Fließbandhäuser gegen die Wohnungsnot

von Redaktion

Mauern, Technik, Innenausbau: Wie im Autobau durchlaufen die Module eine Station nach der anderen.

Eine eigene Schreinerei gibt es bei WMM natürlich auch. Hier entstehen etwa Küchen, Schränke, Tische.

Die Bodenplatten der Module werden aus Beton gegossen. Das passiert in einer Nachbarhalle auf dem Gelände.

Auf den Baustellen werden die Module mit dem Kran zusammengebaut und angeschlossen.

Er hat ihn selber gefällt: Tobias Waltl an seinem Kastanientisch. Der Baum stand in seinem Geburtsort Ingolstadt.

Anders als bei vielen Konkurrenten, die im Modulbau Holz und Glas verwenden, wird bei WMM klassisch gemauert.

Geht nicht, gibt’s bei ihm nicht: Tobias Waltl (r.) und ein kleiner Teil seines Teams in der Hausfabrik in Illertissen. Alle Maurer, Schreiner, Elektriker und Installateure, die dort arbeiten, sind bei ihm angestellt. © Fotos: Andreas Höß/WMM

Illertissen – In einer Halle der Firma WMM in Illertissen hämmern, sägen, fliesen und bohren gut ein Dutzend Arbeiter an zwölf viereckigen Ziegelräumen. Jeder davon ist 25 Quadratmeter groß und hat eine bestimmte Funktion: Wohnraum, Technikraum, Bad, Küche oder gleich ein komplettes kleines Appartement. An einem schichtet ein Maurer die Ziegel für die Außenwände aufeinander, im nächsten setzt ein Elektriker Steckdosen, eins weiter schließt ein Installateur eine Toilette an. Der Letzte ist schon mit Bett und Kochnische eingerichtet. Es geht zu wie auf einer Großbaustelle – nur dass hier wie in einer Fabrik parallel am Fließband gearbeitet wird.

Jedoch: Hier werden nicht Autos produziert, sondern Wohnungen – oder zumindest Räume, die dann auf der Baustelle nur noch wie ein Legohaus zusammengesetzt werden. Modulbau nennt man diese Bauweise, bei der wie im Zeitraffer ganze Wohnanlagen, Senoirenresidenzen, Studentenheime entstehen. „In nur fünf Tagen ist ein Modul fertig und sogar schon eingerichtet mit Fernseher, Kühlschrank und Klobürste“, verspricht Tobias Waltl, Gründer von WMM Modulbau, der durch seine Hausfabrik in Illertissen führt. 10 000 Quadratmeter Wohnfläche könne ein Kran auf der Baustelle so in zehn Tagen hochziehen. Selbst Großprojekte seien samt Erschließung und Ausbau in vier bis sechs Monaten schlüsselfertig. „Wir bauen mit Ziegel, nicht mit Holz oder Stahl“, betont Waltl. „Unsere Häuser werden 100 Jahre halten und nicht schon nach einer Generation zusammenfallen.“

Der Tausendsassa mit dem karierten Sakko

Was Waltl hier ankündigt, ist seiner Meinung nach „eine Revolution im Wohnungsbau“. Und es klingt angesichts der eklatanten Wohnungsnot – allein in Bayern fehlen laut Pestel-Institut 200 000 Sozialwohnungen – fast zu gut. Doch Skepsis ist Waltl, der nun auf einem barocken Plastikstuhl in einem Besprechungsraum seiner Firma sitzt, gewohnt. „Wenn keiner die Wohnungskrise lösen will, mach das halt ich“, tönt er und haut auf den Holztisch vor ihm.

Solariumbräune, kariertes Sakko, ein kleiner Bierbauch, mit dem der 47-jährige gerne kokettiert: auf den ersten Blick mag man das krachige Original aus Bayern unterschätzen. Doch Waltl, den die meisten Angestellten einfach Tobi nennen, ist ein hemdsärmliger Macher. Die Kastanie für den Besprechungstisch, an dem er sitzt, hat er „eigenhändig umtan“, wie er erzählt. „Am Bachl 12 in Ingolstadt, wo ich herkomm.“ Aus dem Nichts hat der Selfmade-Millionär in wenigen Jahren ein Imperium mit 1100 Mitarbeitern, 175 Millionen Euro Umsatz und 19 Firmen erschaffen. Ihm gehören neben der Hausfabrik 105 Hotels, der größte Anbieter für Glaserfaser-Internet im Allgäu und seit Neuestem auch noch ein Skigebiet im Kleinwalsertal.

Angefangen hat für Waltl alles mit einer Banklehre. Doch schon damals ging der Oberbayer eigene Wege. Mit 17 gründete er mit Erlaubnis seiner Mutter – und an der Börse erzockten 50 000 Euro Startkapital – sein eigenes Geldhaus. „Ich dachte: Man kann doch fair zu den Kunden sein und dabei trotzdem Geld verdienen“, erzählt er. Schnell verwaltete er das Vermögen einiger reicher Familien aus Ingolstadt. Mit 22 verkaufte er die Bank, war Millionär, studierte in der Schweiz und dann an der privaten Vanderbilt Universität in Nashville, Tennessee, um Investmentbanker zu werden. „Ein bayerischer Bazi in Amerika“, erinnert er sich. Doch in Bewerbungsgesprächen bei Großbanken riet man dem kantigen Unikat, lieber selbst eine Firma zu gründen – in einem Konzern werde er sowieso nie weit kommen.

Wenn die Baustelle zum Arbeiter kommt

Der Rest im Schweinsgalopp: Noch während seines Studiums kaufte sich Waltl 2006 in eine dahinsiechende Schreinerei in Mindelheim im Unterallgäu mit 42 Mitarbeitern und zwei Millionen Euro Jahresumsatz ein, die heute Kern seines Imperiums ist. Nach dem Bankerleben suchte er etwas Handfestes, sagt er. Zusammen mit einem Architekten machte er Holz-Innenausbauten für Villen von US-Filmstars wie Arnold Schwarzenegger oder Hally Berry und lernte dabei die US-Motels lieben. Um die Flauten zwischen den Großaufträgen zu überbrücken, errichtete er 2015 sein erstes eigenes Hotel. Heute zählt er rund 300 000 Übernachtungen pro Jahr in Herbergen wie dem „MUC“ in München, dem „ILL“ in Illertissen, dem „KUF“ in Kufstein.

Dass der quirlige Unternehmer nun die Baubranche umkrempeln will, hat mit einem der vielen Probleme zu tun, die während der Expansion seiner Firmen auftauchten: Die Angestellten von WMM waren es irgendwann leid, ständig weit weg von zu Hause Hotels zu errichten. „Dann musste eben die Baustelle zu ihnen kommen“, berichtet Waltl. Ihm kam die Idee, die Hotels weitgehend vorzufertigen und am Zielort nur noch zusammenzusetzen, um die Geschäftsreisen für seine Maurer, Schreiner, Installateure und Elektriker zu minimieren. Auf dem Parkplatz seiner Firma mauerten er und sein Team ein erstes Hotelzimmer als Probemodul und fuhren es auf einem Lkw stundenlang „über Stock und Stein, um zu sehen, ob es hält“.

1800 Module pro Jahr, Tendenz steigend

Seither werden die WMM-Hotels in der heutigen Hausfabrik in Illertissen im Modulstil vorgemauert und gleich komplett eingerichtet. Über 100 sind es schon, die Firma hat zudem Grundstücke für Dutzende weitere erworben. Probleme waren für Waltl dabei immer auch Chancen. Weil die Arbeit für Buchungen ausuferte, entwickelt Tobias Waltls Bruder eine eigene Buchungssoftware. Für die Bodenplatten der Module hat er sich ein kleines Betonwerk angeschafft, eine Schreinerei hat er sowieso. Um die Ausstattung seiner Hotels mit Internet und Ladesäulen für E-Autos zu beschleunigen, kaufte er kurzerhand den Breitband-Anbieter Allgäu DSL und gründete eine Ladesäulen-Firma. Als das Aus für das Skigebiet Jungholz ein Tourismusprojekt von WMM bedrohte, übernahm er einfach die Lifte, die kommenden Winter wieder öffnen sollen. „Gschäftl halt“, sagt Waltl.

Seit drei Jahren expandiert WMM auch in den Wohnungsbau. Denn was als Hotelmodul funktioniert, eignet sich auch als Studentenbude, Seniorenheim oder Unterkunft für Flüchtlinge. Und soll eine große Wohnanlage aus den Modulen gebaut werden, werden einfach zwei, drei oder vier zu einer Wohnung zusammengesteckt. Erste Wohnprojekte stehen längst, beispielsweise in München, Bonn oder Leutkirch im Allgäu. Selbst Wohnbauriesen wie Vonovia interessieren sich für die Fertigungsweise, Gespräche laufen bereits. „Neben der Schnelligkeit ist hier auch der Preis ein Argument“, wirbt Waltl. „Mit 2900 Euro brutto je Quadratmeter inklusive Ausstattung liegen wir etwa ein Drittel unter dem Markt.“ Möglich mache das die Skalierung, die „Economics of Scale“, so Waltl.

1800 Module kann die Firma derzeit pro Jahr produzieren. Zu wenig, wie Waltl glaubt, der neben dem Werk in Illertissen bald eine zweite Hausfabrik bei Mindelheim eröffnet. Ein Ziegelwerk bei Dachau fertigt zudem für ihn in Lizenz, weitere sollen folgen. Dass die Wirtschaftsflaute ihn ausbremst, glaubt der Pragmatiker nicht. „Beim Wohnbau gilt das Gesetz von Angebot und Nachfrage, das weiß jeder Trottel“, sagt er. Und die Bürokratie? „Die nervt, aber was soll ich machen? Heulen?“ Egal, was um ihn herum passiert, Waltls Motto bleibt immer dasselbe: „Einfach machen!“

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