Der Wegbereiter

von Redaktion

Franziskus‘ unvollendeter Reformkurs wird das schwere Erbe seines Nachfolgers

Gläubige beten für den Papst: Eine Ordensfrau hält am Petersplatz ein Bild von Papst Franziskus in der Hand. © KNA

Zwei lebende Päpste: Benedikt XVI. dankte 2013 ab, Nachfolger Franziskus besuchte ihn hier an Weihnachten 2018. © dpa

Ex Bundeskanzlerin Angela Merkel war mehrfach zur Audienz in Rom. Hier scherzt sie mit Franziskus. © dpa

Der Papst, der überraschte: Franziskus in Rio de Janeiro mit Vertretern von brasilianischen Indianergemeinschaften. © epd

Kardinal Jorge Mario Bergoglio steht am 13. März 2013 als neuer Papst auf dem Balkon des Petersdoms. © dpa

Mochte die Nähe zu den Menschen: Papst Franziskus wenige Monate nach seiner Wahl auf dem Petersplatz. © epa

Ein letztes Mal „Urbi et orbi“: Papst Franziskus spendete am Sonntag noch den Segen vom Zentralbalkon des Petersdoms. © KNA

Vatikanstadt/München – Große Hoffnungen lagen vor zwölf Jahren auf Jorge Mario Bergoglio, als er als erster Lateinamerikaner am 13. März 2013 zum Papst gewählt wurde. Das kam damals einer Sensation gleich. Der Kardinal aus Buenos Aires würde die Kirche reformieren, sie wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Die Erschütterungen durch die nach und nach ans Licht gezerrten Missbrauchsverbrechen von Priestern und Vertuschungen durch Bischöfe würden dem Klerikalismus ein Ende bereiten, atmeten viele Katholiken auch in Deutschland auf, die in ihrem Vertrauen in die Institution zutiefst erschüttert waren.

Anfangs sorgte der damals 77-Jährige für ungläubiges Staunen: Sollte wirklich unter diesem Papst „vom anderen Ende der Welt“ der verknöcherte Apparat der Kurie modernisiert werden können? Sollte die Zentrale der bis zum Missbrauchsskandal noch weithin anerkannten und imposanten Weltkirche, die aber schon in den letzten Jahren des Pontifikats des bayerischen Papstes Benedikt XVI. durch Intrigen und Ränkespiele Schlagzeilen gemacht hatte, von Franziskus auf Reformkurs gebracht werden?

Mit ungewöhnlichen Aktionen ließ der Jesuit aufhorchen. Seine erste Reise führte ihn im Juli 2013 auf die Insel Lampedusa vor Sizilien, um seine Solidarität mit den Bootsflüchtlingen zu zeigen. Der Tod von Migranten bei einer Überfahrt stecke wie ein schmerzender „Dorn im Herzen“, sagte der Papst damals. „Ich bete für alle, die nicht bis hierher gekommen sind.“ Kirche müsse an die Ränder gehen, hatte er bei seiner ersten Generalaudienz auf dem Petersplatz gesagt. Dieses Bild sollte er in seinem Pontifikat immer und immer wieder seinen Bischöfen, Priestern und Gläubigen vorhalten.

Neue Töne schlug er auch zu einem Tabuthema in der Kirche an: „Wenn jemand homosexuell ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, über ihn zu richten?“, sagte er im Flugzeug auf dem Rückweg vom Weltjugendtag im Juli 2013 (siehe auch Text rechts). Wie ein Donnerhall sorgte am 23. Dezember 2014 die Gardinenpredigt für Schlagzeilen, in der er der Kurie die Leviten gelesen hatte. 15 „Krankheiten“ diagnostizierte er damals vor den versteinerten Gesichtern der versammelten Kardinäle – darunter „geistlichen Alzheimer“, Rivalität und Ruhmsucht, Geschwätz und Tratschsucht, „Vergötterung der Vorgesetzten“, Gleichgültigkeit, Doppelleben und die Krankheit des „weltlichen Profits“. Einige Kardinäle prophezeiten: „Er geht mit dieser Gardinenpredigt ein hohes Risiko ein.“ Der Papst hatte sich mit seinen Kritikern in der Kurie offen angelegt – und sollte ihren Widerstand in den nächsten Jahren deutlich spüren, etwa bei seinen Plänen zur Umgestaltung der Kurie und der vatikanischen Finanzen.

Der frische Wind flaute im Laufe der Jahre, zur Enttäuschung vieler Katholiken, aber ab – wohl auch unter der Sorge, dass zu starke Veränderungen in der Kirche die Gefahr einer Spaltung heraufbeschwören könnten. Zumal der Druck der Konservativen immer stärker wurde – der in offenen Briefen („Dubia“) ungewöhnlich deutlich formuliert wurde. Kardinäle, etwa der von Franziskus als Präfekt der Glaubenskongregation ausgemusterte Gerhard Ludwig Müller, kritisierten Franziskus öffentlich und stellten die Rechtgläubigkeit einiger seiner Aussagen infrage. So bezichtigte Müller den Papst der Häresie, weil dieser indirekt die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren toleriere. Dieser Papst vom anderen Ende der Welt wurde wie keiner seiner Vorgänger mit unverhohlenem Widerstand aus den Reihen von ultrakonservativen Kardinälen konfrontiert. Über seinem Pontifikat schwebte stets die Gefahr einer Kirchenspaltung. Die Traditionalisten befürchteten die Preisgabe von Glaubenswahrheiten an den Zeitgeist, den Reformern gingen die Veränderungen, die Franziskus angepackt hatte, nicht weit genug.

Das große Projekt des Pontifikats von Franziskus war die Synodalität – von Konservativen verdächtigt als eine Methode zur Demokratisierung der Kirche, von Kirchenkritikern als Beschwichtigungsversuch beargwöhnt. Mit einer Weltsynode, die 2021 begann und bei der im Oktober 2023 erstmals Laien – Männer und Frauen – mitstimmen durften, wollte der Papst ein besseres Miteinander in der Kirche unter Beteiligung des „Volkes Gottes“ erreichen. Doch Konfliktthemen wie die Rolle der Frau in der Kirche und das Bischofsamt wurden in Arbeitsgruppen ausgegliedert. Entscheidungen gibt es bisher nicht. Eine spektakuläre Erklärung, nach der eine katholische Segnung homosexueller Paare erlaubt wurde, hatte der Papst nach Protesten für die Kirche in Afrika zurückgenommen.

Obwohl sich Franziskus bei vielen Gelegenheiten für Gerechtigkeit und Frieden in aller Welt eingesetzt hat, wurde seine Positionierung nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine lange Zeit als zögerlich empfunden. Statt päpstlicher Geheimdiplomatie hätten sich viele Gläubige früher deutliche Worte des Papstes gegen Putin gewünscht. Doch fast bis zu seinem letzten Atemzug hat sich das Kirchenoberhaupt in die Weltpolitik eingeschaltet. Noch am Ostersonntag, am Tag vor seinem Tod, empfing der schwerkranke Franziskus den US-Vizepräsidenten JD Vance – trotz des angespannten Verhältnisses zwischen dem Vatikan und der US-Regierung etwa wegen Trumps Migrationspolitik. Was er Vance mit auf den Weg gab, blieb bisher geheim.

Der unbändige Wille, mit dem Franziskus in den vergangenen zwei Monaten gegen seine schwere Krankheit angekämpft hat, wird in Erinnerung bleiben. Er wollte um jeden Preis zurückkehren in den Vatikan, den Menschen unbedingt den österlichen Segen spenden – und damit Hoffnung und Zuversicht in die turbulente Welt schicken.

Franziskus’ Weg hin zu mehr Barmherzigkeit und Synodalität könnte der katholischen Kirche neue Perspektiven eröffnen. Der Argentinier war nicht der vordergründige Reformer, der die Kirche auf den Kopf gestellt hat. Aber er hat die mittelalterlich-hierarchische Struktur, die Klerikalisierung und Abschottungstendenzen des Klerus infrage gestellt – und damit dem Kurs des Kirchenschiffs neue Koordinaten gegeben, quasi als Wegbereiter für einen Reformpapst. Seine Nachfolger haben nun die Chance, Fahrt aufzunehmen. Drei Viertel der 135 stimmberechtigten Mitglieder des Kardinalsgremiums wurden von Franziskus ernannt. Die Chance, dass einer von ihnen der neue Steuermann wird, ist groß.

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