Söders Turban-Tour endet abrupt

von Redaktion

Die Armut sitzt am Straßenrand: Gang durch den Stadtteil Nizamuddin. © Kneffel/dpa

Geschlachtet wird direkt am Stand: ein Hühnerverkäufer in Neu-Delhi. © Mike Schier

Das moderne Indien: Laksh Vaaman Sehgal, Juniorchef der Motherson Group, führt Söder durch die Fabrikhallen. © Kneffel/dpa

Brotbäcker für die Bedürftigen: Markus Söder hilft fürs Foto in der Großküche des Sikh-Tempels mit. © Peter Kneffel/dpa

Land der Extreme: In Indiens Großstädten, hier Mumbai, leben Reiche und Arme sozusagen Wolkenkratzer an Slum. Das Wachstum ist gewaltig, das Land mit seinen 1,44 Milliarden Einwohnern wird als Wirtschaftsmacht immer wichtiger. © Picture Alliance

Neu-Delhi – So stellt man sich einen Tempel eher nicht vor. Markus Söder hat – wie es die Tradition der religiösen Minderheit der Sikh erfordert – einen Turban auf dem Kopf sowie Schuhe und Socken ausgezogen. Doch barfuß geht es für den bayerischen Ministerpräsidenten nicht etwa in einen Gebetsraum, sondern in eine Großküche. „Das hier ist von den Menschen für die Menschen“, erklärt der Sprecher der Sikh den Gästen aus Bayern. „Wir glauben daran, dass man alles teilen muss.“

Der Tempel, den Söder in Neu-Delhi besucht, ist also zweigeteilt. Dort das Gebetshaus, vor dem die Menschen, beschallt mit Gebetsgesängen, erst Schlange stehen müssen, bis sie vor dem Mihrab auf die Knie fallen können. Hier die Küche, die auch viele Arme füttert. Freiwillige backen Fladenbrot. In einem riesigen Trog brodelt Gemüse, daneben rühren bärtige, barfüßige Männer in gigantischen Linsentöpfen. Wer will, hilft mit. An normalen Tagen werden so 30 000 Menschen verköstigt, an Sonntagen bis zu 80 000. Religion und Armenspeisung in einem.

„Indien wird derzeit weltweit hofiert“

Dies ist Indien. Land der krassesten Gegensätze. „Ein faszinierendes Land“, findet nicht nur Söder. Plötzlich interessiert sich die ganze Welt dafür. Vergangenen Oktober waren Olaf Scholz und das halbe Kabinett in Neu-Delhi. Nächste Woche kommt JD Vance. Indien ist eine demokratische Alternative zu China oder Russland. Voller fremder Kulturen und Traditionen. Aber interessant als Markt. Und interessant als Standort für westliche Firmen.

„Indien wird derzeit weltweit hofiert“, sagt ein hochrangiger Diplomat. Trump hat nicht nur die Europäer schwer verstört. Und China wird schon länger als problematischer Partner gesehen. „De-Risking“ nennt sich die Strategie, den Einfluss Chinas auf die deutsche Wirtschaft zurückzufahren. Aber auch in Neu-Delhi ist man durchaus selbstbewusst. Die Wirtschaft wächst nicht nur, sie explodiert förmlich. Regelmäßig liegt das Wachstum über sechs Prozent. Inzwischen ist Indien die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Experten rechnen damit, dass es Deutschland und Japan bald überholt. Zugleich gibt es diese extreme Armut. Man sieht sie, wenn man sich durch die engen, schmutzigen Gassen von Nizamuddin drängt, wo viele Muslime leben. Auf dem Boden kauern Bettler. An einem Essensstand wird Hühnerfleisch verkauft: Die noch lebenden warten in einem Käfig unter dem Verkaufsbrett auf ihr Schicksal, daneben steht ein Baumstumpf, nicht mehr ganz sauber, mit einem Beil. Fliegen umkreisen Müllberge, in einem Hauseingang schläft ein Schaf. 20 Prozent der Inder haben keinen Zugang zu einer Toilette, etwa die Hälfte der 520 Millionen Stadtbewohner lebt in Slums.

Und dann gibt es Menschen wie Vivek Chaand Sehgal, der zum Abendessen mit Markus Söder extra aus Dubai eingeflogen ist. Der 68-jährige Milliardär gehört zu den reichsten Indern.

1975 habe er mit seiner Mutter mit ein paar Euro Startkapital die Firma Motherson gegründet, erzählt er. Daher der Name. Heute setzt der Autozulieferer 26 Milliarden Euro jährlich um, hat 620 Standorte auf der ganzen Welt. „Wir haben noch nie einen geschlossen“, sagt der charismatische Sehgal stolz. Allein in Bayern hat er neun Standorte mit mehr als 6500 Mitarbeitern, vor allem im Raum Kronach. „Und wir hoffen, dass noch viele dazukommen.“

Bei Markus Söder rennt er da offene Türen ein. Der Ministerpräsident überlegt derzeit ohnehin, die Auslandsaktivitäten des Freistaats zu überprüfen. Alle Büros des Freistaats in der Welt kommen auf den Prüfstand, verkündet er am Rande der Reise. Setzt man noch auf die richtigen Länder? Und auf die richtigen Branchen? Sicher ist nur: Das Büro in Indien, eröffnet vor mehr als 20 Jahren von Erwin Huber, dürfte eher ausgebaut werden.

Dem Ministerpräsidenten ist die Wirtschaft wichtig, aber er schaut sich auf seiner Reise beide Indien an. Vom blitzend sauberen Produktionsstandort von Motherson, dessen Innenhof in jedem oberbayerischen Gewerbegebiet liegen könnte, geht es direkt in einen Slum. In Behelfsbauten wohnen ganze Familien. Der Dreck, zwischen dem hier die Menschen leben, verschlägt einem buchstäblich den Atem. Plastiktüten, alte Decken, sogar eine halbe Toilettenschüssel liegt herum.

Zusammenarbeit statt Entwicklungshilfe

Aber selbst auf dieser Müllhalde gibt es etwas Hoffnung. Zu Besuch beim Sozialprojekt „Sunshine“, das der Freistaat nun fördert. 230 Kinder gehen hier derzeit zur Schule. Kishan Sunie war einer von ihnen. Mit sieben Jahren fing er bei „Sunshine“ an. Heute begrüßt der 25-Jährige Söder in fließendem Deutsch. Sunie hatte in der immer noch vom (eigentlich lange abgeschafften) Kastensystem geprägten Gesellschaft keine Chance – heute arbeitet er als Übersetzer bei Amazon. „In solchen Situationen wird einem wieder bewusst, wie viel Glück man selbst im Leben damit hatte, wo man geboren worden ist“, sagt Söder ungewohnt nachdenklich.

Entwicklungshilfe zahlt Deutschland aber trotz all der Armut kaum noch an Indien. Stattdessen gibt es eine Entwicklungszusammenarbeit. Sprich: Kredite statt Zahlungen. Etwa eine Milliarde Euro pro Jahr werden zehn Jahre lang zur Verfügung gestellt, vor allem für den Bau einer Infrastruktur für Erneuerbare Energien. 90 Prozent davon muss Indien verzinst zurückzahlen.

Generell gilt: Das gigantische Wachstum bietet viele Chancen, auch für deutsche Firmen. Jedes Jahr baut Indien acht Flughäfen, ein bis zwei U-Bahn-Systeme. Söder, der das niemals endende Drama um die zweite Stammstrecke von daheim kennt, dürfte neidisch werden. Pro Tag entstehen 28 Kilometer Autobahn.

Am Abend soll es nach Bangalore gehen, Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka, einer Partnerregion des Freistaats. Eine für wirtschaftliche Zusammenarbeit interessante Adresse. „Hier trifft sich Bayern als Space Valley Deutschlands mit Bangalore als Silicon Valley Indiens“, sagt Söder – bevor es zu rumoren beginnt. Magen-Darm. Söder muss abbrechen, bleibt in Neu-Delhi. Die Delegation fliegt weiter. Den Staffelstab übernimmt Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann.

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