Moskau/Kiew – Mit Sieg und Frieden kann Kremlchef Wladimir Putin an dem in Russland heiligen Feiertag zum 80. Jubiläum der Kapitulation von Nazideutschland nicht dienen. Putins große Militärparade an diesem Freitag auf dem Roten Platz in Moskau soll vergessen machen, dass das Land, das am 9. Mai den Sieg im Zweiten Weltkrieg feiert, selbst Verursacher des größten Blutvergießens in Europa seither ist.
Wenn Putin mehr als 10 000 Soldaten aufmarschieren und Panzer und Raketen durch Moskau rollen lässt, ist das eine Machtdemonstration. Zur Waffenschau erwartet er Staats- und Regierungschefs aus etwa 20 Ländern, als Hauptgast Chinas Staatschef Xi Jinping. Um ungestört zu feiern, hat Putin eine dreitägige Feuerpause angeordnet. In Kiew aber lehnt Präsident Wolodymyr Selenskyj dies als „Theaterinszenierung“ ab. Dessen Kanzleichef Andrij Jermak veröffentlichte bei Telegram ein Bild Selenskyjs, der auf einen in Flammen stehenden Kreml schaut. Moskau reagiert wie auf Knopfdruck gereizt. Bei einem Anschlag an dem wichtigsten nationalen Feiertag droht Russland der Ukraine mit einer beispiellosen Vergeltung.
Der im Exil lebende russische Politologe Alexander Baunow sieht in Selenskyjs Drohung keine direkte Gefahr für die Parade, aber das Kalkül, Bürger und ausländische Gäste zu verunsichern. Die friedliebenden Kräfte in Russland werde dies nicht stärken, meint Baunow. Im Gegenteil. Auch diese Woche mussten Moskauer Flughäfen wieder wegen der Drohnenattacken zeitweise dichtmachen. Zugleich bleibe Putin den versprochenen Sieg im Krieg gegen die Ukraine auch nach mehr als drei Jahren weiter schuldig.
Zum Feiern gibt es für Putin daher trotz stetiger Geländegewinne in der Ukraine keinen Grund. Zwar hält sich das Land trotz der westlichen Sanktionen wirtschaftlich vergleichsweise gut. Dabei hilft die Kriegswirtschaft mit der hochtourig laufenden Rüstungsindustrie, die Wachstum künstlich erzeugt. Aber die ökonomischen Probleme nehmen zu, weil es kaum Investitionen gibt und der Industrie der Zugang zu westlicher Technik und neuem Know-how fehlt.
Vor allem aber hat es das militärisch deutlich stärkere Land auch im vierten Kriegsjahr nicht geschafft, die wehrhafte Ukraine in die Knie zu zwingen. Diese wird im Westen auch zum Weltkriegsgedenken als Verteidigerin von Frieden und Freiheit gewürdigt, während sich russische Amtsträger ärgern, dass sie etwa in Deutschland bei den Ehrungen offiziell unerwünscht sind.
Der Historiker Matthias Uhl, der jahrelang im inzwischen in Moskau verbotenen Deutschen Historischen Institut arbeitete, sieht einen Schaden für das Geschichtsbild. „Von der Befreiermission der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg ist nach dem Krieg gegen die Ukraine nichts mehr geblieben“, sagt er. „Bei der Parade fehlen auch alle anderen Siegermächte.“ Nun kämen Würdenträger aus Afrika und Südamerika, um „zumindest bildlich Ersatz zu schaffen“. „Es wird immer mehr zum Happening, zur reinen Heldengeschichte, die alles ausblendet, was nicht in dieses Bild passt.“ Kritik am offiziell diktierten Geschichtsbild ist ebenso tabu wie Widerstand gegen Putins Krieg gegen die Ukraine. „Es gibt bei den meisten Russen keine ideologische Begeisterung für den Krieg gegen die Ukraine. Anders als im Zweiten Weltkrieg läuft die Mobilisierung von Soldaten nur über finanzielle Anreize.“
DPA