Das plant die neue Koalition für Deutschland

von Redaktion

Der Paragraf 218 zur Abtreibung bleibt vorerst im Strafgesetzbuch. © epd

Es darf weiter gekifft werden: Das Cannabis-Gesetz bleibt, soll aber evaluiert werden. © Hannes P Albert/dpa

Gesundheit, Energie, Migration, Rente, Verteidigung und Raumfahrt: Der Koalitionsvertrag unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ ist reich an Themen und 144 Seiten lang. © dpa (5), KNA

■ Migration

Union und SPD versprechen einen „konsequenteren Kurs in der Migrationspolitik“. Dafür soll es auch bei Asylgesuchen Zurückweisungen an den Grenzen geben – in „Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“. An allen Landesgrenzen soll es Kontrollen geben. Die Koalition plant eine große „Rückführungsoffensive“: Abgelehnten Asylbewerbern, die nicht freiwillig ausreisen, drohen Haft und Gewahrsam – dafür soll die Bundespolizei mehr Kompetenzen erhalten. Auch nach Syrien und Afghanistan soll abgeschoben werden, „beginnend mit Straftätern und Gefährdern“. Die Liste der sicheren Herkunftsländer wird erweitert, konkret ist von Algerien, Indien, Marokko, Tunesien die Rede. Union und SPD wollen freiwillige Aufnahmeprogramme beenden, etwa für Afghanistan.

Auch am Bleiberecht wird geschraubt. Geduldete Ausländer, die arbeiten, Deutsch sprechen und sich zum 31. Dezember 2024 mindestens vier Jahre lang ununterbrochen in Deutschland aufgehalten haben, sollen einen befristeten Aufenthaltstitel bekommen. Gleichzeitig wird die „Turbo-Einbürgerung“ der Ampel abgeschafft, wonach besonders integrierte Ausländer auch nach drei Jahren den deutschen Pass erhalten können. Das soll nur noch nach fünf Jahren möglich sein.

■ Bürgergeld

Das Bürgergeldsystem wird zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende. „Jede arbeitslose Person hat sich aktiv um Beschäftigung zu bemühen“, heißt es. Mitwirkungspflichten und Sanktionen werden verschärft – bis hin zum vollständigen Leistungsentzug bei Totalverweigerung. Die Karenzzeit für Vermögen fällt, die Höhe des Schonvermögens wird an die Lebensleistung gekoppelt. Ein Komplett-Datenaustausch der Behörden soll Missbrauch reduzieren. „Die Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern, müssen deutlich reduziert werden.“ Generell sollen Sozialleistungen besser aufeinander abgestimmt werden. Wohngeld und Kinderzuschlag werden deshalb zusammengefasst. Eine „Kommission zur Sozialstaatsreform“ soll sich gemeinsam mit Ländern und Kommunen grundsätzlich Gedanken über eine Vereinfachung des Sozialstaats machen.

■ Rente

Vor einer großen Reform schreckt die Koalition zurück. Das Rentenniveau von 48 Prozent wird gesetzlich bis zum Jahr 2031 garantiert – zunächst aus Steuermitteln. Der Nachhaltigkeitsfaktor bleibt. 2029, also im nächsten Wahljahr, soll alles evaluiert werden. 2026 startet eine Frühstart-Rente: Für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr werden zehn Euro pro Monat in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot eingezahlt. Als Erwachsene können die Personen dann selbst vorsorgen, bei Renteneintritt ist das Depot steuerfrei.

Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren bleibt möglich. Wer freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei. Die Mütterrente wird ausgebaut.

■ Steuern

Sieben Zeilen schreibt die Koalition zur Einkommenssteuer. Tenor: kleine und mittlere Einkommen entlasten. Konkrete Zahlen fehlen. Nur so viel: „Wir werden die Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken.“ Zudem soll auch das Kindergeld (255 Euro monatlich) automatisch adäquat angehoben werden, wenn der Kinderfreibetrag (2025: 6672 Euro) steigt. Beim Solidaritätszuschlag hat sich die SPD durchgesetzt. Er bleibt. Wer freiwillig mehr arbeitet, wird entlastet. So sollen Überstunden „umgehend“ steuerfrei werden. Die Steuererklärung soll einfacher werden. Geprüft wird etwa eine „Arbeitstagepauschale“, in der die Werbungskosten zusammengefasst werden.

■ Wirtschaft

Die Wirtschaft ist Vertrags-Kapitel Nummer eins. Deutschland soll Industrienation und Mittelstandsland bleiben und KI- und Gründer-Nation werden. Für Start-ups sollen in einem „One-Stop-Shop“ alle Behördengänge und Anträge digital gebündelt werden, um in nur 24 Stunden eine Unternehmensgründung zu ermöglichen. Beim Mindestlohn wird an der unabhängigen Mindestlohnkommission festgehalten, angestrebt wird ein Mindestlohn von 15 Euro ab 2026.

Für mehr Wachstum plant die Koalition einen „Investitions-Booster“. So sollen Unternehmen jährlich einen höheren Prozentsatz ihrer Investitionskosten abschreiben können, um so schneller Investitionen zu refinanzieren. Im Koalitionsvertrag ist die Rede von einer „degressiven Abschreibung auf Ausrüstungsinvestitionen von 30 Prozent“ für 2025, 2026 und 2027.

Auch die Körperschaftssteuer soll gesenkt werden. In fünf Schritten um je einen Prozentpunkt – ab 2028. Die Union wollte eigentlich eine Senkung ab 2026, die SPD ab 2029. Für einen Deutschlandfonds sollen mindestens zehn Milliarden Euro Bundesmittel fließen, um „Finanzierungslücken im Bereich des Wachstums- und Innovationskapitals“ zu schließen.

■ Energie & Klima

Union und SPD versprechen ein Maßnahmenpaket zur Senkung der Energiepreise: Verbraucher und Firmen sollen um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde entlastet werden. Außerdem sollen Erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windenergie sowie Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft ausgebaut werden. Auch eine Umstellung auf klimaneutralen Wasserstoff ist geplant. Am Kohleausstieg bis 2038 wird nicht gerüttelt. Insgesamt kommt das Wort „Klima“ im Koalitionsvertrag 80 Mal vor. Das Thema Atomkraft gar nicht, was darauf hindeutet, dass es beim Ausstieg bleibt.

„Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen“, heißt es weiter. Wie das neue GEG im Detail aussehen soll, bleibt offen. Die Union will nicht mehr auf die Energieeffzienz in einzelnen Gebäuden abheben: „Den Quartiersansatz werden wir stärken.“ Eine Neuerung betrifft vererbte Immobilien: Bald dürfen die Kosten für energetische Sanierungen von der Steuer abgesetzt werden.

■ Gesundheit & Pflege

Die explodierenden Kosten sollen reduziert werden. Wie? Das soll sich eine Kommission genau ansehen – bis Frühjahr 2027. Um Wartezeiten zu verkürzen, soll ein verbindliches Primärarztsystem eingeführt werden. Das heißt: Man muss erst zum Hausarzt, der dann zum Facharzt überweist. Ausnahmen: Augenärzte und Gynäkologen. Dokumentationspflichten und Kontrolldichten sollen durch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen wesentlich verringert werden. Angekündigt wird eine große Pflegereform, die eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Minister unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erarbeiten soll.

■ Bürokratie

Die Koalition will das Staatswesen „konsequent“ reformieren. Effizienter und digitaler soll es werden. Ein Sofortprogramm soll bis Ende 2025 für kleine und mittlere Unternehmen die Verpflichtung für Betriebsbeauftragte kippen und den Dokumentationsaufwand „signifikant reduzieren“. Das ungeliebte nationale Lieferkettengesetz soll durch ein Gesetz über „die internationale Unternehmensverantwortung“ ersetzt werden, das die EU-Lieferkettenrichtlinie aufwandsarm erfüllt. Die Berichtspflicht fällt.

Abgeschafft wird die Bonpflicht. Dafür kommt für Geschäfte mit mehr als 100 000 Euro Jahresumsatz eine Registrierkassenpflicht. Für Handwerk, Einzelhandel, Landwirtschaft, Gastronomie und Hotellerie sollen Dokumentationspflichten fallen, dafür Verstöße härter sanktioniert werden. Förderprogramme sollen auf Effizienz geprüft und das Ehrenamt erleichtert werden („Zukunftspakt Ehrenamt“).

Ausgesetzt werden sollen zahlreiche Statistikpflichten. Eine Übererfüllung von EU-Vorgaben soll es nicht mehr geben. Die Koalition will im Bund mindestens 20 Prozent der Verwaltungsvorschriften abschaffen. Insgesamt sollen die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 Prozent sinken, umgerechnet 16 Milliarden Euro. Der Datenschutz soll vereinfacht, Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt und das Vergaberecht reformiert werden. Der Staat soll, insbesondere auch bei der Bahn, öfter direkt und freihändig vergeben können. Das soll den Mittelstand stärken.

■ Wehrpflicht

Die viel diskutierte Wehrpflicht wird es nicht geben. Stattdessen soll ein neues Wehrdienstmodell eingeführt werden, das auf Freiwilligkeit basiert. Noch in diesem Jahr sollen die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung geschaffen werden. Damit ist wohl der Plan von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gemeint, wonach Jugendliche ab 18 Jahren einen Fragebogen über ihre Bereitschaft zum Wehrdienst ausfüllen müssen – ob das für Männer und Frauen gleichermaßen gilt, wird im Koalitionsvertrag nicht klar. Die Bundeswehr soll durch „flexible Dienstzeit- und Laufbahnmodelle“ insgesamt attraktiver werden.

Die Koalition spricht sich für einen Nato-Beitritt der Ukraine aus und setzt auf weitere Zusammenarbeit mit den USA. Deutschland solle gleichzeitig „mehr Verantwortung für die gemeinsame Sicherheit“ übernehmen – dabei wird nicht erwähnt, wie viel Prozent des BIP für die Verteidigung ausgegeben werden soll.

■ Cannabis

Kiffer dürfen sich freuen: Das Cannabis-Gesetz wird vorerst nicht abgeschafft. Man plane für den Herbst lediglich eine „ergebnisoffene Evaluierung“. Die Union wollte die Teillegalisierung zurücknehmen.

■ Verkehr & Mobilität

Union und SPD wollen Mobilität in Deutschland „bezahlbar“ und „verfügbar“ machen. Das Deutschlandticket für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) soll daher auch nach 2025 erhalten bleiben, Nutzer müssen sich aber von 2029 an auf Preiserhöhungen einstellen. Auch soll der ÖPNV modernisiert und beispielsweise der Ausbau von barrierefreien Bahnhöfen erleichtert werden. Eine Neuaufstellung bei der Deutschen Bahn ist geplant: So sollen Vorstand und Aufsichtsrat anders besetzt werden. Gleichzeitig rücken Investitionen in das Schienennetz stärker in den Fokus, dafür ist ein „Eisenbahninfrastrukturfonds“ geplant. Der Takt zwischen Nah-, Fern- und Güterverkehr (Deutschlandtakt) soll zudem zuverlässig werden. Und um den Sanierungsstau – insbesondere bei Brücken und Tunneln – aufzulösen, soll Geld fließen.

■ Abtreibung

Schwangerschaftsabbrüche werden offenbar weiterhin im Strafrecht geregelt. SPD-Frauen hatten ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag zuvor an eine Reform der Abtreibungsregelung geknüpft. Davon ist im Koalitionsvertrag nicht die Rede – allerdings soll die Kostenübernahme von Krankenkassen bei Abbrüchen ausgeweitet werden.

■ Hightech & Raumfahrt

Ein Traum von Star-Wars-Fan Söder wird wahr: Die CSU bekommt ein neues Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt. Letztere sei eine „Schlüsseltechnologie“, die auch „für unsere Sicherheit und unsere militärischen Fähigkeiten zentral“ ist, steht im Vertrag. Im Rahmen einer Offensive soll das nationale Raumfahrtprogramm ausgebaut werden, perspektivisch soll ein deutscher Astronaut auf den Mond. Insgesamt wollen Union und SPD die (auch in Bayern ansässige) Raumfahrtindustrie stärken. Außerdem will man eine „resiliente Satelliteninfrastruktur“ zur Krisenkommunikation aufbauen und (Gruß an Elon Musk) Satelliten verstärkt von Europa aus ins All bringen. Vor allem beim Thema Hightech ist der Vertrag, ohne es zu nennen, stark auf Bayern zugeschnitten. So soll eine „Nationale Hyperloop Referenzstrecke“ entstehen, die 2023 eröffnete Teststrecke in Ottobrunn böte sich dafür an. Der erste Kernfusionsreaktor (auch so ein Söder-Thema) der Welt soll in Deutschland stehen. Auch von einer KI-Offensive ist die Rede. „Mindestens zwei Quantenhöchstleistungsrechner“ sollen gefördert werden. Als Standorte, im Vertrag nicht genannt, gelten NRW und Bayern.


MIK, KAB, CD, HUD, WHA, FWE, MMÄ

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