Heike Duczek 1983, damals war sie Volontärin der Westfälischen Nachrichten beim Tecklenburger Landboten. © privat
Heike Duczek (hier vor dem Rathaus) ist heute leitende Redakteurin der Wasserburger Zeitung. Das Reporterteam schreibt auch für die Online-Portale © OVB Media
Wasserburg – Recherchieren ohne Internet als rund um die Uhr verfügbare Quelle, telefonieren mit einem Festnetz-Apparat, der an einem kurzen Kabel „hing“, Zeitungslayout, das auf Millimeter-Papier in Originalgröße „aufgemalt“ wurde, fotografieren mit einer Kamera, in die noch ein Film einzulegen war: So startete für mich 1983, direkt nach dem Abitur, die Ausbildung zur Tageszeitungsredakteurin bei den Westfälischen Nachrichten (WN): in der Lokalredaktion des Tecklenburger Landboten in Lengerich, einer Kleinstadt mit 23.000 Einwohnern.
Es waren Zeiten, an die ich mich heute vor allem mit einem Schmunzeln erinnere: so ganz anders als heute. Zeitstress, weil eine Nachricht blitzschnell rausmusste? Fehlanzeige. Schließlich gab es keine Internet-Portale, Blogs oder sozialen Medien. Nur den Landboten. Wer zeitnah wissen wollte, was in der Stadt passierte, musste die Heimatzeitung lesen. Es gab keine andere Chance.
Eine Redaktion arbeitete vor allem nachrichtlich und nah am „Terminkalender“ einer Kommune beziehungsweise der örtlichen politischen Gremien und Vereine: Wie war das Konzert des Männergesangvereins am Wochenende? Was ist passiert beim Unfall auf der Autobahn? Welchen Beschluss hat der Stadtrat in seiner vergangenen Sitzung getroffen? Der Journalist als Chronist. Anders als heute war es weniger die Aufgabe, Informationen einzuordnen, vielmehr sie zu vermitteln.
Einzige Ausnahme: der Kommentar. Nach jeder Stadtratssitzung war dieser sozusagen eine Pflichtaufgabe der Redaktionsleitung. Das war damals in Lengerich eine Frau, noch eine Seltenheit in der früher von Männern dominierten Zeitungswelt. Meine Chefin war eine Persönlichkeit. Ihr Wort hatte Gewicht, ihre Kommentare waren gefürchtet. Mit einem weiteren Redakteur und mir als Volontärin stemmte sie in den 80er Jahren eine große Ausgabe mit mindestens fünf Seiten täglich für ein Verbreitungsgebiet mit einer Stadt und vier großen Nachbarorten mit insgesamt über 50.000 Einwohnern.
Wichtiger Begleiter des Teams: neben Block und Stift der Fotoapparat, meist eine Spiegelreflex-Kamera mit großem, aufgesetzten Blitz. Beides lag schwer in der Hand. Als Reporter hatten wir bei jedem Anlass für eine Berichterstattung richtig zu schleppen. Die Filme wurden, wenn sie „voll“ waren, im Labor, fester Bestandteil einer jeden Redaktion, entwickelt: eine komplizierte Technik in mehreren Schritten in einer Dunkelkammer, die ihrem Namen gerecht wurde. Keine Ahnung, wie viele Filme ich anfangs beim Hantieren ohne Licht zerstört habe, einmal sogar von einem Besuch des damaligen Ministerpräsidenten von NRW, Johannes Rau, in Tecklenburg. Das Donnerwetter der Chefin klingt mir heute noch in den Ohren.
Schaffner nahm die Seiten mit
Das Layout zeichneten die Redakteure damals auf großen Papierbögen auf. Fotos wurden aufgeklebt, Titel per Hand hineingeschrieben. Dann wurden die Blätter, gemeinsam mit den Manuskriptseiten, in einen Umschlag verpackt. Und- wirklich wahr! – nachmittags mit dem Redaktionsauto zum Bahnhof gefahren, wo der Schaffner das Paket in Empfang nahm und es am Zielort in Münster einem Boten aushändigte, der es dem Schlussdienst zur Vorbereitung für den Druck übergab. Der Chef vom Dienst las die Druckfahnen, strich, kürzte oder verlängerte, wenn es nicht passte. Bis 1990, als mit der Geburt meines ersten Sohnes meine Redaktionstätigkeit bei den Westfälischen Nachrichten endete, kann ich mich nicht an ein einziges Mal erinnern, dass die Übergabe am Zug gescheitert wäre. Die Zeitung erschien immer pünktlich.
Die Redakteure arbeiteten vor allem die Stadt- und Gemeinderatssitzungen sowie Veranstaltungen ab: in Büros, in denen in den 80er und 90er Jahren noch geraucht wurde. Wer dem Glimmstängel nicht verfallen war, saß täglich acht Stunden im Zigarettenqualm. Beschwert hat sich darüber niemand, die Gefahren waren noch nicht so bekannt.
Volontäre ( „Volos“) lernten den Beruf nach dem Prinzip „learning by doing“. Ausbildungspläne mit Weiterbildungsmodulen gab es kaum. Die „Jungen“ siezten die „Alten“, die oft ein strenges Regime führten. „Volos“ schrieben die Berichte, die die Redakteure eher ungern verfassten: im Münsterland beispielsweise über die in jedem kleinen Ort stattfindenden Schützenfeste oder Kaninchenzucht-Ausstellungen.
Beim Recherchieren gab es keine Möglichkeit, eine Information zu „googeln“: Alles, was relevant für einen Bericht war, musste sofort vor Ort erfragt werden. Gesprächspartner waren nur an ihren Festnetztelefonen erreichbar. Eben mal eine Whatsapp-Nachricht oder eine E-Mail schreiben: unmöglich. Pressekonferenzen gab es kaum. Wollte der Lengericher Stadtdirektor was Wichtiges mitteilen, schrieb seine Sekretärin einen von ihm diktierten Brief, dessen Inhalt in der Redaktion abgetippt wurde.
Ende der 80er Jahre dann die erste große technische „Revolution“: das Faxgerät. Die Manuskripte der Berichte landeten in einem Gerät, vor dem wir die ersten Male voller Ehrfurcht versammelt waren, und wie von Geisterhand in der Zentralredaktion. Eine Sensation, der nur kurze Zeit später die nächste folgte: der erste Computer. Ein Riesen-Apparat, der den halben Schreibtisch blockierte, und eine neue Technik der Kommunikation, die nicht nur älteren Kolleginnen und Kollegen schwer zu schaffen machte. Denn keiner von uns war mit digitalen Medien aufgewachsen, es war absolutes Neuland.
Ähnlich erging es uns bei den ersten Gehversuchen im Internet. Lautstark löste die E-Mail das Fax ab, denn nachdem wir auf „Senden“ gedrückt hatten, gab der PC seltsam krächzende Laute von sich, die „mitteilten“, dass die Nachricht unterwegs war zum Empfänger. Dort riefen wir wenige Minuten später dann an, um zu erfragen, ob die E-Mail denn auch angekommen sei. War sie oft nicht: zweiter, manchmal dritter Versuch waren notwendig. Nicht selten dauerte es eine Stunde oder mehr, bis die E-Mail ankam.
Es war erneut eine Revolution, denn nun kam trotz anfänglicher Störungen Tempo in den Zeitungsjournalismus. Der Redaktionsschluss wurde nach hinten verlegt. Vorbei die Zeit, in der ein Unfall, der sich am Nachmittag ereignete, erst am übernächsten Tag im Blatt war. Auch die journalistische Arbeit veränderte sich: Die digitalen Prozesse sorgten dafür, dass Zeitfresser wie das Entwickeln der Bilder oder das mühsam Tippen auf der Schreibmaschine wegfielen. Es gab mehr Möglichkeiten für die Recherche, um Hintergrundinfos zu sammeln, für Berichte mit „Mehrwert“. Wir wurden schneller, stiegen tiefer ein, ergänzten unsere Texte um Grafiken und Infokästen.
Berichterstattung: bunter als früher
Die Zeitung wurde bunter. Und boulevardesker. Dies war in den Jahren zuvor immer der „Bild“ überlassen gewesen. Und den bunten Magazinen über Stars und Sternchen. Für altgediente Redakteure blieb ein Journalismus, der auch im Lokalen unterhielt, auch mal zuspitzte, oft ein „No-Go“. Doch die Leser liebten und lieben bis heute Glossen, Porträts, neue Serien, Storys, in denen es „menschelt“. Und die neuen Ratgeberformate sowie Berichte mit Servicecharakter.
Mit Einführung des Online-Lokaljournalismus über das E-Paper, die digitalisierte Form der klassischen Zeitungsseite, und über die Online-Portale veränderte sich nicht nur die Art der Recherche und des Schreibens, sondern auch die Organisationsstruktur der Redaktionen: Newsdesks, die die digitalen Infos auswerten und verteilen, Producerteams, die die Zeitung erstellen, und Reporter-Redaktionen, die ausschließlich berichten, sind heute der Standard moderner Medienhäuser. Nachrichten und Berichte mit Mehrwert werden über viele Kanäle verbreitet: ganz klassisch über die Zeitung, die morgens im Briefkasten liegt, über Online-Portale, Whatsapp, Instagram und Co. sowie Newsletter. Videos, Grafiken und Umfragen ergänzen Berichte. Die Redaktionen der OVB-Heimatzeitungen arbeiten multimedial: für Print und online. Das wichtigste Werkzeug: das Handy, ständiger Begleiter durch den Arbeitstag: das Dashboard der Portale, das live zeigt, was unsere Leser besonders interessiert. Längst sind Redakteure mehr als „nur“ Chronisten: Sie berichten, ordnen ein, vergleichen, werten Quellen aus, bieten Zusatz-Informationen.
Doch obwohl sich der Lokaljournalismus technisch und die Organisation strukturell sehr verändert haben, gibt es eine Konstante, die bis heute gilt und auch in Zukunft gelten wird: Die Heimatzeitung und ihre Online-Portale geben lokalen Akteuren eine Stimme, stoßen Debatten an oder bilden sie ab, sorgen für Transparenz und helfen, den Alltag zu bewältigen – wichtig vor allem in Zeiten einer Nachrichtenflut und vieler komplexer Problemstellungen. Und obwohl ich heute ganz anders arbeite als vor 42 Jahren, ist die Triebfeder meines Tuns die gleiche wie 1983: Neugier.