reicht nie und nimmer für alle Pläne, die Hammermann hat. Die Gedenkstätte ist in die Jahre gekommen, zu eng, zu alt, wissenschaftlich überholt. Selbst das erst 2009 eröffnete Besucherzentrum mit Buchhandlung und Kantine, klagt Hammermann, sei schon wieder zu klein.
Die KZ-Gedenkstätte ist laut Hammermann die „meistbesuchte bundesdeutsche Gedenkstätte“. Geschätzt 900 000 Besucher im Jahr, so genau weiß man das gar nicht, erst seit ein paar Wochen wird digital gezählt. Jedenfalls auch tausende von Schulklassen, und Touristen aus aller Welt.
Die 62-Jährige geht durch das Jourhaus, das historische Zugangsgebäude mit dem schmiedeeisernen Tor und der Inschrift „Arbeit macht frei“, verlässt das Gedenkstättengelände und betritt ein Stück Wiese. Auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns ist seit 1974 die Bayerische Bereitschaftspolizei stationiert. Das nächste Projekt. Hier wohnte früher die SS. Historische Luftaufnahmen zeigen das Ausmaß: Die SS residierte auf einem Areal in etwa so groß wie das Lagergelände direkt nebenan. Es war ein eigenes Dorf, mit Einkaufsmöglichkeiten nur für die Wachmannschaften, Sportflächen und einem wie eine Gartenanlage gestalteten Theodor-Eicke-Platz – so hieß der langjährige Lagerleiter, der dem KZ seinen grausamen Stempel aufdrückte. Eicke erfand die berüchtigte „Dachauer Schule“, baute das KZ-System mithilfe seines Protegés, SS-Reichsführer Heinrich Himmler, europaweit aus.
Nun würde Gabriele Hammermann gerne die einstige Lagerkommandantur, wo Eicke sein Terrorregime in Gang setzte, in die Gedenkstätte einbeziehen. In dem Gebäude gibt es noch eine weitgehend erhaltene Kegelbahn und einen Bierkeller, „Ort der männlichen Vergemeinschaftung“ für die SS, wie Hammermann schreibt, in dem die SS-Leute „Korpsgeist und Kameradschaft“ zelebrierten. Die Historikerin hält das für eine zentrale Voraussetzung für die „gemeinschaftlich begangenen Verbrechen“. In der Kommandantur könnte die Geschichte der Täter erzählt werden, so stellt sich Hammermann das vor. Doch noch sitzt in der einstigen SS-Befehlszentrale der Medizinische Dienst der Bereitschaftspolizei.
Auch die heute als „Umrüsthalle“ genutzten einstigen Kantinen der SS würde Hammermann gerne für die Gedenkstätte nutzen. Könnte hier eine Kunstausstellung entstehen? So schwebt es ihr vor. Die Gedenkstätte hat über 600 Kunstwerke, die sich mit dem KZ auseinandersetzen.
An Plänen und Forderungen ist kein Mangel. An der Umsetzung schon. „Vieles ist in den vergangenen Jahren nur verschleppt worden“, ärgert sich die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel, zugleich Vorsitzende der Stiftung „Europäische Holocaust-Gedenkstätte“ für die KZ-Außenlager in Landsberg. „Große Versprechungen“ seien „nicht einmal im Ansatz eingehalten worden“.
Ihre Kritik zielt auf Innenminister Joachim Herrmann (CSU), in dessen Kompetenzbereich die VI. Bereitschaftspolizeiabteilung fällt. Schon 2021 versprach Herrmann via Pressemitteilung, ab 2025 würden die drei Gebäude wieder für Besucher zugänglich sein. Fragt man jetzt nach, klingt es deutlich defensiver. In einem „Ringtausch“ ist geplant, dass verschiedene Einrichtungen auf dem Gelände umziehen, sodass die einstige Kommandantur frei wird. Doch der Umzug des Medizinischen Dienstes könne erst „nach einer kostenintensiven größeren Baumaßnahme erfolgen“. Dazu liegt, vier Jahre nach der Ankündigung Herrmanns, nicht mal eine Kostenschätzung vor. Noch gar nicht absehbar ist die Abgabe der Umrüsthalle: Polizei und Bauamt stünden hierzu mit der Stadt Dachau wegen einer „notwendigen Bauleitplanung“ in Kontakt, heißt es vage. Nur ein kleineres Haus hinter der Kommandantur, das Transformatorengebäude, könnte Ende 2027 zur Verfügung stehen. Die Übergabe allein dieses Gebäude mache jedoch keinen Sinn.
Zurück zum Jourhaus. Die Gedenkstätten-Leiterin geht über eine steile Holztreppe in den ersten Stock. Eng und staubig ist es, Putz und Farbe blättern ab. Hier hatte beispielsweise die Gestapo einen Verhörraum. Oben sahen die SS-Leute auf das Lagergelände wie durch ein Schaufenster. Auch seitlich gab es ein Fenster, dadurch konnte der Zaun bewacht werden. Später war hier die US Army stationiert. „No smoking“ ist noch in verblichener Schrift zu entziffern. Es ist ein Täterort – aber er kann nicht für die Besucher geöffnet werden. Unvorstellbar, dass sich Besuchermassen auf der Treppe nach oben quetschen. „Es fehlt auch ein zweiter Fluchtweg“, sagt Hammermann.
Auch die Repliken der beiden Häftlingsbaracken können nicht einfach so instand gesetzt werden. Eine Baracke ist verschlossen und dient als Depot, die zweite kann besichtigt werden. Innen stehen Holzpritschen. Das ist symbolisch zu verstehen, in Wahrheit war die Baracke früher eine Zahnstation und eine Art Vorzeigeunterkunft für Besucher. Auch die zweite Baracke war nicht typisch für das KZ, in ihr war früher ein Lagermuseum, in dem Häftlinge rassistisch diffamiert wurden. Und eine Bibliothek, die aber nur bestimmte, privilegierte Häftlinge nutzen durften. Die einstige Nutzung soll dem Besucher künftig vermittelt werden – aber so, dass er zugleich das ganze Grauen des Lagers versteht.
Ob es jemals dazu kommt, ist offen. Wie so vieles. Vielleicht gibt es einfach zu viele Schreckensorte im KZ Dachau, um alle angemessen darzustellen. Sicher sei nur eins, so schreibt es Hammermann in ihrem Aufsatz: Die Neugestaltung werde die Gedenkstätte „grundlegend verändern“.