Ohne Testament ist nicht immer klar, wer der rechtmäßige Erbe einer Hinterlassenschaft ist. © Kai Remmers/ Picture Alliance
Ira Kröswang hat sich mit ihrer Kanzlei auf die Ermittlung von Erben spezialisiert. © Bauer
Wer suchet, der findet: Archive wie hier das Grundbuch- und Personenstandsarchiv Hessen sind für die Ermittler eine Hauptquelle bei der Ermittlung von unbekannten Erben. © Frank Rumpenhorst/Picture Alliance
München – Als Susanne Weber-Klein (*) diesen Anruf von ihrer Schwester bekommt, kommen die Dinge in Bewegung. Die Schwester fragt, ob bei ihr auch dieser rätselhafte Brief angekommen sei. Ein paar Tage später trudelt so ein Brief tatsächlich auch bei ihr ein. Darin heißt es: „Unser Unternehmen ermittelt in einer bisher ungeklärten Nachlasssache die gesetzlichen Erben.“ Sie gehöre zum Kreis der Erbberechtigten. Weber-Klein soll den beigefügten Vertrag unterschreiben, dass 30 Prozent des gesamten Erbanteils an das Unternehmen ADD Holstein gehen.
Eine neue Betrugsmasche? Susanne Weber-Klein ist skeptisch. Aber der Brief enthält sehr genaue Angaben über Familienmitglieder. „Da hatte also schon jemand eingängig recherchiert, was nicht auf einen billigen Betrug hindeutete“, sagt sie. Die Thüringerin beschließt, sich selbst ein Bild zu machen, fährt zum Firmensitz in Berlin-Mitte. Ein futuristisches Bürogebäude, schicke Lage. Sie trifft Geschäftsführer Jan-Mathis Holstein direkt an. „Wir haben über unseren Fall gesprochen, und ich habe schnell den Eindruck gewonnen, dass hier alles sachlich zugeht.“ Das Honorar von 30 Prozent falle nur an, wenn das Erbe ausbezahlt wird. Kurzum: Es gab nichts zu verlieren.
Die Ermittler gehen in Vorleistung, bekommen Honorar nur im Erbfall
Hätte sie das Angebot ausgeschlagen, wäre ihr der Name des Erblassers verborgen geblieben. „Wir hatten ein großes Interesse daran, den Namen des Verwandten zu erfahren. Meine Geschwister und ich sind sehr an Familiengeschichte interessiert. Leider liegt aber vieles im Unklaren“, sagt Weber-Klein. Was sie von den Erbenermittlern erfährt, kann sie kaum glauben: Sie hatte noch eine Tante, von der ihre Geschwister und sie nichts gewusst hatten.
Rund 30 große Erbenermittlungs-Unternehmen gibt es in Deutschland, zählt man kleine Büros dazu, sind es um die 100. Die Suche nach unbekannten gesetzlichen Erben ist eine Wette auf den Erfolg: Die Ermittler gehen in Vorleistung, bekommen ihr Honorar erst im Erbfall. Ein Ausbildungsberuf ist Erbenermittler nicht. Aber er erfordert Ausdauer. Vom Beginn der Suche bis zur Honorarauszahlung können Jahre vergehen.
Kommt der Nachlasspfleger nicht weiter, schlägt die Zeit der Erbenermittler
Hat ein Nachlassgericht keine Kenntnis von näheren Verwandten, kann es einen Nachlasspfleger einschalten. Kommt der nicht weiter, überträgt er den Fall an einen Erbenermittler. Vertrauen sei ganz wichtig, sagt Nachlasspfleger Ralph Grützenbach. „Die Ermittlungsunternehmen verfügen oft über ein breites Korrespondenten-Netz in Polen oder den USA und haben deshalb ganz andere Möglichkeiten, als wenn ich vom Schreibtisch aus recherchiere“, sagt er.
Seit 15 Jahren im Geschäft ist die Kanzlei Kröswang, die eine Niederlassung in der Münchner Altstadt hat. „Erbenermittler müssen sich ihr Wissen über die Jahre selbst aneignen“, sagt Inhaberin Ira Kröswang, die eigentlich Württembergische Bezirksnotarin ist, sich aber auf die Suche nach Erben spezialisiert hat. Entscheidend seien Kontakte zu Nachlassgerichten, Standesämtern und Archiven. Den Freistaat Bayern lobt sie in höchsten Tönen: „Das ist hier wirklich ein schönes Arbeiten, weil die Behörden und zuständigen Stellen sehr schnell und kompetent Auskunft geben.“ In anderen Bundesländern oder im Ausland sei das oft anders.
Allein vergangenes Jahr hat Kröswang rund 30 Erbengemeinschaften ermittelt. Dass sie auf nur einen Erben stößt, ist selten. Meist geht es um zehn bis 30 – in einem Extremfall ermittelte sie 74 Personen, die Anspruch auf das Erbe hatten. „Oft ermitteln wir in Polen, Österreich oder in der Grenzregion zu Tschechien, und auch die USA sind unheimlich präsent“, sagt Kröswang.
Die Ermittlerin berichtet von einem kuriosen Fall aus dem Raum München: Ein älterer Witwer häufte Immobilien an und investierte glücklich in Aktien, sein Vermögen wuchs auf einen stattlichen Millionenbetrag. „Die letzten Jahre vor seinem Tod hatte er sehr viele Frauen um sich. Eine kaufte für ihn ein, eine andere kochte, wieder eine andere hat ihn mit dem Auto überall hingefahren – und jeder einzelnen versprach er einen Teil von seinem Erbe“, erzählt Kröswang. Am Ende starb er ohne ein Testament. Bei der Erbenermittlerin meldeten sich reihenweise Frauen, die Ansprüche erhoben. Allein: Schriftlich gab es nichts. „Am Ende haben wir die gesetzlichen Erben in Wiesbaden gefunden – und sie haben alles bekommen.“
Auch Jan-Mathis Holstein hat viele Anekdoten. „Wir haben aktuell den Fall einer Dame, die schon vor 20 Jahren verstorben ist. Zunächst ging man von einem geringen Erbe aus. Nun wurden bei Umbauarbeiten in der Küchenwand ihrer ehemaligen Wohnung sehr hohe Vermögenswerte entdeckt.“
Oft tauchen nach dem Tod bei Recherchen noch enorme Vermögenswerte auf
Nachlassverwalter Ralph Grützenbach, 27 Jahre im Geschäft, erzählt von einem Verstorbenen aus dem Raum Siegburg, bei dem ein Bankschließfach auftauchte – mit hunderten Schmuckstücken und Edelsteinen. Oder jene alte Dame, die in einfachen Verhältnissen zur Untermiete wohnte. In einem alten Koffer entdeckte man nach ihrem Tod massenhaft Briefumschläge mit Bargeld – schließlich belief sich das Erbe auf 350 000 Euro. Gut erinnert sich Grützenbach auch an den Mediziner, der in Süddeutschland eine Lagerfläche angemietet hatte. Dort stießen die Nachlasspfleger auf Dutzende Youngtimer und Ölgemälde im Wert von mehreren hunderttausend Euro.
Die Erbenermittler tragen Urkunden zusammen, die eine Erbfolge plausibel machen. Die Dokumente werden vor Gericht eingereicht, um den Erbschein zu beantragen. Die oft langwierige und kostenintensive Suche im In- und Ausland, betont Holstein, sei der Hauptgrund, warum Erbenermittler eine hohe Vergütung verlangen. „Meist gehen wir im Stammbaum zunächst zwei Generationen nach oben, schauen uns also an, wer die Eltern und Großeltern gewesen sind, und versuchen von dort aus, die Verwandtschaftsverhältnisse nachzuvollziehen“, sagt Holstein. Manchmal sind auch die Ur- oder Ururgroßeltern der Ausgangspunkt. „Wir kommen dann oft an die Grenze der Standesamtszeit im deutschsprachigen Raum.“
Seit 1876 werden Geburten, Ehen und Todesfälle beim Standesamt gemeldet
Im Jahr 1876 führte das damalige Reichsgebiet ein einheitliches Personenstandsregister ein: Geburten, Eheschließungen und Todesfälle müssen seither beim Standesamt gemeldet werden. Sie gelten Erbenermittlern als erste Quelle. „Um die Dokumente einzusehen, müssen wir teilweise Archive direkt aufsuchen. Zum Beispiel das Bundesarchiv in Bayreuth“, sagt Holstein. Das Bundesarchiv versammelt Unterlagen zu Vertriebenen und Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten. Vor allem Polen spielt oft eine Rolle, weil von dort nach dem Zweiten Weltkrieg viele Menschen nach Deutschland flüchteten.
So war es bei Susanne Weber-Klein. Ihre Großeltern lebten als deutsche Minderheit in Polen, kamen im Zuge der Vertreibungswelle nach Deutschland. Ihre Eltern starben früh, die Großeltern waren traumatisiert, verloren kein Wort über das Geschwisterkind der Eltern. „Wir vermuten, dass es als ältestes Kind eigenständig auf der Flucht war und sich allein durchgeschlagen hat“, sagt Weber-Klein.
Während sie und ihre Familie in Ostdeutschland aufwuchsen, baute sich die Tante ein Leben in Westdeutschland auf. Die ADD Holstein spürte in alten Archiven eine Zählkarte auf, die Namen, Geburtsort und Geburtsdatum sowie die Namen der Eltern der unbekannten Tante enthielt. Außerdem fand sie eine Heiratsurkunde, auf der Susannes Großeltern als Eltern geführt werden. Auf Grundlage dieser Dokumente beantragten Weber-Klein und ihre Geschwister inzwischen den Erbschein beim Nachlassgericht.
Das Materielle sei für sie weniger wichtig, sagt Susanne Weber-Klein. „Wenn man im Rentenalter plötzlich etwas Neues über seine Wurzeln erfährt, neue Verwandte wie aus dem Nichts hinzukommen, berührt einen das wirklich zutiefst. Am meisten freue ich mich, mit den unbekannten Cousins und Cousinen zu sprechen, um mehr über unsere Familie zu erfahren.“
(*) NAME AUF WUNSCH GEÄNDERT