INTERVIEW

„Es wäre der Anfang eines langen Wegs“

von Redaktion

Politikexperte Nico Lange über mögliche erste Friedensgespräche in Istanbul

Gibt er Europa neue Stärke? Am Wochenende besuchte Friedrich Merz den ukrainischen Präsidenten Selenskyj. © pa

München – Die Welt blickt gespannt auf den Donnerstag. Treffen in Istanbul erstmals die Kriegskontrahenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj zu Friedensverhandlungen aufeinander? Und was wäre davon zu erwarten? Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Nico Lange über neue Hoffnung und das, was Europa jetzt tun muss.

Herr Lange, kommt es zu einem Treffen zwischen Selenskyj und Putin?

Dass es zu einem russisch-ukrainischen Treffen kommt, halte ich mittlerweile für wahrscheinlich. Auf welcher Ebene, ist schwer einzuschätzen. Ich würde jedoch keine sofortigen Durchbrüche davon erwarten.

Stehen wir am Beginn eines echten Friedensprozesses?

Es könnte der Beginn eines Prozesses sein, der zumindest zu ernsthaften Verhandlungen führt. Das hängt aber davon ab, ob man Putin unter Druck setzt. Putin will mit seinen Maximalforderungen verhandeln – und gleichzeitig keinen Waffenstillstand. Das ist für ihn natürlich bequem. Man muss ihn auf eine andere Position drücken, durch Sanktionen, ein Senken der Energiepreise, Lieferungen von Waffen und Munition an die Ukraine. Verhandlungen müssen mit Stärke hinterlegt sein, sonst geht es immer nur in die falsche Richtung. Dass Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen dazu bereit sind, die Sanktionen zu verschärfen, wenn sich Putin nicht auf einen Waffenstillstand einlässt, ist ein richtiges Signal.

Welche Rolle kommt der neuen Achse Merz-Macron-Starmer-Tusk zu?

Europa kommt eine sehr große Rolle zu – die es bisher noch nicht angenommen hat. Europa hat sich bisher weitgehend auf die USA verlassen. Das geht nicht mehr. Allen muss klar sein: Kommt es zu einem ernsthaften Friedensprozess, sind Fragen der Absicherung eines Waffenstillstands und der dauerhaften Sicherheit der Ukraine vor allem Aufgaben Europas. Treten die großen Europäer mit großer Einigkeit auf, ist das ein hilfreicher erster Schritt.

Ist eine Waffenruhe für Friedensgespräche zwingend Voraussetzung?

Das ist eine richtige und notwendige Voraussetzung. Putin muss durch eine Waffenruhe zeigen, ernsthafte Verhandlungen zu wollen. Er hat ja schließlich den Krieg begonnen. Bedenklich ist es, wenn US-Präsident Trump eine Waffenruhe als Bedingung für Gespräche erst unterstützt und sich dann umdreht und was anderes sagt. Umso wichtiger ist es, dass die Europäer gemeinsam dieselbe Position vertreten.

Was kann Selenskyj Putin anbieten, was die Ukrainer auch akzeptieren würden?

Er muss gar nichts anbieten! Es ist ein Irrglaube, dass die Ukraine Teile ihres Landes anbieten muss, damit Putin endlich Ruhe gibt. Die Ukraine muss, unterstützt von uns, ihre Verhandlungsposition vertreten. Es geht ja nicht nur um Frieden jetzt, sondern auch darum, dass Putin die Ukraine nicht in einigen Monaten oder Jahren wieder überfällt.

Ein Treffen in Istanbul wäre also noch weit weg von konkreten Verhandlungen über Frieden.

Wir stellen uns das ja immer so vor: Da treffen sich zwei, sprechen miteinander und treffen sich dann in der Mitte. Das ist die falsche Perspektive. Wir reden davon, dass ein Land das andere überfallen hat. Unsere Position als Deutschland ist doch auch, dass ein Angriffskrieg sich nicht lohnen darf.

Trumps Position ist eher: Krim an Russland, besetzte Gebiete an Russland.

Dass Gebiete der Ukraine juristisch als russisch anerkannt werden, ist schon aus völkerrechtlicher Perspektive völlig ausgeschlossen. Die Ukraine hat mehrfach gesagt, eine Lösung zu akzeptieren, bei der sie zeitweise nicht alle ihre Gebiete kontrolliert. Im Gegenzug braucht sie eine Versicherung, dass der Krieg nicht wieder neu beginnt. Zunächst müssen wir den Forderungen Russlands entschieden entgegentreten. In einem ersten Treffen geht es darum, dass Putin Wolodymyr Selenskyj als Verhandlungspartner anerkennt. Daran hat er ja gezielt Zweifel gesät.

Was ist also von Istanbul, wenn das Treffen wirklich stattfindet, zu erwarten?

Das beste Szenario dieser Woche ist der Beginn eines dann sehr langwierigen, komplizierten und von uns viel Aufwand und Geduld erfordernden Prozesses. Es ist der Anfang von etwas, nicht das Ende.

Wenn Putin sich weiter verweigert, was ist zu tun?

Gibt es keinen Waffenstillstand, müssen neue Sanktionen verhängt werden – so wie es angekündigt ist. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Großbritannien und Frankreich sind bereit, Friedenstruppen zu schicken.

Es ist gut, wenn es Staaten gibt, die dazu bereit sind, die ukrainischen Streitkräfte bei der Friedenssicherung zu unterstützen. Die wichtigste Sicherheitsfrage Europas kann aber nicht ohne Deutschland gestaltet werden. Wir müssten uns daran beteiligen.

Die Taurus-Lieferung steht weiter im Raum.

Ich mache das, was die Ukraine auch macht: den neuen Bundeskanzler beim Wort nehmen. Er hat gesagt, er wird es machen – und das gilt. Zur Verteidigung der Ukraine und für eine dauerhafte Absicherung eines Friedens wäre Taurus eine ganz wichtige militärische Fähigkeit.

Die Waffenlieferungen sollen nicht mehr öffentlich laufen. Richtig so?

Es ist nachvollziehbar. Aber zur Erinnerung: Öffentlich gemacht wurde es ja, weil die alte Bundesregierung so zögerlich war und nur durch Druck der Öffentlichkeit überhaupt mal über was gesprochen wurde. Die neue Regelung ist nur tragbar, wenn die Bundesregierung aktiv bleibt und nicht in alte Zögerlichkeiten zurückfällt.

Die USA drohen, sich als Friedensvermittler auszuklinken. Ein Problem?

Wir müssen lernen, uns nicht immer damit zu beschäftigen, was Trump wieder Unberechenbares macht. Wir müssen uns auf uns selbst verlassen können. Es wäre gut, die USA an Bord zu halten, aber Europa muss parallel eigene Stärken, Fähigkeiten und Positionen aufbauen. Das ist entscheidend.

Hat ein Frieden schon in diesem Jahr eine Chance?

Es ist schwer vorherzusagen, ich erkenne bei Putin aber bisher keine echte Absicht für einen Frieden. Deswegen bin ich noch nicht sehr optimistisch.

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