München – Im Gehirn von Alzheimer-Patienten laufen schleichende, aber fatale Prozesse ab. Zwei Eiweißstoffe stehen dabei im Mittelpunkt: Amyloid-Beta und Tau. Beide kommen auch bei gesunden Menschen vor – bei Alzheimer allerdings geraten sie aus dem Gleichgewicht. „Amyloid-Beta beginnt sich im Gehirn abzulagern – oft schon 15 bis 20 Jahre bevor Symptome auftreten“, erklärt Prof. Dr. Timo Grimmer, Leiter des Zentrums für Kognitive Störungen an der TU München. Beta-Amyloid sammelt sich außerhalb der Nervenzellen und bildet dort Plaques – klebrige Ablagerungen, die die Kommunikation der Zellen stören.
Diese Plaques lösen eine Kettenreaktion aus: Die Tau-Proteine verklumpen innerhalb der Zellen und blockieren deren Versorgung. Die Folge: Die Nervenzelle stirbt ab. „Tau breitet sich im Gehirn ähnlich wie eine Infektion aus – von Zelle zu Zelle“, erklärt Dr. Nicolai Franzmeier vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am LMU Klinikum in Großhadern. Je weiter diese Schäden fortschreiten, desto mehr Hirnareale verlieren ihre Funktion – mit typischen Symptomen: erst Gedächtnislücken, später Orientierungsprobleme, Sprachstörungen und Hilflosigkeit.
Seit April ist Lecanemab (Handelsname: Leqembi) in der EU zugelassen. Der Wirkstoff ist ein Antikörper, der gezielt an Amyloid-Plaques bindet und deren Abbau fördert. „Lecanemab greift direkt ins Krankheitsgeschehen ein – nicht nur an den Symptomen, sondern an einer der Ursachen“, sagt Grimmer. In Studien konnte mit Lecanemab das Fortschreiten der Krankheit im Frühstadium um etwa 27 Prozent verlangsamt werden – im Vergleich zu Placebo-Patienten. Betroffene bleiben länger stabil und selbstständig. Lecanemab ist allerdings nur zugelassen für Menschen in einem frühen Stadium mit Symptomen – also bei leichten Gedächtnisstörungen und leichtgradiger Demenz mit nachgewiesenem Amyloid im Gehirn. Für mittelgradige und fortgeschrittene Alzheimer-Patienten ist es nicht geeignet, da die Nervenschäden dann meist schon zu weit fortgeschritten sind.
Die häufigste Nebenwirkung des Medikaments sind sogenannte ARIA – Hirnödeme oder Mikroblutungen, oft symptomlos, aber im MRT sichtbar. Etwa jeder sechste Patient entwickelt eine ARIA – deshalb sind regelmäßige MRT-Kontrollen wichtig“, sagt Prof. Grimmer. Lecanemab ist also kein Wundermittel, aber ein wichtiger Fortschritt. Erstmals gibt es ein Medikament, das den Krankheitsprozess bei frühzeitiger Diagnose gezielt verlangsamen kann. „Für viele Patienten bedeutet das: mehr Zeit in Selbstständigkeit und mehr Lebensqualität“, sagt Grimmer. Dennoch seien Verbesserungen und Weiterentwicklungen notwendig.
Daher werden auch an den Münchner Gedächtnisambulanzen weiterhin Medikamentenstudien mit verbesserten Substanzen durchgeführt. Die Behandlung mit dem Medikament Leqembi ist allerdings aufwendig (Infusionen alle zwei Wochen, regelmäßige MRTs), teuer – und nur für eine kleine Patientengruppe geeignet. Aber es ist ein Anfang. Und ein Hoffnungsschimmer.
SUSANNE HÖPPNER