„Junge, vergiss das nie. Endlich ist Frieden!“

von Redaktion

Der Zeitungsverleger Dirk Ippen erlebte das Kriegsende als Vierjähriger in Salzwedel – die Erinnerung daran ist wach

Verleger Dirk Ippen, geboren 1940, erlebte das Kriegsende als kleiner Bub mit. Das Foto rechts zeigt ihn heute. © privat

München – Bei Kriegsende war ich mit meiner Mutter bei Verwandten in der niedersächsischen Stadt Salzwedel. Als Flüchtlinge aus Berlin sind wir dort gestrandet. Am 12. April wurde unser Ort besetzt. Dann kam die erste Nacht ohne Verdunkelung und Luftschutz-Keller – ein Vorbote der Freiheit.

Nach dem Abzug der Nazis wurden wir Zeugen der Plünderung eines Lebensmittelgeschäftes nebenan. Ich sehe noch Berge von Zucker und Margarine, Kostbarkeiten, die wir schon lange nicht mehr kannten. Eine Frau in Gefangenenkleidung, soeben entlassen aus einem der Schreckenslager, schenkte mir eine Tüte mit Zucker. Das war von einer lange zur Sklavenarbeit Verdammten an ein Kind der vermeintlichen „Herrenrasse“ ein Zeichen wiederkehrender Menschlichkeit.

So kam der 8. Mai. Ein sehr heißer Tag, den ich ganz besonders in Erinnerung habe. Denn es herrschte Ausgangssperre für alle deutschen Zivilisten während der meisten Stunden des Tages. Meine couragierte Mutter meinte dazu allerdings, wir bräuchten uns nicht so strikt daran zu halten. Gegenüber unserer Wohnung war ein großer Holzablagerungsplatz. Dort verbrachten wir viele Stunden wohlig in der warmen Frühlingssonne und von niemandem behelligt an diesem Schicksalstag. Später waren im Radio Friedensglocken zu hören. „Junge, denk daran und vergiss das nie, was du jetzt hörst! Endlich ist Frieden! Hoffentlich musst du in deinem Leben nie wieder einen Krieg erleben!“ Diese ernsten Worte der Mutter sind mir noch in klarer Erinnerung, trotz der 80 Jahre, die seither vergangen sind. Es ging unseren Müttern nicht um Sieg oder Niederlage und nicht um Befreiung. Aber das Glück des Friedens und dass das Töten endlich aufhörte, das war ihr Freudenfest.

Überall hingen Proklamationen der Militärregierung, dass alle Personen in dem besetzten Gebiet „unverzüglich und widerspruchslos alle Befehle und Veröffentlichungen der Militärregierung zu befolgen haben“. Aber dazu meldeten sich auch erste Landräte und Bürgermeister, die von der Militärregierung eingesetzt waren. Unbelastete Deutsche waren das, Nazi-Gegner, die es gottlob überall im besiegten Land gab.

Wie sie sich vorstellten, darin war plötzlich ein wunderbarer Ton zu hören, den man zwölf Jahre lang nicht vernommen hatte. Es gehe ihm – so schrieb ein von Amerikanern ernannter Bürgermeister am 8. Mai 1945 – „um die Errichtung der politischen Freiheit. Es ist traurig, dass diese über den schweren Weg der Besetzung errungen werden muss. Sind wir aber alle Gott dankbar, dass wir nochmals zur Freiheit bestimmt sind.“

Dieser vor 80 Jahren nach der totalen Niederlage Deutschlands ausgesprochene Satz macht deutlich, was damals geschehen ist. Aus der totalen Niederlage, aus dem Verlust jeder staatlichen Eigenständigkeit ist uns das Heil der Freiheit erwachsen.

Das kam nicht plötzlich und es kam sowieso nur in den West-Zonen. Im Osten war der 8., oder dort der 9. Mai, nur der Austausch eines Unrechtsregimes gegen ein anderes der Unterdrückung ohne jede Freiheit.
DIRK IPPEN

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